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Hummeln: Die heimlichen Supergärtner

Wer genau hinschaut, merkt: Das Blumenbeet brummt vor Geheimnissen. Warum etwa knabbern Hummeln an den Blättern ihrer Pflanzen? Es ist ein Trick, der ihr Überleben sichert.
Eine Hummel fliegt zu einer Blüte.

Der Deal besteht seit Urzeiten und lohnt sich für beide Seiten: Pflanzen bieten Bienen mit ihren Pollen Nahrung, und diese revanchieren sich mit Bestäubung. Die einen werden satt, die anderen pflanzen sich fort. Doch wie viele andere natürliche Prozesse, die sich im Lauf der Evolution fein aufeinander abgestimmt haben, gerät mit dem Klimawandel auch diese Symbiose aus dem Gleichgewicht. Die steigenden Temperaturen lassen nämlich viele bestäubende Insekten nach dem Winter früher wieder aktiv werden – zu früh, um sich an Blüten satt zu fressen.

Eine im Jahr 2020 veröffentlichte Studie polnischer Wissenschaftler belegt, dass die vier häufigsten europäischen Hummelarten in den letzten drei Jahrzehnten ihre Hauptflugperiode um teilweise mehr als drei Wochen vorverlegt haben. Zwar produzieren auch Pflanzen ihre Pollen heute früher als vor ein paar Jahrzehnten, allerdings nicht in dem Maß, wie die Insekten früher schwärmen. Das liegt daran, dass die Entwicklung der Pflanzenblüte stark von der Tageslichtdauer abhängt – und an dieser kann selbst der Klimawandel nicht rütteln.

Das Phänomen, das Forscher »trophische Asynchronität« oder einfach »mismatch« nennen, kann im schlimmsten Fall Nahrungsmangel oder gar Tod bedeuten – für manche Tiere, aber auch für ganze Populationen.

Vögel und Insekten liefern sich einen Wettlauf mit dem Klimawandel

Tiere versuchen mit viel Energie und teils verblüffenden Strategien die klimabedingten Ungleichgewichte wieder ins Lot zu bringen. So liefern sich viele Zugvögel ein Wettrennen auf Leben und Tod mit der Erderwärmung. Einige Arten verkürzen die Zeit im Winterquartier, andere reduzieren die Zahl der Zwischenrastplätze und fliegen längere Strecken ohne Pause. Das Ziel ist immer das gleiche: So früh wie möglich wieder zurückzukehren. Nur so können sie verhindern, dass der zeitlich immer stärker vorrückende Insektenboom schon vorbei ist, wenn sie die Tiere als Nahrung für ihre Jungen am dringendsten brauchen. Schaffen sie es nicht, verhungert der Nachwuchs.

Mit Hilfe von Rasierklingen versuchten die Forscher, den Hummel-Effekt nachzuahmen

Eine neue spektakuläre Anpassungsleistung bei Insekten haben jetzt Wissenschaftler aus der Schweiz und Frankreich entdeckt. In ihrer aktuell im Fachjournal »Science« veröffentlichten Studie weisen sie nach, dass Hummeln die Umweltveränderungen nicht einfach nur erdulden, sondern offenbar aktiv etwas dagegen unternehmen: Wie ein Volk von Supergärtnern sorgen sie dafür, dass Pflanzen schneller erblühen und ihnen so Futter liefern.

Die Forscherinnen und Forscher des Teams von Mark Mescher und Consuelo De Moraes, beide von der ETH Zürich, hatten bei frei lebenden Hummeln eine merkwürdige Beobachtung gemacht: Die Tiere schnitten mit Hilfe ihrer Rüssel und Unterkiefer winzige Löcher in die Blätter noch nicht erblühter Pflanzen. Warum, konnten sich die Wissenschaftler nicht erklären. Hatte es etwas damit zu tun, dass die angeknabberten Pflanzen noch keine Blüten und damit Pollen produziert hatten?

Pollen entscheiden über Erfolg oder Misserfolg eines Volkes

Um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, setzten sie ihre Beobachtungen an in Gefangenschaft gehaltenen Hummelvölkern und Wildvölkern auf dem Dach der Hochschule in Zürich fort. Hier konnten sie nachvollziehen, was mit den angenagten Pflanzen geschah. In der Tat hatte die Hummel-Knabberei einen drastischen Effekt. Die von den Hummeln beschädigten Pflanzen erblühten nämlich deutlich früher als nicht geschädigte Pflanzen derselben Art am gleichen Standort. Je nach Pflanzenart konnten die Hummeln die Blüte mit ihrer Manipulation zwischen zwei und vier Wochen vorverlegen.

Eine Hummel knabbert an einem Blatt | Die Verletzungen sind als kreisrunde Löcher in der Blattoberfläche erkennbar.

Aber warum versetzt das Knabbern die Pflanzen in eine Art Blühturbo? Bekannt ist, dass Pflanzen unter Stress – etwa durch Verletzungen – so genannte Notblüten ausbilden, um vor ihrem drohenden Tod Samen zu bilden und damit die Fortpflanzung über das eigene Leben hinweg zu sichern. Allerdings kann das hier nicht die alleinige Erklärung sein. Denn auch die Forscher versuchten, durch Einschnitte an den Pflanzen mit Hilfe von Rasierklingen den Hummel-Effekt nachzuahmen. Das klappte aber nicht im gleichen Ausmaß, wie es die Hummeln vermochten. Es scheint, es ist ein »hummelspezifischer Faktor im Spiel«, formulieren die Studienautoren vorsichtig.

Der an der Queen Mary University in London lehrende Ökologe Lars Chittka hält es in einem ebenfalls in »Science« erschienenen Kommentar zur Studie für möglich, dass die Hummeln mit ihren Beißattacken den Pflanzen Chemikalien injizieren, die das rasche Erblühen fördern. »Wenn dem so ist, könnten Wissenschaftler dem Traum eines jeden Gärtners auf die Spur kommen« und die molekularen Signalketten entschlüsseln. Wer weiß, vielleicht können eines Tages auch menschliche Supergärtner das Erblühen ihrer Pflanzen steuern.

Ob die angeknabberten Pflanzen ihrerseits einen Vorteil von dem Blühturbo haben, ist ungewiss. Vielleicht ermöglicht er es ihnen, bestäubt zu werden, während ein Überangebot von Bestäubern herrscht. Vielleicht können sie sich aber der Manipulation der Hummeln einfach nur nicht erwehren. An sich ist im Nachteil, wer viel früher Blüten treibt als das Gros seiner Artgenossen. Denn es ist dann schwerer, befruchtungsfähige Partner zu finden.

Aus ökologischer Sicht könnte aus der anfänglichen Beobachtung von Hummeln, die an Blättern knabbern, eine weit reichende Erkenntnis erwachsen sein: dass zumindest manche Tierarten aktiv etwas der klimawandelbedingten Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen entgegensetzen können. Das sei eine »ermutigende Interpretation der neuen Erkenntnisse«, schreibt Chittka.

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