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Flüsse: Droht der Mississippi seinen Lauf zu verlegen?

Der Mississippi ist Nordamerikas mächtigster Strom und eine wichtige Handelsroute. Doch der Fluss läuft mit Sedimenten voll - und das könnte seinen Lauf drastisch ändern.
Die Stadt am Mississippi geht langsam unter

Der Mississippi ist eine der zentralen Lebensadern im Mittleren Westen der USA und die wichtigste Transportstrecke der Region. Doch der Fluss kann auch zur Bedrohung werden wie 1927, 1993 und 2011, als sich gigantische Fluten flussabwärts wälzten und zehntausende Quadratkilometer Land überfluteten. Vor allem die Metropole New Orleans ist dann gefährdet, da sie ohnehin im Untergrund versinkt und auf drei Seiten vom Wasser umschlossen ist.

Ungemach droht der Stadt jedoch auch, wenn der Mississippi seinen Lauf verändert – und das ist kein unwahrscheinliches Szenario. Statt das meiste Wasser an New Orleans vorbei in sein Delta im Golf von Mexiko zu führen, könnte der Mississippi den kürzeren und schnelleren Weg über den heutigen Atchafalaya River nehmen, der viel weiter westlich ins Meer mündet. Aus hydrologischer Sicht wäre dies für den Strom die günstigere Route. Der Hochseehafen und die Wasserversorgung von New Orleans wären dann stark gefährdet. Um das zu verhindern, bauten Ingenieure des U.S. Army Corps of Engineers ein mächtiges Sperrwerk an der Abzweigung des Atchafalaya. So wollen sie den Wasserverlauf gezielt in den Mississippi steuern. Nur bei Hochwasser darf mehr Wasser den alternativen Kurs nehmen.

Doch der Fluss ruht nicht, wie Yi-Jun Xu von der Louisiana State University in Baton Rouge auf der Jahrestagung der American Geological Union 2017 warnt. Denn der Strom transportiert auch enorme Mengen an Sedimenten in Richtung des Golfes von Mexiko. Sie füllen das Flussbett mit der Zeit auf und verlangsamen so die Fließgeschwindigkeit des Mississippi, während kaum Sand und anderes Material in den Atchafalaya gelangt. Dadurch fließt der Mississippi verglichen mit seinem Nebenfluss auf höherem Niveau und wird nur durch Dämme aufgehalten. Seit die Sperrwerke 1963 errichtet wurden, sammelten sich etwa 36 Millionen Tonnen flussabwärts im Hauptstrom Richtung New Orleans an. Viele Sandbänke nahmen im Volumen um 200 Prozent zu, während sich das Strombett streckenweise um 800 Meter verschmälert hat.

Eigentlich ein natürlicher Prozess

Morganza Spillway | Weitgehend unbeachtet von der deutschen Öffentlichkeit wurden die Menschen am Mississippi 2011 vom stärksten Hochwasser seit 1927 heimgesucht. Um die Gefahr einer Überflutung von New Orleans und Baton Rouge mit ihren Hafenanlagen und Raffinerien zu verringern, öffneten die US-Behörden verschiedene Überlaufsysteme, mit denen sie das Wasser gezielt umzuleiten versuchen.

Zu den gewaltigsten Wehren dieser Art gehört der Morganza Spillway, der in normalen Zeiten verhindern soll, dass der Mississippi sich ein neues Bett sucht und dann im Bett des Atchafalaya River zum Golf von Mexiko strömt: Er blockiert und reguliert den Wasserabfluss und sorgt dafür, dass 70 Prozent des Wassers im Mississippi bleiben – wegen des steileren Gefälles würde es sich sonst Richtung Atchafalaya ergießen, wodurch New Orleans Lebensader gekappt wäre.

In Notzeiten dient der Spillway dagegen als Puffer, wie das Satellitenbild veranschaulicht: Auf breiter Front wälzt sich das Wasser vom Mississippi rechts zum Atchafalaya links. Blaue Farbtöne kennzeichnen offene Wasserflächen, rote Farbtöne hingegen mehr oder weniger dichte Vegetation – im Spillway fließt das Wasser zum Teil durch Sumpfwälder, so dass sich blaue und rote Farbtupfer abwechseln (graue Flächen sind abgeerntete oder frisch angesäte Felder).

Zur Überraschung der Hydrologen kommt das Wasser allerdings weniger schnell voran als gedacht: Im Gegensatz zum Oberlauf des Mississippi, wo ein schneereicher Winter und lange Regenfälle im Frühling 2011 das Hochwasser anschwellen ließen, suchte eine Dürre die Golfregion heim. Der ausgetrocknete Boden des Sumpfs im Spillway saugte sich daher mit Wasser voll und verlangsamte den Abfluss (dl)

Flussaufwärts von den Sperrwerken lagern zudem noch weitere Sedimentmassen im Flusslauf, die während eines Hochwassers weitertransportiert werden und die Situation verschärfen können. Wird das Gefälle zwischen dem Mississippi und dem Atchafalaya zu steil, drohe beim nächsten Hochwasser wie jenen von 1923 oder 2011 eine Kettenreaktion, so Xu. Überspült der Hauptstrom die Sperrwerke und Dämme, werden diese sehr wahrscheinlich zerstört. Die Wassermassen ergießen sich dann in den Atchafalaya und lassen sich wohl nicht mehr ins alte Flussbett zurückzwängen. Vor den Eingriffen des Menschen verlagerte der Mississippi alle 1000 bis 1500 Jahre auf diese Weise seinen Lauf.

Klimawandel und Versiegelung verschärfen die Situation. Laut den Klimamodellen sollen die Niederschläge im Einzugsgebiet des Mississippis in den nächsten Jahrzehnten um bis zu 60 Prozent zunehmen. Gleichzeitig sorgt die Überbauung von Flächen dafür, dass weniger Wasser im Boden versickert: Beides erhöht das Flutrisiko.

Sollte es tatsächlich zur Flussverlagerung kommen, hätte das für den Großraum New Orleans mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern gravierende Folgen. Gefährdet wäre beispielsweise der Hochseehafen der Metropole. Und Salzwasser vom Golf von Mexiko droht dann in die Süßwasserspeicher im Untergrund einzudringen, wenn es nicht mehr vom Fluss seewärts gedrückt wird. Die Trinkwasserversorgung der Menschen wäre bedroht.

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