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Kälteeinbruch: Kommt jetzt der Schneewinter?

Der aktuelle Wintereinbruch ist nachhaltig: Es bleibt erst einmal eine Weile kalt. Doch langfristig wird wohl auch dieser Winter zu warm. Lediglich ein schwer vorhersagbares atmosphärisches Phänomen macht Hoffnung auf weiße Weihnachten.
Blick auf eine verschneite, mit Straßenlaternen beleuchtete Parklandschaft bei Nacht.
Ein paar Tage Winterwunderland: Bis weit in die nächste Woche hinein bleibt es kalt. In Teilen Deutschlands kann es sogar ergiebig schneien.

In diesem Jahr will es der Winter schon im November wissen. Ungewöhnlich früh haben sich große Teile Deutschlands in eine weiße Landschaft verwandelt, von Flensburg bis Freiburg ist es ziemlich kalt geworden. Hauptsächlich die Mittelgebirge sind tief verschneit, aber sogar im Tiefland hat sich verbreitet eine Schneedecke gebildet. In manchen Region liegt jetzt schon mehr Schnee als im gesamten Winter vor einem Jahr. Schnee und Eis haben das Land fest im Griff, und dabei hat der Dezember noch gar nicht begonnen. Droht jetzt ein strenger Winter? Und wird das Gas am Ende doch knapp in Deutschland?

Die Nachrichten klingen jedenfalls wie aus dem tiefsten Winter vergangener Jahrzehnte: In Hessen wurden zu Wochenbeginn etwa 100 Autofahrer in ihren Fahrzeugen eingeschneit, mancherorts fiel die Schule aus. Am Mittwoch dann brachte ein neues Schneetief dem Norden eine weiße Decke und in Bayern kam es zu zahlreichen Unfällen wegen Eis. Und zum Donnerstag und Freitag könnte eine Luftmassengrenze im äußersten Süden für reichlich Schnee und eine angespannte Verkehrslage sorgen, bevor zum Wochenende eisige Luft an die Alpen strömt und verbreitet Dauerfrost herrscht. Einige Modelle sehen zum Samstag sogar heftige Schneefälle im Süden aufkommen. Nachts droht dann bei Aufklaren strenger Frost unter minus zehn Grad.

»Die meisten wissen es einfach nicht besser«

Bei Schnee und Eis kommt es häufig zu Unglücken, die vermeidbar gewesen wären. Warum verhalten sich die Menschen nicht vorsichtiger? Die Antwort gibt der Psychologe und Risikoforscher Gerd Gigerenzer im Interview mit »Spektrum«.

Panikmache wegen ein paar Flocken? Keineswegs. Denn so früh wintert es in Deutschland zu dieser Jahreszeit nur selten, zudem ist früher Frost wegen des Klimawandels zur Ausnahme geworden. Seit etlichen Jahren kommt der Dezember eher wie ein Herbst- als ein Wintermonat daher, in nur 30 Jahren hat sich der letzte Monat des Jahres um fast anderthalb Grad erwärmt. Zudem handelt es sich beim gegenwärtigen Wintereinbruch nicht um einen kurzen Spuk, sondern wahrscheinlich um eine nachhaltige Einwinterung. Bis weit in die nächste Woche hinein bleibt es frostig in Deutschland.

Eiszapfen-Wetter im hohen Norden

Doch nicht nur Deutschland hat sich in einen Eisschrank verwandelt, sondern auch große Teile Europas. Vor allem Skandinavien bibbert unter grimmiger Kälte, wie ein Langlauf-Weltcup am vergangenen Wochenende im finnischen Ruka schmerzlich vor Augen führte. Viele Athleten litten bei minus 19 Grad unter Schwindel und Erfrierungen, der Schwede Calle Halfvarsson sogar unter einem eingefrorenen Penis, wie er zu Protokoll gab. Die selbst für Skandinavien ungewöhnliche Kälte ist kein Zufall: Nordeuropa ist seit Wochen von milder Atlantikluft abgeschottet und kühlt wegen der negativen Energiebilanz im Winterhalbjahr stark aus, produziert seine Kälte also quasi selbst. Damit ist Skandinavien eine kalte Insel, die einzige Region auf der Nordhalbkugel, wo es seit Oktober kälter ist als normal. Im Gegensatz dazu sind praktisch alle anderen Landmassen deutlich wärmer – eine Folge des Wetterphänomens El Nino. Weil dabei schlagartig Wärme aus dem Pazifik entweicht, steigt die globale Temperatur zusätzlich zum Klimawandel stark an. Das macht den ungewöhnlich frühen Wintereinbruch über Europa noch bemerkenswerter.

Die große Kälte im hohen Norden ist auch deshalb besonders, weil sich die Region in den vergangenen Jahrzehnten überdurchschnittlich stark erwärmt hat. Das Skandinavienhoch, einst ein Garant für tiefwinterliches Wetter, hat sich wie keine andere Großwetterlage im Winter erwärmt, fand der finnische Meteorologe Mika Rantanen in einer Studie heraus, die er in der Fachzeitschrift »Atmospheric Science Letters« veröffentlichte.

Der frühe Kaltstart lässt Erinnerungen wach werden. Manche sehen im Wetterverlauf bereits Parallelen zum Jahr 2010, als der Dezember letztmals deutlich zu kalt und schneereich ausfiel und vor allem der Norden und der Westen des Landes wochenlang unter knöchel- bis knietiefem Schnee verschwanden. Auch damals strömte eisige Polarluft schon Ende November gegen die Alpen und löste starke Schneefälle in Mitteleuropa aus. Eine stabile Hochdruckbrücke über dem Atlantik schottete den Kontinent damals für Wochen von milder Meeresluft ab.

Doch so wünschenswert eine Wiederholung des Dezembers vor 13 Jahren für Schneefreaks auch wäre: Die derzeitige Struktur der Wetterlage ähnelt der von damals bloß teilweise, das blockierende Hoch ist weniger stabil ausgeprägt. Deshalb ist es wahrscheinlicher, dass schnell wieder Tiefdruckgebiete vom Atlantik durchbrechen und eine milde Phase einleiten.

Inzwischen sind auch langfristige Vorhersagen möglich

Wie der Winter weitergeht, damit beschäftigt sich Kristina Fröhlich vom Deutschen Wetterdienst in Offenbach. Die Expertin für Langfristprognosen hat den ersten Kaltlufteinbruch der Saison zu Wochenbeginn hautnah miterlebt, in ihrem Wohnort Frankfurt waren fünf Zentimeter Schnee vom Himmel gefallen. Ein gutes Omen für einen schneereichen Winter?

Während sich viele Meteorologen für den Schnee von morgen interessieren, forscht Fröhlich über den Schnee von übermorgen. Sie erstellt saisonale Prognosen, schaut sich die mögliche Fortsetzung des Winters also für die kommenden Wochen und Monate an. Damit tun sich viele seriöse Meteorologen zwar immer noch schwer, doch die Forschung hat in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Dank leistungsfähiger Computer können die Meteorologen Fortschritte vorweisen, die vor Jahren noch undenkbar waren.

Dabei handelt es sich nicht um tagesgenaue Vorhersagen für bestimmte Orte wie im normalen Wetterbericht, sondern um grobe Trends über längere Zeiträume. Fröhlich kann also nicht sagen, ob der Heiligabend in Berlin weiß wird oder Dreikönig in München stürmisch, sondern nur, ob der Winter am Ende wärmer und feuchter im Vergleich zum 30-jährigen Durchschnitt ausfällt – oder eben kälter und trockener. Zudem berechnen die großen Wetterdienste neben solchen saisonalen Prognosen auch grobe Wetterlagenmuster für die nächsten Wochen, geben also indirekt einen Hinweis auf die vorherrschende Strömung in der erweiterten Mittelfrist. Diese wertet Fröhlich für den Deutschen Wetterdienst dann aus.

Wenig Hoffnung auf weiße Weihnachten

Mit diesen Informationen lassen sich grobe Aussagen über das Wetter der kommenden sechs Wochen treffen. Sie erlauben eine Prognose darüber, ob beispielsweise die Adventszeit weiterhin von einer kalten Nord- oder Ostlage geprägt sein wird oder ob die Luft zum zweiten Advent eher wieder aus Süden oder Westen heranströmt und eine milde Witterung wahrscheinlicher wird.

Schaut man sich diese aktuellen Prognosen für den Dezember an, ergibt sich so ein ziemlich eindeutiges Bild: Der erste Wintermonat wird verbreitet winterlich starten, schon bald aber dürfte die Strömung mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder auf West kippen. So berechnet es jedenfalls der europäische Wetterdienst ECMWF in seinen Sechs-Wochen-Prognosen. Zur Monatsmitte wäre damit die winterliche Stimmung schon wieder passé. Und auch zum Weihnachtsfest und danach bis Dreikönig sieht es nicht nach einer Rückkehr zu kälteren Temperaturen aus. Auf weiße Weihnachten sollte man in diesem Jahr also nicht allzu viel Hoffnung setzen.

»Winterprognosen sind generell einfacher als Sommerprognosen«Kristina Fröhlich, Deutscher Wetterdienst

Fröhlich dämpft die Hoffnung auf ein längeres Winterwunderland in Deutschland. Der Gesamtwinter werde eher normal bis warm ausfallen, sagt sie. Im Vergleich zu den ohnehin schon warmen Wintern der vergangenen 30 Jahre dürfte jener 2023/24 noch einmal ein Grad wärmer werden, wenn auch nicht so extrem warm wie im vergangenen Jahr. Eine gute Nachricht ist das immerhin für die immer noch angespannte Energieversorgung im Land: »Wenn sich die Prognose bewahrheitet, könnten wir Heizenergie sparen«, sagt Tobias Fuchs, Klimatologe beim DWD. Eine mögliche Gasmangellage, die im Fall eines sehr kalten Winters trotz gefüllter Gasspeicher droht, wäre damit vom Tisch.

Schnee-Joker für Winterfreunde

Völlige Entwarnung bedeutet das allerdings nicht. Trotz aller Fortschritte sind Langfristprognosen weiterhin mit Vorsicht zu genießen, man sollte ihre Aussagekraft nicht überbewerten. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich das Chaos in der Atmosphäre über einen längeren Zeitraum nur begrenzt vorhersagen lässt. Und dennoch waren die Prognosen für frühere Jahreszeiten schon erstaunlich gut. Bereits vor einem Jahr lag Fröhlich bei ihrer Langfristprognose richtig, als sie im November einen deutlich zu milden Winter voraussah – und sogar ein recht unterkühltes Frühjahr wegen einer Stratosphärenerwärmung im Spätwinter. Bis weit in den Mai hinein brachten Nordlagen kühles und regenreiches Wetter.

»Winterprognosen sind generell einfacher als Sommerprognosen«, sagt Fröhlich. Denn die Wettermodelle können die großräumigen Muster in der Atmosphäre in der kalten Jahreszeit mittlerweile erstaunlich gut abbilden. Das liegt daran, dass der Winter vor allem von der Dynamik der Hoch- und Tiefdruckgebiete geprägt ist, die sich in großen Wellen um die Nordhalbkugel bewegen. »Hochs und Tiefs dominieren das Wettergeschehen«, sagt sie. Und deshalb kann die Winterprognose gelingen, weil am Ende die Position der Hochs und Tiefs darüber entscheidet, ob es in einer bestimmten Erdregionen eben wärmer oder kälter ist. Im Sommer hingegen reicht die Lage der Hochs und Tiefs allein nicht aus. Wegen der starken Einstrahlung der Sonne kommen verstärkt vertikale Prozesse dazu. Sie erschweren eine Prognose über längere Zeiträume.

Also steht wieder ein trister, milder Winter bevor? So einfach ist es dann doch nicht. Denn im Gegensatz zum Sommer gibt es ein Phänomen im Winter, das sich zwar schlecht vorhersagen lässt, aber die Chancen auf Schnee und Kälte steigen lässt: eine Art Joker für Winterfreunde. Die Rede ist von der plötzlichen Stratosphärenerwärmung, eine schlagartige Erwärmung der Luft in 30 Kilometer Höhe. Dieses Wetterphänomen tritt unregelmäßig auf, stört allerdings die normale westliche Zirkulation auf der Nordhalbkugel oder kehrt sie sogar um eine in östliche Strömung, womit Kaltlufteinbrüche wahrscheinlicher werden. Im vergangenen Winter ereignete sie sich im Februar, deshalb blieb das Frühjahr unterkühlt. Der Schnee hielt Einzug, als ihn keiner mehr sehen wollte.

In diesem Winter sind die Vorzeichen auf eine Umkehr der Höhenwinde bereits jetzt so stark wie selten. Die Wettermodelle deuten auf eine massive Schwächung des Polarwirbels noch im Dezember hin. Insofern würde es nicht wundern, wenn der Schnee in diesem Winter ein häufigerer Gast als zuletzt sein wird.

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