Direkt zum Inhalt

Klimawandel : Zehntausende Vogelbruten in der Antarktis vernichtet

Stille in der Vogelkolonie: Wie sich Extremwetter auf die empfindlichen Ökosysteme der Polargebiete auswirken, konnte ein Forscherteam jetzt in der Antarktis erfahren.
Skuaküken in der Antarktis
Ein Skuaküken auf der Antarktischen Halbinsel. Die Südpolarskuas sind die seltenste der drei betroffenen Vogelarten.

Wenn der antarktische Sommer beginnt, etwa um die Jahreswende herum, ist für die wenigen dort brütenden Vogelarten die Zeit gekommen, den Nachwuchs aufzuziehen. Hochseevögel wie der Antarktissturmvogel und der Schneesturmvogel nutzen das kurze Zeitfenster, um in großen Kolonien aus tausenden, manchmal hunderttausenden Paaren ihre Küken in die Welt zu setzen.

Um herauszufinden, wie der Klimawandel das Leben in einem der empfindlichsten Ökosysteme der Welt prägt, begleiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Norwegischen Polarinstituts in Tromsø seit vielen Jahren das Treiben in den Seevogelkolonien am Svarthamaren. Dieser rund 200 Kilometer landeinwärts gelegene Berg in der Ostantarktis ist in den Sommermonaten zumeist eisfrei und deshalb für viele Vögel als Brutgebiet attraktiv. Als die Gruppe um den Jahreswechsel 2021/22 herum die Kolonien besuchte, empfing sie jedoch ein ungewohnter Anblick. Der Berg war in weiten Teilen überzogen mit einer Schneedecke, und statt des ohrenbetäubenden Lärms aus den Kehlen tausender kreischender Altvögel und ebenso vieler nach Nahrung bettelnder Jungen empfing sie Stille. Dasselbe Bild bot sich an weiteren Kolonien, wie sie jetzt im Fachjournal »Current Biology« berichtet.

»Wir wissen, dass in einer Seevogelkolonie bei einem Sturm einige Küken und Eier verloren gehen und der Bruterfolg geringer ist«, sagt Sébastien Descamps, Erstautor der Untersuchung, in einer Pressemitteilung. »Aber hier geht es um Zehn-, wenn nicht Hunderttausende von Vögeln, und keiner von ihnen hat sich während dieser Stürme fortgepflanzt. Ein Bruterfolg von null ist wirklich beispiellos.«

Schneesturmvögel brauchen schneefreie Brutgebiete | Ein Schneesturmvogelküken schaut aus der Höhle. Mit Infrarotkameras hat ein chinesisches Forscherteam hier die Vögel ausfindig gemacht.

Nach Analysen der Forscher trafen Stürme die Vögel ausgerechnet zu Beginn der sensibelsten Phase ihres Jahreszyklus. Einen Teil der Vögel dürfte das Extremwetter daran gehindert haben, überhaupt mit der Brut zu beginnen. Denn Schneesturmvögel legen ihre Eier natürlicherweise auf dem blanken Felsboden ab. Die Schneeschicht von durchschnittlich 25 Zentimeter Höhe raubte damit im ganzen Gebirgsmassiv geeignete Stellen für die Eiablage. Andere Vögel dürften an geschützten Stellen des Felsmassivs bereits mit der Brut begonnen oder sogar schon geschlüpfte Küken versorgt haben. Diese erfroren wegen der Kälte, weitere verhungerten wohl, weil die Altvögel auf dem sturmgepeitschten Meer kaum Nahrung gefunden haben dürften, vermuten die Forscher.

Verluste auf großer Fläche

Wie dramatisch der Verlust ist, zeigen die Daten aus den Vorjahren. In den vergangenen Jahren waren Svarthamaren und das nahe gelegene Jutulsessen zwei der größten Antarktissturmvogel-Kolonien der Erde und weltweit bedeutende Nistplätze für Schneesturmvögel und Südpolarskuas. In manchen Jahren brüteten dort allein mehr als 200 000 Antarktissturmvögel und viele Tausend der weniger häufigen Schneesturmvögel.

Die Zahl der insgesamt in der Antarktis verlorenen Bruten dürfte noch weitaus höher sein. »Es war nicht nur eine einzelne isolierte Kolonie, die von diesem extremen Wetter betroffen war«, sagt Descamps. Die Stürme hätten in großen Teilen der Region getobt. »Wir sprechen hier von Kolonien, die über hunderte Kilometer verteilt sind.« Wie eng unterschiedliche Arten in einem Ökosystem miteinander verbunden sind, zeigt der komplette Brutausfall auch bei den Südpolarskuas, der bei Weitem seltensten der drei betroffenen Vogelarten. Von dieser Art gibt es weltweit nur rund 6000 bis 7000 Paare. Den Schnee hätten einige der robusten Raubmöwenküken wahrscheinlich überstanden. Der Kollaps der Seevogelkolonien raubte ihnen aber die Nahrungsgrundlage, denn Eier und Küken der Sturmvögel sind die Hauptnahrung der Skuas.

Die Wissenschaftler sehen einen klaren Zusammenhang zwischen dem Extremwetterereignis mit dem Klimawandel. Seit einigen Jahren nähmen solche Ausnahmeerscheinungen zu, was neue Forschungsergebnisse bestätigten. »Unsere Studie zeigt überaus deutlich, dass diese Extremereignisse einen sehr starken Einfluss auf die Seevogelpopulationen haben, und Klimamodelle sagen voraus, dass die Schwere solcher Extremereignisse zunehmen wird«, sagt Descamps. Auch nach Berechnungen des Weltklimarats IPCC steigt die Temperatur in der gesamten Antarktis weiter an, was zu häufigeren Schneefällen und Schneestürmen führen wird. Die Forscher fürchten deshalb um das Überleben ganzer Arten mit gravierenden Folgen für das Ökosystem. »Mehrere wichtige antarktische Seevogelpopulationen sind bereits rückläufig, und die immer häufigeren schweren Stürme könnten bis hin zu ihrer Ausrottung führen«, warnen sie.

Schneetod und Hitzestress – zwei Seiten des Klimawandels

Die Erkenntnisse des Teams um Descamps sind nicht die ersten Berichte über deutliche Auswirkungen einzelner Wetterextreme für ganze Vogelpopulationen. Eine weitere dramatische Folge des Klimawandels haben Forscher und Forscherinnen der McGill University im kanadischen Montreal nachgewiesen. Sie gingen Berichten von Anwohnern der Hudson Bay nach, die beobachtet hatten, dass in den örtlichen Seevogelkolonien an besonders sonnigen Tagen viele Vögel starben. Die Wissenschaftler untersuchten daraufhin eine Kolonie von 30 000 Brutpaaren der Dickschnabellumme im nördlichen Teil der Hudson Bay. Um die Hitzetoleranz der an die arktische Kälte angepassten Vögel zu testen, maßen sie, wie sich deren Atemfrequenz und Flüssigkeitsverlust bei steigenden Temperaturen erhöhten. Dabei stellten sie fest, dass die Lummen schon bei Temperaturen um 21 Grad Celsius Anzeichen von Hitzestress zeigten. Grund dafür sei eine extrem schlechte Fähigkeit, Wärme abzuführen oder zu verlieren.

»Lummen haben die niedrigste Kühleffizienz, die jemals bei Vögeln festgestellt wurde«, fasst Emily Choy, die Hauptautorin der vor zwei Jahren im »Journal of Experimental Biology« erschienenen Untersuchung, das Ergebnis zusammen. Mit einem Gewicht von bis zu einem Kilogramm hätten Lummen im Verhältnis zu ihrer Größe eine sehr hohe Stoffwechselrate und damit einen hohen Energieverbrauch. Wenn sie, um sich abzukühlen, hecheln oder mit den Flügeln schlagen, produzierten sie ungewollt noch mehr Wärme.

Kälteangepasste Verlierer | Die Dickschnabellumme kommt mit niedrigen Temperaturen gut klar. Doch schon bei 21 Grad Celsius gerät sie in Hitzestress. Solche Temperaturen werden durch den Klimawandel im Norden Kanadas viel häufiger erreicht als früher.

Bislang gibt es allerdings nur wenige Studien, die sich mit den direkten Auswirkungen der Erwärmung auf die arktische Tierwelt befasst haben. »Überhitzung ist ein wichtiger und zugleich wenig untersuchter Effekt des Klimawandels auf die arktische Tierwelt«, bilanzierte Choy.

Das Ende für Eismöwe und Krabbentaucher?

Die Erwärmung in den Polarregionen kennt aber nicht nur Verlierer. Für Arten, die es eher wärmer mögen, eröffnet sich damit auch neuer Lebensraum. Descamps hat dazu nicht nur in der Antarktis geforscht, sondern ebenso am entgegengesetzten Ende der Erde, in der Arktis. Auf Spitzbergen ging er mit Kollegen vor einigen Jahren der Frage nach, ob der Klimawandel bereits zu einer Veränderung der arktischen Vogelartengemeinschaften geführt hat. Die Hypothese lautete: Arten, die an wärmere Bedingungen angepasst sind, breiten sich mit dem Klimawandel weiter polwärts aus – vor allem »boreale« Arten, die in der gemäßigt kalten Zone heimisch sind.

Mit seinem Team wertete er Daten aus dem Langzeitmonitoring von Brutkolonien der neun häufigsten Seevogelarten der Region aus und fand die Hypothese bestätigt. Von einigen Ausnahmen abgesehen lautet der zusammenfassende Befund: Hocharktische Arten nehmen in ihren Beständen teilweise sehr stark ab, während Arten der gemäßigt kalten Regionen zunehmen und auch in bislang für sie zu kalte arktische Gebiete vordringen können.

Die schnellsten Zuwächse wurden auf Spitzbergen bei sehr häufigen Brutvögeln der gemäßigten Zonen verzeichnet. Dazu zählen beispielsweise Skua, Eissturmvogel und Basstölpel. Auf der anderen Seite des Spektrums sanken die Bestände jener spezialisierten Arten, die ausschließlich in hocharktischen Zonen brüten, wie Elfenbein- und Eismöwen sowie Krabbentaucher. Die Studie belege, dass die Zusammensetzung der gesamten Vogelwelt in einer der ökologisch bedeutsamsten Erdregionen im Umbruch sei, schrieben die Autoren 2016 in ihrer im Fachjournal »Ecology« erschienenen Studie.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.