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Die Geschichte von Blackbeard: Ein Mann, ein Bart

1718 baumelte Blackbeards Kopf am Bug eines Navyschiffs. Wer war dieser Mann, der es in nur zwei Jahren zum gefürchtetsten Piraten der Karibik gebracht hatte?
Blackbeards letzter Kampf - Gemälde von Jean Leon Gerome Ferris (1863-1930)

Glaubt man den Legenden, dann sind Piraten ohne Kopf zu erstaunlichen Leistungen fähig. Der Seeräuber Klaus Störtebeker soll nach seiner Enthauptung noch an elf Kameraden vorbeigelaufen sein, in der Hoffnung, ihnen dadurch das Leben zu retten. Edward Thatch starb zwar im Kampf, doch nachdem sein Bezwinger ihm den Kopf abgeschlagen und den Körper über Bord geworfen hatte, soll sein Leichnam noch mehrere Runden um das Schiff gedreht haben. Das Haupt des Piraten habe zu diesem Zeitpunkt bereits am Bug des Schiffs gebaumelt. Schon von Weitem konnte so jeder die wilde, schwarze Mähne und den struppigen Bart erkennen. Denn bei dem Toten handelte es sich um keinen Geringeren als Captain Blackbeard – den wohl berühmtesten Piraten aller Zeiten. Während sein Antlitz bei seinen Überfällen Angst und Schrecken verbreitete, verkündete sein abgeschlagener Kopf nun das Ende dieser Bedrohung.

300 Jahre nach seinem Tod ist Blackbeard lebendiger denn je – im Kino, im Computerspiel, sogar an der Biertheke gilt er als Prototyp des rauen und bärbeißigen Seeräuberhauptmanns. Der Mythos wird konserviert. Doch was weiß man eigentlich sicher über den prominenten Piraten? Wer war er wirklich? Gerade in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat das eindimensionale Bild des Teufels der Meere deutlich mehr Tiefe bekommen. Zu verdanken ist das sowohl neu entdeckten Schriftquellen als auch aktuellen archäologischen Befunden.

Thatch, Teach, Titche

So ist es gerade einmal ein paar Jahre her, dass Forscher auf die erste schriftliche Erwähnung Blackbeards gestoßen sind. Der Historiker Arne Bialuschewski führt 2010 ein Schriftstück vom 17. Dezember 1716 an, in dem Henry Timberlake, der Kapitän des englischen Frachtschiffs Lamb, schildert, wie er drei Tage zuvor in der Karibik von Piraten überfallen worden war. Das Kommando über die Angreifer habe Benjamin Hornigold gehabt, ein zweites Schiff sei von einem gewissen Edward Thach befehligt worden. Dessen Sloop, ein kleines Kriegsschiff, habe acht Kanonen und 90 Mann Besatzung getragen. Während des Überfalls erbeuteten die Piraten Schweine- und Rindfleisch, Erbsen, Austern, Zwiebeln und andere Lebensmittel.

Berüchtigtes Äußeres | Die zeitgenössische Darstellung zeigt den Seeräuber mit namensgebendem Bart und einer Montur, die Schrecken erregen sollte. Angeblich griff Blackbeard mit brennenden Lunten am Kopf an.

Über Thatchs Leben vor diesem Bericht kann nur spekuliert werden. Weder Geburtsdatum noch -ort sind genau bekannt. Selbst die Schreibweise seines Namens variiert von Thache zu Teach oder Titche. Viele biografische Angaben und Mutmaßungen über sein Leben stammen aus dem Buch »A General History of the Robberies and Murders of the most notorious Pyrates« aus der Feder eines gewissen Captain Charles Johnson. Allerdings ist das Werk keine glaubhafte Quelle. Zwar erschien es bereits 1724, also kurz nach Blackbeards Tod, doch ist es heute unmöglich, Dichtung und Wahrheit auseinanderzuhalten. Selbst der Autor ist nicht einwandfrei identifiziert. Lange Zeit stand der Schöpfer des »Robinson Crusoe«, Daniel Defoe, unter Verdacht, hinter dem Pseudonym zu stecken. Neuere Forschungsergebnisse legen den englischen Journalisten Nathaniel Mist als Verfasser nahe. Offensichtlich trafen die reißerisch aufbereiteten Seeräuberbiografien den Nerv der Zeit. Das Buch wurde in schneller Folge in erweiterten Auflagen herausgebracht und kurz nach Erscheinen in andere Sprachen übersetzt. Eine deutsche Ausgabe unter dem Titel »Schauplatz Der Englischen See-Räuber« erschien 1728.

Edward Thatch kam vermutlich um 1680 in der englischen Hafenstadt Bristol zur Welt. Es liegt nahe, dass er in diesem Umfeld schnell den Weg aufs Wasser gefunden hat. Lange Zeit vermuteten Historiker, dass er bereits zu Beginn seiner Karriere an Schiffsüberfällen beteiligt war und wohl als einfacher Matrose an »Queen Anne's War« teilgenommen hat. In diesem transatlantischen Ausläufer des Spanischen Erbfolgekriegs in Europa kämpften vor allem Franzosen und Engländer um die Vorherrschaft in der Neuen Welt. Dabei setzten beide Seiten so genannte Freibeuter ein – also Piraten mit königlicher Lizenz.

Seine aktuellen genealogischen Studien führten den Historiker Baylus Brooks zu der These, dass Thatch zwar in Bristol geboren sei, seine Familie dann allerdings nach Spanish Town auf Jamaika übersiedelte. Zudem vermutet er, dass der spätere Pirat 1706 auf einem Schiff der Royal Navy diente, da ein Edward Thatche in den Lohnbüchern der »HMS Windsor« auftaucht. Ob es sich dabei aber um Blackbeard oder um eine andere Person gleichen Namens handelt, kann bisher nicht zweifelsfrei geklärt werden.

Auf eigene Rechnung

Nach dem Ende des Kriegs 1713 sahen sich viele ehemalige Kaperfahrer mit einem Karriereschnitt konfrontiert. Ohne offizielle Erlaubnis zum Beutezug blieb vielen von ihnen nur der Gang in die Selbstständigkeit. Fast schon zwangsläufig begann ein neues goldenes Zeitalter der Piraterie. Den Seeräubern, die nun auf eigene Rechnung arbeiteten, war es völlig egal, aus welchem Land ihre Beute kam, ohne Weiteres würde ein englischer Pirat ein englisches Schiff überfallen. Auch Thatch könnte auf diesem Weg der Arbeitslosigkeit entkommen sein. Zusätzlichen Anreiz mag für ihn der Untergang einer reich beladenen spanischen Flotte vor der Küste Floridas gegeben haben. Die Aussicht auf wertvolle Beute in den Wracks zog in dieser Zeit viele Glücksritter an.

Was auch immer ihn in die Piraterie trieb, spätestens Ende 1716 schipperte Thatch auf der Suche nach Beute durch die Karibik. Sein bevorzugtes Einsatzgebiet war zunächst die Südsee rund um die Bahamas, die vor Piraten nur so wimmelten. Die kleinen Inseln boten zum einen viele Rückzugsgebiete und lagen nah an den stark frequentierten Schifffahrtsrouten zwischen Amerika und Europa sowie zwischen Amerika und Kuba. Zum anderen hatten die meist leichteren Seeräuberschiffe keine Schwierigkeiten mit dem schwierigen Fahrwasser in dieser Gegend. Ihre Beute konnten sie so leicht ausmanövrieren oder auflaufen lassen und dann – weitestgehend ungestraft – ausplündern. Denn auf Grund der unsicheren politischen Lage berührte der Arm des Gesetzes die Karibik in dieser Zeit höchstens mit der Fingernagelspitze. Vor allem der »failed state« der Bahamas galt als weitgehend rechtsfreier Raum. Der größte Machtfaktor in dieser Region waren die Piraten – mit enormem Einfluss auf den Handel.

Blackbeards »Barth war schwartz, und ließ er denselben bis zu einer so entsetzlichen Grösse wachsen, daß seine gantze Brust davon bedeckt war«

Charles Johnson schreibt, dass Thatch zunächst unter Kapitän Benjamin Hornigold diente. Doch außer des genannten gemeinsamen Überfalls auf die »Lamb« gibt es dafür keine Belege. Hornigold arbeitete im Lauf des Jahres 1717 nachweislich mit einigen anderen Kollegen zusammen, so dass eine solche Kooperation eher unwahrscheinlich ist. Stattdessen segelte Blackbeard ab September 1717 mit Stede Bonnet, einem Sohn reicher Plantagenbesitzer, der aus Abenteuerlust mit einem eigenen Schiff ins Piratengeschäft eingestiegen war. Allerdings verlor er das Kommando über seine Sloop »Revenge« an Thatch, möglicherweise weil er auf Grund einer Verletzung nicht fit genug war oder seine Mannschaft ihm nicht mehr vertraute. Er blieb aber Teil der Crew.

Blackbeard hatte sein Revier inzwischen vorübergehend an die Ostküste Nordamerikas verlegt, wo er mit der »Revenge« etwa 15 Schiffe vor der Kolonie Virginia oder an der Mündung des Delaware River überfiel. Dabei erbeutete er vor allem Handelswaren wie Wein und Mehl. Die Stationen des Raubzugs lassen sich durch erhaltene Briefe von Händlern und durch Berichterstattungen in »The Boston News-Letter«, der ältesten Zeitung Amerikas, rekonstruieren. Die Beuteschiffe ließen sie entweder wieder frei oder setzten sie in Brand. Die besten allerdings integrierten sie in die eigene Flotte – so wie Blackbeards berühmtes Flaggschiff.

Die »Queen Anne's Revenge«

Am 28. November 1717 kaperte Thatch in der Nähe von Martinique das französische Sklavenschiff »La Concorde«. Während »Queen Anne's War« hatte der um 1710 gebaute Dreimaster selbst jahrelang Jagd auf englische Schiffe gemacht. Das etwa 30 Meter lange und acht Meter breite Schiff setzten die Franzosen wahrscheinlich als leichte Fregatte ein. Nach dem Krieg nutzte der Eigner René Montaudoin das Schiff im so genannten Atlantischen Dreieckshandel: Er tauschte in Afrika billigen Schmuck, Stoffe oder auch Waffen gegen Sklaven, brachte diese in die amerikanischen Kolonien und transportierte auf der Rückfahrt beispielsweise Baumwolle oder Zucker nach Europa. Ab 1713 segelte die »La Concorde« vor allem zwischen dem Heimathafen Nantes, Westafrika und Nordamerika.

Als die Piraten auftauchten, war die französische Besatzung durch Krankheit stark dezimiert und übergab das Schiff nahezu kampflos. Einige Matrosen schlossen sich den Seeräubern an, andere wurden dazu gezwungen – ein beliebtes Mittel, um dem Fachkräftemangel an Bord zu begegnen. So integrierte Blackbeard etwa Chirurgen, Köche und sogar einen Musiker in seine Crew. Auch einen Teil der rund 400 Afrikaner nahmen sie in ihre Mannschaft auf, andere behielten sie möglicherweise auch für einen späteren Verkauf an Bord. Und zuletzt setzten sie den Rest der Besatzung und weitere Sklaven auf einer Insel der Grenadinen aus, überließen ihnen aber ein kleineres Schiff.

Den schnellen und großen Dreimaster aber rüstete Blackbeard zu einem mächtigen Piratenschiff mit insgesamt 40 Kanonen auf. In der Südsee gab es zu dieser Zeit nur wenige vergleichbare Schiffe. Thatchs erste eigene Flotte hatte nun ein neues Prunkstück: die »Queen Anne's Revenge« . Den Namen, der an die letzte Regentin der Stuart-Dynastie erinnert, wählte er eventuell aus Entrüstung darüber, dass in England nun der Deutsche George I. das Zepter führte.

Noch heute ist das Schiff eng mit Blackbeard verbunden – obwohl er nur wenige Monate auf ihm fuhr. Bereits ein gutes halbes Jahr später, im Mai 1718, wird er das Schiff auf eine Sandbank setzen und aufgeben. Im November 1996 fanden Taucher vor der Küste des US-Bundesstaats North Carolina dessen Überreste. Die Auswertung der Funde vom Meeresgrund dauert noch an.

Image ist alles

Doch zunächst war das frisch erbeutete neue Flaggschiff für Thatch der Ausgangspunkt für eine eigene größere Flotte. Ende 1717 begann er mit etwa 300 Mann, verteilt auf zwei Fahrzeuge, einen erfolgreichen Beutezug im Gebiet rund um die Kleinen Antillen. Unterwegs soll er sich sogar auf ein Scharmützel mit einem mächtigen englischen Kriegsschiff eingelassen haben. Bis zum Frühjahr war die Flotte schließlich auf vier Fahrzeuge angewachsen. Quellen sprechen von bis zu 700 Mann Besatzung.

Neben der reinen Stärke des Personals entwickelte sich zu dieser Zeit vermutlich auch Blackbeards Image als Furcht einflößender Piratenkapitän, das er vor allem seinem äußeren Erscheinungsbild zu verdanken hat. Sein »Barth war schwartz, und ließ er denselben bis zu einer so entsetzlichen Grösse wachsen, daß seine gantze Brust davon bedeckt war, und derselbe ihm bis an die Augen hinauff gieng. Er war gewohnt, denselben mit Bändern einzuflechten und diese kleine Flechten um die Ohren zu winden«, berichtet die deutsche Übersetzung der Piratenhistorie des Charles Johnson. Außerdem befestigte er zwei »angezündete Lunten unter den Huth, welche ihm an beyden Seiten des Gesichts herunter hiengen« und habe eine Art Schärpe um den Oberkörper getragen, in der drei Pistolen steckten. »Dieser Auffzug, wenn man dazu die Gestalt seiner Augen hinzusetzet, deren Blicke von Natur wild und grausam waren, machten ihn so erschrecklich, daß man keine Furie in der Höllen sich entsetzlicher einbilden kan, als diese Gestalt. Seine Humeur und Neigungen kamen mit seiner barbarischen Gestalt wohl überein.«

Schwerbewaffnete Sloop | Nur selten operierten die Seeräuber von großen Dreimastern aus. Kleine, wendige, aber waffenstarrende Segler wie dieser Einmaster waren deutlich gebräuchlicher – in der Karibik ebenso wie hier vor dem Bostoner Leuchtturm.

Zugegebenermaßen findet sich eine solche ausführliche Beschreibung inklusive aller Zöpfchen und Lunten ausschließlich in dieser einen zweifelhaften Quelle. Doch möglicherweise begriff Blackbeard eine solche modische Drohkulisse tatsächlich als psychologische Kriegsführung. Zumindest der Bart war für diese Zeit sehr ungewöhnlich. Sein Anblick sollte Überfälle beschleunigen, indem die Gegenüber vor Angst bereits vorher die Segel strichen. So vermied er unnötigen Schaden an seiner Beute – und unnötige Gewalt.

Denn Hinweise auf besondere Brutalität Blackbeards sucht man in den zeitgenössischen Quellen vergebens. Nicht ein Mord ist aus dieser Zeit überliefert, wobei sicher nicht jedes Todesopfer während eines Überfalls der Rede wert war. Und auch Johnsons Beispiele klingen eher harmlos. So habe der Kapitän einmal im Suff einige Kameraden herausgefordert klarzustellen, wer es am längsten in der Hölle aushalte. Unter Deck wurden alle Luftlöcher verschlossen und Feuer in verschiedenen Gefäßen entfacht. Als die Kontrahenten schließlich nach Luft ringend an Deck strömten, ließ sich Blackbeard als Sieger feiern. An anderer Stelle liest man über seine Trinkfestigkeit. Blackbeard habe gern ein Glas Rum mit Schießpulver aufgepeppt, den Drink dann angezündet und heruntergeschluckt.

Entgegen dieser klischeehaften Beschreibungen war Edward Thatch höchstwahrscheinlich sogar ausgesprochen gebildet. Allein schon die Navigation eines Schiffs dieser Größe war ohne einschlägige Fähigkeiten nicht möglich. Zudem konnte er lesen und schreiben. Johnson erwähnt beispielsweise einige Tagebucheinträge Blackbeards. Andere Quellen erwähnen, dass er Bücher von einem englischen Schiff erbeutete und sogar eine Bibliothek an Bord hatte. Einen möglichen Beleg dafür fanden Taucher im Wrack der »Queen Anne's Revenge«. Bei den Ausgrabungen stießen sie auf Reste von Büchern, wenn auch nur im Innern einer Kanone.

Medizin gegen Geiseln

Eine Flotte aus vier Schiffen – eines davon eine beeindruckende Kampfmaschine – war mit dem Erbeuten einzelner Handelsschiffe deutlich unterfordert. Außerdem verlangte ein solch großes Personal auch entsprechende Erlöse. Auf der Suche nach dem »Big Business« segelte Blackbeard deshalb wieder Richtung Norden. Im Mai 1718 erreichten die Piraten Charles Town, das heutige Charleston – damals die Hauptstadt der Provinz South Carolina. Dort nahmen sie mit ihren Schiffen vor dem stark frequentierten Hafen Aufstellung und raubten einfach alles aus, was hinein- oder herauswollte. In nicht einmal einer Woche sollen sie so acht bis neun Schiffe aufgebracht haben. Neben der Beute machten sie vor allem Gefangene, unter ihnen angesehene Bürger der Kolonie.

Diese Geiseln verwendete Blackbeard allerdings nicht, um Geld zu erpressen. Stattdessen verlangte er etwas, was anscheinend dringender benötigt und schwieriger aufzutreiben war: Medikamente. Funde aus dem Wrack der »Queen Anne's Revenge« belegen, dass die Matrosen sich mit verschiedenen Gesundheitsproblemen herumschlugen. So fanden die Archäologen eine Harnröhrenspritze, die Ärzte bei der Behandlung von Syphilis einsetzten, Klistiere, die im Magen-Darm-Bereich zum Einsatz kamen, und Gefäße zur Herstellung von Arzneien. Sie stammen aus dem Besitz der französischen Ärzte, die bei der Übernahme der »La Concorde« an Bord bleiben mussten.

Blackbeard hatte mit seiner Erpressung Erfolg: Die Medikamente wurden geliefert, die Geiseln und die ausgeraubten Schiffe zurückgeschickt. Auch wenn insgesamt niemand zu Schaden kam, so führte die Aktion den Einwohnern doch klar vor Augen, wie hilflos sie den Piraten ausgeliefert waren. Die gefährliche Flotte gab allerdings ihre Belagerung auf und segelte mit reicher Beute weiter nach Norden.

Auf Sand

Nach etwa 450 Kilometern fand ihre Reise ein abruptes Ende. Denn die »Queen Anne's Revenge« lief beim Versuch, in den Hafen von Beaufort einzufahren, auf eine Sandbank. Beim Versuch, sie herauszuziehen, blieb auch eine Sloop stecken. Warum Blackbeard den kleinen Fischerort anlief, lässt sich heute nicht mehr sagen. Möglicherweise wollte er sich an der dünn besiedelten Küste von North Carolina ein neues Versteck schaffen, von dem aus er seine Raubzüge starten konnte. Dabei unterschätzte er die örtlichen Untiefen. Die archäologischen Befunde bestätigen, dass beide Schiffe von der Mannschaft gesteuert wurden, als sie auf Grund liefen, und nicht etwa von einem Sturm unkontrolliert an Land gedrückt wurden.

Während sich die politischen Größen North Carolinas mit den neuen Nachbarn arrangierten, formierte sich weiter nördlich Widerstand

Nachdem sie alle Seeleute und einige Wertgegenstände gerettet hatten, brach Stede Bonnet auf, um im nahegelegenen Bath das königliche Pardon anzunehmen. Die englische Krone hatte kurz zuvor jedem Seeräuber, der das Entermesser an den Nagel hing, eine Begnadigung versprochen. Dadurch konnte sie einerseits die Gefahr für Handelsschiffe enorm eindämmen und hielt andererseits die Piraten weiterhin verfügbar. Denn der nächste Krieg, in dem wieder Freibeuter gebraucht würden, kam bestimmt. Danach wollte Bonnet zurückkommen und auf die heutigen Jungferninseln fahren, die damals eine dänische Kolonie waren. Blackbeard allerdings nutzte die Abwesenheit seines Gefährten, schnappte sich 100 Männer sowie die gesamte Beute und verschwand mit dem vierten Schiff. Die übrige Crew setzte er auf einer Sandbank aus.

Über den Unfall und die Geschehnisse danach berichten Gerichtsakten aus einem Prozess gegen David Herriot, einem der Kapitäne in Blackbeards Flotte. Herriot mutmaßte, dass sein Anführer alles im Voraus geplant habe, um die inzwischen zu stark angewachsene Seeräuberbande aufzuteilen. Wahrscheinlicher aber klingt, dass der Kapitän eher spontan entschied und in der Flucht den einzigen Ausweg sah, die Situation zu retten. Die beiden zurückgelassenen Schiffe blieben unberührt und versanken nach und nach im Meer. Offensichtlich hatten die Küstenbewohner keine Mittel, um sie zu bergen oder wenigstens auszuräumen.

Das letzte Gefecht

Edward Thatch segelte auf der »Adventure« mit 100 Mann Besatzung ebenfalls nach Bath, vorgeblich um sich begnadigen zu lassen. Vermutlich aber wollte er sich dadurch nur etwas Luft verschaffen, um Pläne zu schmieden. Denn bereits nach ein oder zwei Monaten Landaufenthalt stach er erneut in See – diesmal mit offizieller Erlaubnis der Behörden, die ihm Handelstouren genehmigt hatten. Wenige Tage später allerdings flatterte wieder die Piratenflagge am Mast. Heimlich überfiel die Bande einige englische Schiffe. Danach traf sie auf zwei französische Handelsfahrer, von denen Blackbeard eines behielt inklusive der Ladung, Zucker und Kakao. Dem Gouverneur von North Carolina berichtete er, er habe das Schiff verlassen vorgefunden. Nach einem schnellen Gerichtsentscheid – bei dem wohl auch Bestechungsgelder geflossen waren – wurde ihm nach Abgabe eines Teils der Ladung »der Fund« zugesprochen.

Während sich die politischen Größen North Carolinas also mit den neuen Nachbarn arrangierten, formierte sich weiter nördlich Widerstand. Allen voran der Gouverneur von Virginia, Alexander Spotswood, duldete es nicht, dass seine Kolonie einer solchen Gefahrenquelle dauerhaft ausgesetzt sein sollte. Deshalb schickte er drei vor Ort stationierte Marineoffiziere mit einer – illegalen – Mission nach North Carolina. Denn für eine militärische Operation in einer anderen Kolonie hatte er keine Befugnis. Trotzdem führten zwei Kapitäne im Auftrag Spotswoods einige Männer auf dem Landweg nach Bath, um die Piraten dort aufzuspüren. Ein zweiter Trupp von 57 Mann unter dem Befehl von Leutnant Robert Maynard suchte mit zwei Sloops den Piratenhauptmann in seinem neuen Versteck auf den Ocracoke Islands – einer kleinen Inselgruppe vor der Küste North Carolinas. Dort spürte Maynard den Gesuchten am Abend des 21. November 1718 auf – am nächsten Morgen griff er an.

Nach einem kurzen Seegefecht sah Blackbeard zunächst wie der sichere Sieger aus. Er hatte mit jeweils einer Breitseite beide feindlichen Schiffe schwer beschädigt und etwa ein Drittel der Männer kampfunfähig gemacht oder getötet. Siegessicher ließ sich der Pirat an Maynards Schiff heranbringen, um es zu übernehmen. Kaum hatte er jedoch das Deck betreten, stürmten aus dem Laderaum etwa ein Dutzend Männer, die sich dort versteckt hatten, und verwickelten Blackbeard und seine Crew in einen Nahkampf. Damit hatten die Seeräuber nicht gerechnet. Möglicherweise steckte ihnen auch noch eine durchzechte Nacht in den Gliedern. Am Ende des Gefechts hatten beide Seiten etwa zehn Männer verloren – die Piraten allerdings zusätzlich ihren Anführer. Blackbeard war tot. Sein Körper war mit insgesamt fünf Schuss- und etwa 20 Schnittwunden übersät. Der Leichnam wurde über Bord geworfen, der abgeschlagene Kopf auf eine Stange aufgespießt und in der Nähe eines Hafens in Virginia ausgestellt.

Es war ein Zeichen der Zeit. Die Geduld mit den Freibeutern, die jahrelang weitgehend ungestört ihr Spiel trieben, war nun endgültig vorbei: Entlang der gesamten Atlantik- und Karibikküste wurde die Suche nach den Piraten intensiviert. Auch auf 14 von Blackbeards Gefolgsleuten wartete der Henker. Sie wurden zum Tod verurteilt, am Galgen hingerichtet und schließlich an einer Straße in Virginias Hauptstadt Williamsburg zur Abschreckung ausgestellt. Nur wenige Wochen später hing auch Stede Bonnet, der zwischenzeitlich zur Seeräuberei zurückgekehrt war, am Strick. Benjamin Hornigold hingegen hatte die Seiten gewechselt. Auf der Jagd nach seinen ehemaligen Kollegen besiegelten 1719 ein Hurrikan und ein Riff sein Schicksal und das seiner Crew. Es war das Schlusskapitel im goldenen Zeitalter der Piraterie. Wer nun noch mit Kaperfahrt seinen Lebensunterhalt verdienen wollte, setzte Segel Richtung Westafrika. Ab 1720 waren die Piraten der Karibik Geschichte.

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