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Sex-Evolution: Oktopusse haben ältestes Geschlechtschromosom

Eigentlich sind Geschlechtschromosomen evolutionär instabil. Doch bei Oktopussen reguliert ein Stück Erbgut seit rund 350 Millionen Jahren den Tentakelsex.
Kalifornischer Zweipunktkrake
Oktopusse sind in vielerlei Hinsicht faszinierend. Und nun haben sie auch noch ein außergewöhnliches Geschlechtschromosom.

Viele Tiere und Pflanzen besitzen Geschlechtschromosomen, auf denen die Gene sitzen, die über das Geschlecht eines Individuums bestimmen. Diese besonderen Teile des Erbguts sind extrem divers und variabel und neigen dazu, im Verlauf der Evolution instabil zu werden. Eine Ausnahme jedoch scheinen Oktopusse zu sein. Wie eine Arbeitsgruppe um Gabrielle C. Coffing von der University of Oregon berichtet, lässt sich das Z-Chromosom des Kalifornischen Zweipunktkraken (Octopus bimaculoides) bis zu 455 Millionen Jahre in die Vergangenheit zurückverfolgen. Es ist damit das älteste stabile Geschlechtschromosom der Tierwelt und eines der ältesten aller Lebewesen überhaupt.

Für ihre jetzt auf dem Fachveröffentlichungsportal »biorXiv« publizierte, bisher aber noch nicht begutachtete Studie las die Arbeitsgruppe das Genom eines Zweipunktkraken-Weibchens nach Chromosomen getrennt aus. Dabei entdeckte sie, dass eines der Chromosomen anscheinend hemizygot ist – seine Gene haben kein Gegenstück auf einem zweiten Chromosom. Normalerweise enthält jede Zelle zwei Kopien des Chromosomensatzes. Eine Ausnahme von dieser Regel sind Geschlechtschromosomen: Das menschliche Y-Chromosom etwa kommt in der Zelle nur einmal vor, und bei Männern ist auch das X-Chromosom hemizygot. Bei Vergleichen mit anderen männlichen und weiblichen Oktopussen stellte das Team um Coffing fest, dass Weibchen dieser Art nur ein Z-Chromosom ohne Gegenstück tragen, Männchen aber zwei. Wie es schreibt, ist dieser Befund der erste Nachweis für eine solche genetische Geschlechtsbestimmung über ein Geschlechtschromosom bei Oktopussen.

Eine weitere Überraschung kam bei einem Vergleich mit anderen Kopffüßern zu Tage. Im Erbgut von drei anderen Kraken und drei Kalmaren fanden die Fachleute ebenfalls das Z-Chromosom – und konnten zeigen, dass es sogar beim evolutionär am weitesten von den Kraken entfernten Zwergtintenfisch (Euprymna scolopes) die gleiche Funktion erfüllt. Die beiden Linien begannen sich in der Evolution vor etwa 339 Millionen Jahren zu trennen, so dass das Z-Chromosom damals bereits existiert haben muss. Dagegen besitzt der Nautilus, ein Kopffüßer mit Schale, kein Z-Chromosom; diese Linie trennte sich von 455 bis 378 Millionen Jahren von den anderen Kopffüßern. Daraus schließt das Team, dass das Z-Chromosom am wahrscheinlichsten vor 378 bis 339 Millionen Jahren entstand – etwa zu jener Zeit, als die ersten Wirbeltiere begannen, an Land zu leben. Ältere stabile Geschlechtschromosomen haben nur die Lebermoose: Bei ihnen entstanden die eigenwilligen Erbgutfragmente vor 430 Millionen Jahren.

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