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Anteilnahme: Erst die Katastrophe, dann »Gedanken und Gebete«

»Gedanken und Gebete« bekommen Katastrophenopfer immer reichlich angeboten. Jetzt zeigt eine Studie: Atheisten würden sogar dafür zahlen, dass keiner betet.
Gebet in der Kirche

Gerade in den USA wird den Opfern von Unglücksfällen eine besondere Form religiöser Anteilnahme in Aussicht gestellt: Politiker verkünden öffentlich, sie in ihre »Gedanken und Gebete« einschließen zu wollen. Wie eine aktuelle Studie nun ergab, missfällt die Floskel offenbar vielen nicht religiösen Menschen. Im Experiment waren Menschen sogar bereit, auf Geld zu verzichten, nur um in niemandes Nachtgebet aufzutauchen.

Die Studie haben die Wissenschaftlerinnen Linda Thunström von der University of Wyoming in Laramie und Shiri Noy von der Denison University in Granville durchgeführt. Erschienen ist sie nun im Fachmagazin »PNAS«. Ihr Ziel war es herauszufinden, welchen Wert gläubige und nicht gläubige Menschen dieser Form der Anteilnahme beimessen, konkret: welchen Geldbetrag sie für die Fürbitte Fremder auszugeben bereit wären.

Dazu nahmen insgesamt 482 Freiwillige an einem Onlinetest teil. Die Probanden stammten alle aus dem US-Bundesstaat North Carolina, der Monate vor dem Experiment von einem Wirbelsturm heimgesucht worden war. Rund ein Drittel der Probanden hatte durch das Unwetter persönlich Schaden genommen. Der Rest der Probanden sollte ein persönliches Unglück aus dem Jahr zuvor beschreiben. Dann durchliefen sie ein komplexes »Preisfindungsverfahren«, bei dem sie auf einer langen Liste verschiedener Angebote ihre Präferenzen wählen konnten, etwa ob sie lieber die Gebete eines Fremden plus vier Dollar zur Linderung ihrer Sorgen und Nöte entgegennähmen oder keinerlei fremde Anteilnahme plus nur einen Dollar zur Linderung ihrer Sorgen und Nöte.

Anschließend wählte ein Computer nach dem Zufallsprinzip eins der gewählten Angebote aus – und die Teilnehmer bekamen dann den entsprechenden Geldbetrag gutgeschrieben. Wo sich Probanden Gebete ausgesucht hatten, beauftragten die Forscherinnen dann auch tatsächlich einen Geistlichen und digitale Leiharbeiter, um für die Betroffenen zu beten oder über deren Unglück zu meditieren.

Die Auswertung zeigte, dass sich Gläubige durchaus von der religiösen Anteilnahme etwas versprechen. Besonders die Gebete eines Geistlichen waren ihnen im Schnitt über sieben US-Dollar wert. Atheisten oder Agnostiker hingegen lehnten offenbar vor allem die Gebete Fremder ab: Sie wiesen ihnen einen Wert von umgerechnet rund minus 3,50 US-Dollar zu – das bedeutet, sie waren bereit, auf mehr als die Hälfte der ihnen zu Beginn des Experiments in Aussicht gestellten fünf Dollar zu verzichten.

»Gedanken und Gebete« würden freilich nicht auf dem Markt gehandelt, schreiben Thunström und Noy. Folglich kommt auch niemand in die Verlegenheit, tatsächlich dafür in die Tasche zu greifen. Mit ihrer Untersuchung wollten sie vielmehr eine wachsende Kritik an dieser Floskel aufgreifen, die, wie ihr Experiment zeigt, einen nennenswerten Teil der Bevölkerung vor den Kopf stößt. Kritiker wenden zudem ein, dass der ständig wiederholte Verweis auf göttliche Hilfe einem effektiven Katastrophenmanagement und der Abwehr von Unglücken entgegenstehe.

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