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Aliens: Eine Formel für außerirdisches Leben

Ein japanischer Astrophysiker hat eine besondere Gleichung aufgestellt. Sie soll verraten, wie häufig Leben im Universum entsteht. Das Ergebnis ist kurios.
Alien-Gebilde

Wahrscheinlichkeiten, so klein sie auch sein mögen, stellen ein Problem dar, das auf kosmologischen Skalen schnell an Bedeutung verliert. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir jemals auf außerirdisches Leben treffen werden, könnte zum Beispiel extrem gering sein, während es jenseits der Grenzen des beobachtbaren Universums welches geben müsste – das behauptet jedenfalls der japanische Kosmologe Tomonori Totani.

Jemals dort nachsehen wird zwar weder er noch sonst jemand, schließlich können wir nur jene Regionen des Alls beobachten, deren Licht uns in den 13,8 Milliarden Jahren seit dem Urknall erreicht hat. Ein wesentlicher Teil des Kosmos bleibt uns damit verborgen. Doch Totani hat genug davon, bloß unsere kosmische Nachbarschaft nach einer Erde 2.0 abzuklappern. Er stellt die Frage nach Außerirdischen daher aus einer neuen Perspektive – und meint sie in einem noch nicht von Gutachtern geprüften Aufsatz auf der Onlineplattform »arXiv« auch gleich beantworten zu können.

Eine Formel für außerirdisches Leben

Möglich macht das eine Formel, die nichts Geringeres ausrechnet als die Häufigkeit von Leben im gesamten Universum – also auch in jenem Teil, den wir Menschen nicht einsehen können. Leben, das bedeutet für Totani zunächst einmal Ribonukleinsäure, kurz RNA. Wie unsere DNA setzt sich die Polymerverbindung aus vier verschiedenen Bausteinen zusammen, so genannten Nukleotiden. Und wie DNA kann RNA durch deren Verknüpfung genetische Informationen speichern.

Vor langer, langer Zeit, so erzählen es sich Forscher, gab es auf der Erde einmal eine »RNA-Welt«, in der die kleine, etwas einfach gestrickte Schwester unserer DNA den großen Schritt vom Dreck zum Leben anstieß. Ein zufällig gebildeter RNA-Strang aus genügend richtig angeordneten Nukleotiden könnte damals begonnen haben, sich selbst zu vervielfältigen und verändern, so die Theorie. Was »genügend« dabei in Zahlen bedeutet, ist allerdings unklar. Genauso wie es alles andere als bewiesen ist, dass es wirklich einmal eine »RNA-Welt« gegeben hat.

Totani jedenfalls geht in seinem Paper davon aus, fügt jedoch hinzu, dass seine Rechnungen auch auf andere Szenarien anwendbar seien, solange sie auf Polymerbildung basieren. Er rechnet mit einem Minimalwert von 40 bis 60 Nukleotiden, die korrekt miteinander verknüpft die Vorstufe von Leben bilden könnten. Der Japaner beruft sich dafür auf Studien, die unter speziellen Laborbedingungen RNA-Stränge von 150 wahllos verbundenen Nukleotiden zu Stande gebracht haben. Die meisten RNA-Polymere Marke Eigenbau waren allerdings wesentlich kürzer. Und auch die für Leben notwendige Selbstreplikation ließ sich in den Arbeiten nicht belegen.

Wie die Drake-Formel, nur anders

»Vor meiner Arbeit herrschte Konsens, dass die Wahrscheinlichkeit extrem gering ist, ein Informationsträger-Polymer nur durch rein zufällige Reaktionen zu bilden«, sagt der Astrophysiker. »Stattdessen zogen viele Forscher die Existenz eines noch unbekannten schnelleren Prozesses in Betracht.« Er hingegen geht davon aus, dass sich dutzende Puzzlestücke von ganz allein in exakt der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt haben – durch puren Zufall. Das ist zwar ziemlich unwahrscheinlich. Aber irgendwann müsste es klappen, oder? Und wenn nicht im beobachtbaren Universum, dann sicherlich außerhalb davon? »Meine Zahlen zeigen, dass das Universum groß genug ist, um eine zufällige Polymerbildung erwarten zu können.« Ein hypothetischer Mechanismus sei unnötig, um die Entstehung von Leben zu erklären.

Nun sind gesicherte Zahlen für das gesamte Universum leider spärlich gesät. Und so erinnert seine Formel an die berüchtigte Drake-Gleichung für die Durchwahl zu E.T.: eine lange Kette aus Faktoren, die mit ein wenig gutem Willen jedes gewünschte Ergebnis liefern, wenn man nur bemüht genug abschätzt, was wir in manchen Fällen noch nicht, in anderen niemals werden wissen können.

Einer der Faktoren in der Gleichung ist beispielsweise, wie viele Sterne es gibt, um die Leben überhaupt entstehen könnte. Etwa 100 bis 400 Milliarden Sonnen brennen in unserer Milchstraße; im gesamten beobachtbaren Universum kommen Schätzungen auf etwa 1022 bis 1024 Sterne.

Totani geht mit seiner Gleichung über den Rand des beobachtbaren Universums hinaus, so weit, dass Licht von dort länger zu uns bräuchte, als die Zeit existiert, und die empirische Wissenschaft an ihre Grenzen gelangt. Wie groß unser Universum heute ist, hängt an einem winzigen Augenblick kurz nach seiner Geburt, in dem es sich exponentiell ausgedehnt hat. Je länger diese Inflation andauerte, desto größer ist das heutige Universum.

In ein größeres Universum, so die Argumentation des Japaners, passen auch mehr Sterne. Und im Vergleich machen die Extrasterne wirklich etwas her: In fast jedem Inflations-Universum findet Totani statistisch gesehen mindestens einmal Leben. Unsere kleine beobachtbare Blase hingegen bringt gemäß seinen Rechnungen hingegen nur dann eine Evolution zu Stande, wenn die schon ab mickrigen 32 Nukleotiden einsetzt. Seine Schlussfolgerung: »In Anbetracht meiner Ergebnisse glaube ich leider nicht, dass Menschen jemals Leben fern der Erde entdecken werden.«

Außerirdische: Überall oder nirgendwo?

Dass Leben im beobachtbaren Universum mindestens einmal entstanden ist, lässt sich derweil schwer bezweifeln. Ebenso schwer ist es, aus dieser Tatsache irgendetwas Sinnvolles zu schließen. Die Erde ist keine zufällige Stichprobe, sondern selektive Wahrnehmung: Herrschten bei uns nicht die passenden Bedingungen, könnte auch niemand über die Wahrscheinlichkeit seiner eigenen Existenz philosophieren. Trotzdem hält Totani solche Forschung für wichtig: »Manchmal ist ein Gedanke, der sich empirisch nicht bestätigen lässt, unerlässlich, um Aspekte der Natur zu verstehen.« Und Hoffnung bestehe immer. »Als um 1980 die Theorie der kosmischen Inflation aufkam, war es unvorstellbar, sie durch Beobachtungen zu bestätigen«, erklärt der Astrophysiker. Jetzt macht es der technologische Fortschritt möglich, Teile davon zu prüfen. Totani ist deshalb zuversichtlich, dass sich seine Theorie vielleicht in 30 Jahren empirisch testen lässt – »auf Wegen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können«.

Ob seine Überlegungen den großen Durchbruch in der Frage nach Außerirdischen bringen, bleibt trotzdem fraglich. Schließlich konnten sich Experten noch nie so recht darauf einigen, ob die Menschheit nahezu allein ist, es im Universum vor Leben nur so wimmelt oder sich nichts über dessen Wahrscheinlichkeit sagen lässt.

So ist das eben bei den ganz großen Fragen des Universums. Nur eines scheint klar zu sein: Um mit Sicherheit zu entscheiden, wie häufig kleine, grüne RNA-Strängchen sind, wird man erst welche finden müssen. Schade eigentlich, denn sollten Totanis Zahlen stimmen, wird er wohl nie davon erfahren. »Leben da draußen zu entdecken, wäre natürlich fantastisch! Persönlich, nicht als Wissenschaftler, hoffe ich, dass meine Theorie falsch ist.«

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