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Physik: Grenzfall für Schwarze Löcher

Einerseits sollten Schwarze Löcher immer etwas Masse verlieren, andererseits verhindert ihre Ladung irgendwann möglicherweise, dass sie weiter schrumpfen. Neue Versuche, den Konflikt zu lösen, offenbaren unerwartete Verbindungen zwischen fundamentalen physikalischen Größen.
Schwarzes Loch

In den Gedankenexperimenten, mit denen Physiker die Extreme des Kosmos ausloten, spielen Schwarze Löcher seit Jahrzehnten eine Hauptrolle. Die dunklen Gebilde entstehen aus konzentrierter Materie, die durch ihre Schwerkraft bis zu einer bestimmten Entfernung alles gefangen hält, selbst Licht. Laut der Relativitätstheorie entspricht die Gravitation einer Krümmung im Gewebe aus Raum und Zeit; doch unmittelbar um das Zentrum eines Schwarzen Lochs ist die Struktur der Raumzeit enorm verzerrt, und Einsteins Gleichungen versagen. Generationen von Physikern haben in theoretischen Untersuchungen von Schwarzen Löchern nach Hinweisen auf eine mögliche Quantennatur der Schwerkraft gesucht, die sich hier offenbaren müsste.

Die Bestrebungen gehen auf Stephen Hawking zurück. Der britische Physiker berechnete 1974, dass Quanteneffekte am Rand Schwarzer Löcher diese langsam verdampfen lassen: Sie schrumpfen, während sie Wärmestrahlung abgeben. Das Phänomen prägt seither die Suche nach einer Quantengravitation.

In jüngerer Zeit sind Physiker auf neue theoretische Ansätze gestoßen, indem sie sich näher mit besonders grenzwertigen Vertretern der Schwarzen Löcher beschäftigt haben. Die Objekte erhalten nämlich elektrische Ladung, wenn geladenes Material in sie hineinfällt. Diese behalten sie, während sie auf die von Hawking beschriebene Weise schrumpfen und wieder an Masse verlieren. Das führt zu einer Grenze, bei der Schwarze Löcher eine Art Sättigungspunkt erreichen. Dort speichern sie so viel elektrische Ladung wie für ihre Größe möglich. Sie sind »extremal« und können nicht weiter verdampfen.

Grant Remmen, ein Physiker an der University of California in Berkeley, findet die Vorstellung unplausibel, ein extremales Schwarzes Loch würde »aufhören zu strahlen und einfach nur noch dasitzen«. Dann wäre das Universum in ferner Zukunft mit winzigen, unzerstörbaren Überresten Schwarzer Löcher übersät – zahllosen kleinen Exemplaren, die nicht völlig verdampfen konnten, weil sie einen Hauch von Ladung tragen. Was passiert mit all jenen extremalen Schwarzen Löchern? Viele Wissenschaftler vermuten, sie zerfallen auf irgendeinem anderen Weg.

2006 erkannte ein Team aus vier Stringtheoretikern, dass extremale Schwarze Löcher nur verschwinden können, wenn die Gravitation die schwächste Kraft in jedem denkbaren Universum ist – eine ziemlich starke Aussage über die Beziehung der Wechselwirkungen untereinander. Die Erkenntnis ermöglichte eingehendere Untersuchungen. 2017 entdeckten Remmen und seine Kollegen Clifford Cheung und Junyu Liu vom California Institute of Technology in Pasadena: Die Stabilität extremaler Schwarzer Löcher hängt direkt von einer weiteren Schlüsseleigenschaft solcher Objekte ab, nämlich ihrer Entropie. Diese ist ein Maß dafür, auf wie viele verschiedene Arten die kleinsten Bestandteile eines Systems angeordnet sein können. Die Entropie ist eine der theoretisch am besten untersuchten Eigenschaften Schwarzer Löcher, aber bisher war nicht klar, dass sie etwas mit ihrer extremalen Grenze zu tun hat. Cheung resümiert: »Plötzlich schienen zwei sehr coole Dinge miteinander verbunden zu sein.«

Im März 2020 stellte sich diese Verbindung sogar als nur ein Beispiel für eine grundsätzliche Eigenschaft der Natur heraus. Garrett Goon und Riccardo Penco von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh erweiterten die früheren Untersuchungen zu einer einfachen, universellen Formel. Sie setzt Energie und Entropie zueinander in Beziehung und gilt für ein klassisches thermodynamisches System wie ein Gas ebenso wie für Schwarze Löcher. Mit den jüngsten Berechnungen »erfahren wir mehr über die Quantengravitation«, kommentiert Goon. »Aber vielleicht noch interessanter ist, dass wir zudem etwas über alltäglichere Dinge lernen.«

Quantenkorrekturen am Horizont haben weit reichende Konsequenze

Dass geladene Schwarzer Löcher überhaupt an eine extremale Grenze stoßen, ist für theoretische Physiker nicht sonderlich schwer herzuleiten. Dazu kombinieren sie die Gleichungen Einsteins und diejenigen des Elektromagnetismus, die James Clerk Maxwell im 19. Jahrhundert aufgestellt hat. Rechnet man mit den passenden Einheiten, lautet das Ergebnis: Die Ladung Q eines Schwarzen Lochs kann niemals dessen Masse M übersteigen. Gemeinsam bestimmen Masse und Ladung des Schwarzen Lochs seine Größe, das heißt den Radius des Ereignishorizonts. Zugleich erzeugt die Ladung des Schwarzen Lochs allein einen zweiten, inneren Horizont, der sich hinter dem Ereignishorizont verbirgt (siehe »Wie extremale Schwarze Löcher zerfallen könnten«). Wenn Q wächst, dehnt sich der innere Horizont aus. Bei Q = M fallen beide Grenzen zusammen. Nähme Q darüber hinaus zu, würde der Radius des Ereignishorizonts zu einer komplexen Zahl, es käme also die Quadratwurzel einer negativen Zahl ins Spiel. Physikalisch ergäbe das keinen Sinn.

Sobald ein schrumpfendes Schwarzes Loch auf so eine Situation zuläuft, gäbe es prinzipiell eine Option für einen weiteren Zerfall: Es könnte sich in zwei kleinere Exemplare aufspalten. Doch dafür müsste nach den Gesetzen der Energieerhaltung und der Ladungserhaltung eines der Tochterobjekte am Ende mehr Ladung als Masse besitzen, und gerade das sollte ja nicht passieren.

Wie extremale Schwarze Löcher zerfallen könnten | Schwarze Löcher, die keine Ladung tragen, verdampfen irgendwann vollständig. Doch ein geladenes Schwarzes Loch erreicht schließlich eine Grenze, an der es extremal wird: Dann ist es so klein, wie es auf Grund seiner Ladung überhaupt möglich ist. Was passiert dann?

Die bereits genannte Veröffentlichung von 2006 zeigte allerdings einen Weg auf, über den sich Schwarze Löcher dennoch derartig aufteilen könnten. Die Theoretiker Nima Arkani-Hamed, Lubos Motl, Alberto Nicolis and Cumrun Vafa stellten fest, dass die Kombination der Gleichungen von Einstein und Maxwell für winzige, stark gekrümmte Schwarze Löcher nicht gut funktioniert. Auf kleineren Skalen werden zusätzliche Details wichtiger, die mit den quantenmechanischen Eigenschaften der Gravitation zusammenhängen. Das verschiebt den Augenblick, in dem ein Schwarzes Loch extremal wird. Die vier Physiker zeigten: Die Korrekturen werden umso bedeutsamer, je kleiner das Schwarze Loch ist. So entfernt sich die Grenze des Erlaubten allmählich von Q = M.

Den Forschern zufolge können kleine Schwarze Löcher sogar mehr Ladung als Masse enthalten, wenn die Korrekturen das richtige Vorzeichen haben. Für solche Exemplare gilt Q > M, also genau das, was für den Zerfall großer extremaler Schwarzer Löcher erforderlich ist. Sofern dies der Fall ist, ergibt sich daraus eine folgenschwere Tatsache: Die Gravitation muss die schwächste Kraft sein. Die Ladung eines Objekts Q ist ein Maß für seine Empfindlichkeit gegenüber jeder anderen Kraft als der Schwerkraft, während die Masse M mit der Gravitation verbunden ist. Q > M ordnet so zugleich die Kräfte nach ihrer Stärke.

Ausgehend von der Annahme, dass Schwarze Löcher zerfallen können, stellten die vier Physiker die weit reichende Vermutung auf, die Schwerkraft sei die schwächste Kraft in jedem möglichen Universum. Das heißt: Objekte mit Q > M existieren immer, für alle Arten von Ladung Q, unabhängig davon, ob es sich bei den Objekten um Teilchen wie Elektronen (die in der Tat weitaus mehr elektrische Ladung als Masse tragen) oder kleine Schwarze Löcher handelt.

Diese »Vermutung der schwachen Gravitation« (englisch: weak gravity conjecture) wurde enorm einflussreich und hat eine Reihe weiterer Ideen zur Quantengravitation beflügelt. Aber Arkani-Hamed, Motl, Nicolis und Vafa haben keinesfalls bewiesen, dass Q > M gilt oder extremale Schwarze Löcher zerfallen. Die Korrekturen der Quantengravitation könnten ebenso ein anderes Vorzeichen haben – ein negatives statt eines positiven. Dann würden kleine Schwarze Löcher sogar noch weniger Ladung pro Masse tragen als große. Extremale Exemplare zerfielen nicht, und ebenso wenig würde die Vermutung der schwachen Gravitation gelten. Die Forscher mussten also herausfinden, ob das Vorzeichen der Korrekturen in der Quantengravitation positiv oder negativ ist.

Die Frage nach solchen Korrekturen ist schon früher aufgekommen, und zwar in einem anderen, scheinbar nicht verwandten Zweig der Untersuchungen über Schwarze Löcher. In den 1970er Jahren entdeckten die Physiker Jacob Bekenstein und Stephen Hawking unabhängig voneinander: Die Entropie eines Schwarzen Lochs ist direkt proportional zu seiner Oberfläche. Die Entropie gilt allgemein als ein Maß für Unordnung. Etwas genauer genommen steht sie für die Anzahl der Möglichkeiten, wie die Bestandteile eines Objekts neu angeordnet werden können, ohne den Gesamtzustand zu ändern. Die Erkenntnis von Bekenstein und Hawking verband also die kleinsten inneren Komponenten eines Schwarzen Lochs mit dessen Äußerem. So wurde das »Flächengesetz der Entropie« zu einem wichtigen Anker auf dem Weg zu einer Theorie der Quantengravitation.

Bekenstein und Hawking leiteten ihr Gesetz ab, indem sie die einsteinschen Gravitationsgleichungen zusammen mit den Gesetzen der Thermodynamik auf die Oberfläche des Schwarzen Lochs anwandten. Sie behandelten diese als glatt und ignorierten jede Struktur auf kurzen Distanzen.

1993 zeigte der Physiker Robert Wald von der University of Chicago, wie es genauer geht. Mit einigen Tricks schloss er auf die kleinen Effekte, ohne dabei eine vollständige Beschreibung kennen zu müssen. Seine Taktik, die der theoretische Physiker Kenneth Wilson in einem anderen Kontext entwickelt hatte, bestand darin, jeden möglichen physikalischen Effekt aufzuschreiben. Wald zeigte, wie man Einsteins Gleichungen eine ganze Reihe von zusätzlichen Termen hinzufügen kann – Hauptsache, sie haben die richtigen physikalischen Dimensionen und Einheiten und enthalten alle relevanten Variablen. Die Hoffnung dahinter war, manche davon würden die unbekannten Eigenschaften der Oberfläche eines Schwarzen Lochs auf kurzen Distanzen beschreiben.

Zwar werden die einzelnen Konstrukte aus den zahlreichen Variablen immer unübersichtlicher, aber glücklicherweise kann die Reihe bereits nach einigen Termen abgebrochen werden, da die komplizierteren Teile kaum noch zur endgültigen Antwort beitragen. Sogar viele der führenden Terme lassen sich streichen, weil sie die falschen Symmetrien haben oder Konsistenzbedingungen verletzen. Schließlich bleiben nur wenige Terme von Bedeutung übrig, die Einsteins Gravitationsgleichungen modifizieren. Die Lösung der so ergänzten Gleichungen liefert dann genauere Aussagen über die Eigenschaften Schwarzer Löcher.

Wald durchlief diese Schritte und berechnete, wie kurzreichweitige Effekte das Gesetz von Bekenstein und Hawking abändern. Mit ihnen ist die Entropie eines Schwarzen Lochs nicht mehr exakt proportional zur Fläche. Es ist zwar unmöglich, die Verschiebung direkt auszurechnen – es handelt sich um Variablen mit unbekannten Werten –, aber die Korrekturen und damit auch die Änderungen bei der Entropie werden umso bedeutsamer, je kleiner das Schwarze Loch ist.

Verblüffende Verbindungen

2017 verwendeten Cheung, Liu und Remmen den grundlegenden Ansatz von Wald für Berechnungen zu geladenen Schwarzen Löchern. Sie modifizierten die Gleichungen von Einstein und Maxwell mit einer Reihe von zusätzlichen Termen, die von Effekten auf kleinen Distanzen herrühren, und fanden so eine Lösung für eine neue, korrigierte extremale Schranke. Zu ihrer Überraschung erkannten sie eine erstaunliche Parallele: Die Korrekturen zur extremalen Grenze eines geladenen Schwarzen Lochs stimmen genau mit denen zu seiner Entropie aus Walds Formel überein. Die Quantengravitation verändert beide Größen auf identische Art und Weise.

Aber weisen die entsprechenden Verschiebungen überhaupt in die richtige Richtung? Beide Korrekturen hängen von unbestimmten Variablen ab, sie können also prinzipiell entweder positiv oder negativ sein. Cheung und seine Kollegen haben für eine große Klasse von Szenarien und Modellen der Quantengravitation eine positive Entropieverschiebung berechnet. Sie argumentieren, das ergebe außerdem intuitiv Sinn. Schließlich steht die Entropie für all die verschiedenen denkbaren Zustände eines Schwarzen Lochs. Es scheint eine vernünftige Annahme zu sein, die Berücksichtigung von mehr mikroskopischen Details der Oberfläche würde neue mögliche Zustände aufdecken und somit zu mehr Entropie statt zu weniger führen. Dann wäre auch die Verschiebung der extremalen Grenze positiv, und kleinere Schwarze Löcher können mehr Ladung pro Masse speichern.

Andere Forscher merken jedoch an, die Ergebnisse stellten keinen eindeutigen Beweis für die Vermutung der schwachen Gravitation dar. Gary Shiu, ein theoretischer Physiker an der University of Wisconsin, hält die Vorstellung, die Entropie müsse immer zunehmen, sobald man die Quantengravitation in Betracht zieht, für eine »Intuition, die bloß, weil sie naheliegt, nicht immer wahr ist«.

Shiu hat Gegenbeispiele identifiziert: Modelle der Quantengravitation, bei denen kurzreichweitige Effekte die Entropie Schwarzer Löcher verringern. Diese Modelle sind zwar unrealistisch und verletzen die Kausalität oder andere fundamentale Prinzipien, aber Shiu geht es vielmehr grundsätzlich darum, dass die neu gefundene Verbindung zur Entropie an und für sich noch nicht rigoros beweist, dass extremale Schwarze Löcher immer zerfallen können oder die Gravitation stets die schwächste Kraft ist.

»Wenn die Vermutung der schwachen Gravitation richtig ist, sind Ansätze wie die Schleifenquantengravitation tot«
Jorge Santos, Institute for Advanced Study in Princeton und University of Cambridge

Zumindest in unserem Universum ist die Schwerkraft die schwächste der vier fundamentalen Kräfte. Die Vermutung, die Physiker schon so lange zu beweisen trachten, besagt: Es darf auch gar nicht anders sein. Abgesehen von unserem Universum scheint das tatsächlich in allen möglichen theoretischen Universen zu gelten, die sich im Rahmen der Stringtheorie ableiten lassen. Diese ist ein Kandidat für die Quantentheorie der Gravitation und basiert auf ausgedehnten, fundamentalen »Strings« sowie zusätzlichen Dimensionen der Raumzeit. Wenn Physiker mit Hilfe von Strings versuchen, ein Universum zu konstruieren, stellen sie unweigerlich fest, dass dort die Gravitation die schwächste Kraft ist. »Es ist schon sehr auffallend, wie das jedes Mal wieder passiert«, kommentiert Jorge Santos vom Institute for Advanced Study in Princeton und von der University of Cambridge.

Die Vermutung der schwachen Gravitation ist eine der wichtigsten in einer ganzen Reihe von »Sumpfland«-Vermutungen, die Stringtheoretiker in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufgestellt haben. Das sind spekulative Aussagen, die auf Gedankenexperimenten zur Frage beruhen, welche Arten von Universen möglich sind und welche nicht. Unmögliche Universen landen dabei im unbrauchbaren Sumpfland.

Ein definitiver Beweis, dass die Gravitation zwangsläufig am schwächsten ist, würde laut Santos bedeuten, die Quantengravitation müsse »eine Theorie der Vereinheitlichung sein«. Das heißt, wenn Q und M ein festes Verhältnis haben, sind ihre zugehörigen Kräfte Teil desselben mathematischen Rahmens. Santos merkt an, die Stringtheorie vereinige als einzige Theorie alle fundamentalen Kräfte auf solche Weise. Rivalisierende Ansätze wie die Schleifenquantengravitation etwa quantisieren die Schwerkraft, indem sie die Raumzeit in Stücke teilen, ohne die Kräfte selbst zu verbinden. »Wenn die Vermutung der schwachen Gravitation richtig ist, sind Ansätze wie die Schleifenquantengravitation tot«, meint Santos.

Von Schwarzen Löchern zur Thermodynamik

Jorge Pullin, der an der Louisiana State University die Schleifenquantengravitation untersucht, hält »tot« dagegen für einen viel zu dramatischen Begriff. Vielmehr könnte der Ansatz Teil einer größeren einheitlichen Theorie sein: »Die Schleifenquantengravitation schließt eine Vereinigung nicht aus. Wir haben Ideen zu einer solchen Struktur bloß nicht weiterverfolgt.« Shiu vergleicht das heutige Verständnis der Quantengravitation mit den Anfängen der Quantenmechanik: »Es gab diverse Ansichten dazu, was die richtige Theorie der subatomaren Welt sein sollte. Letztendlich stellten sich viele dieser Ahnungen nur als Teil eines weit größeren Bilds heraus.«

Möglicherweise haben die neuen Forschungsergebnisse noch Auswirkungen jenseits Schwarzer Löcher und Quantengravitation. In ihrer Veröffentlichung haben Goon und Penco die Korrekturen zur Entropie und zur Extremalitätsgrenze überarbeitet und neu berechnet. Dazu verwendeten sie nicht die mathematische Sprache der Schwerkraft und der Oberflächengeometrie Schwarzer Löcher, sondern ermittelten die Korrekturen allein mittels universeller thermodynamischer Größen wie Energie und Temperatur. So erhielten sie eine thermodynamische Beziehung zwischen Energie und Entropie, die in der Natur allgemein gelten sollte.

Im Fall von Schwarzen Löchern sagt die Formel der beiden Physiker das aus, was Cheung, Remmen und Liu bereits gezeigt haben: Die Quantengravitation verschiebt die Grenze zur Extremalität bei Schwarzen Löchern, wodurch diese mehr Ladung pro Masse enthalten können, und sie verändert die Entropie im gleichen Verhältnis dazu. Man könnte alternativ sagen, ein Schwarzes Loch mit fester Ladung darf weniger Masse besitzen. Masse ist eine Form von Energie, und daher kann man sich die Verringerung als eine Verschiebung der Energie vorstellen, die umgekehrt proportional zur Veränderung der Entropie läuft.

Bei Schwarzen Löchern rühren die Auswirkungen auf Energie und Entropie von unbekannten Details der Quantengravitation her. Allerdings gibt es ähnliche Situationen für jedes physikalische System nahe bestimmter Grenzen. Beispielsweise wird ein Gas auf eine gewisse Weise extremal, wenn es bis zum absoluten Temperaturnullpunkt abgekühlt wird. Die thermodynamische Formel von Goon und Penco verbindet nun mit jeder Änderung der mikroskopischen Eigenschaften des Gases, etwa der Art der Atome, aus denen es besteht, gleich große und entgegengesetzte Verschiebungen seiner Energie und Entropie. Goon zufolge könnte die Beziehung bei Untersuchungen ultrakalter Gase und anderen Experimenten bei tiefsten Temperaturen nützlich sein, weil sich einer der Werte manchmal leichter berechnen lasse als der andere.

Unabhängig davon, ob sich die Entropie-Energie-Beziehung in irdischen Bereichen der Physik jemals als praktisch erweisen wird, haben die Forscher noch viel Arbeit vor sich, um die Bedeutung der neu entdeckten Verbindung für Schwarze Löcher und die Natur der Gravitation zu ergründen. Cheung fasziniert bereits die Aussicht darauf, schlechthin Aussagen darüber treffen zu können, warum die Gravitation die schwächste Kraft ist: »Die Tatsache, dass diese Frage überhaupt zur Diskussion steht, dass sie sich nicht bloß philosophisch beantworten lassen könnte und dass sie über so verschlungene Wege mit der Entropie verbunden ist, die für Schwarze Löcher so bedeutsam ist – das erscheint verrückt.«

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  • Quellen

Arkani-Hamed, N. et al.: The string landscape, black holes and gravity as the weakest force. ArXiv, hep­th/0601001, 2006

Cheung, C. et al.: Proof of the weak gravity conjecture from black hole entropy. Journal of High Energy Physics 2018, 2018

Goon, G., Penco, R.: Universal relation between corrections to entropy and extremality. Physical Review Letters 124, 2020

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