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Klimageschichte: Künstlicher Temperatursturz

Was wäre die Forschung ohne verlässliche Daten? Nichts, und deshalb schmerzen Fehler besonders. Einen haben Klimaforscher nun aufgedeckt: Sie enttarnen einen Temperatursturz als Artefakt.
Wassertemperaturen 2007
Der Zweite Weltkrieg war vorbei, Europa lag in Schutt und Asche, die mächtige britische Marine und Handelsschifffahrt war teilweise schwer beschädigt und erst mit Verzögerung wieder einsatzfähig. Die USA mussten die Versorgung des Alten Kontinents wie in den Jahren zuvor per Seefahrt gewährleisten – zugleich kreuzte die Navy durch den Pazifik und den Indischen Ozean, um Truppen und Material in die entscheidenden Schlachten gegen Japan zu führen sowie die rückeroberten und befreiten Inseln zu sichern. 1945 markierte eine Zeitenwende, in deren Gefolge das britische Empire zerfiel, während die USA zur neuen Weltmacht aufstiegen.

Abweichungen der Wassertemperaturen vom langjährigen Durchschnitt | Seit dem Zweiten Weltkrieg liegen die Durchschnittstemperaturen des Oberflächenwassers zumeist höher als im langjährigen Durchschnitt. Eine Ausnahme bildet das Jahr 1945, doch dürfte sich dies in einer aktuelleren Grafik bald ändern. Die damalige Abkühlung um 0,3 Grad Celsius im Vergleich zu den Vorjahren war wohl ein Artefakt. Dass die Anomalie kleiner ist als minus 0,3 Grad Celsius hängt mit der Datenbasis zusammen: Da die Jahrzehnte zuvor meist zu kühl waren, fällt die Anomalie weniger stark ins Gewicht.
Eine Zäsur bedeutete dieses Jahr aber nicht nur im historischen Sinne, auch für die Klimaforschung sollte es noch von hohem Interesse werden – wenngleich es über 60 Jahre dauerte, bis David Thompson von der Colorado State University in Fort Collins und seine Kollegen dies erkannten. Nach einer Phase der Erwärmung, die von 1910 bis 1940 andauerte, folgte bis 1970 eine leichte Abkühlung. Besonders abrupt fiel sie 1945 aus, als die Oberflächentemperaturen der Ozeane im weltweiten Mittel um 0,3 Grad Celsius sanken – in der Kürze der Zeit und unter klimatologischen Maßstäben ein veritabler Rückgang. Erst seit den siebziger Jahren setzte sich wieder die heute vergleichsweise starke Aufheizung des Planeten fort.

Nun sind Schwankungen von Jahr zu Jahr in den globalen Durchschnittstemperaturen nichts Ungewöhnliches: Starke Vulkanausbrüche beispielsweise schirmen über ihren Asche- und Schwefeltröpfchenausstoß die Erde vor Sonneneinstrahlung ab und wirken daher kühlend. Gleiches gilt für La Niña, die Schwester von El Niño, die über kaltes Auftriebswasser im Pazifik vor Peru und Ecuador das Weltklima beeinflusst. Umgekehrt sorgt El Niño ebenso für Wärmespitzen, weil er kühle Bereich des Pazifiks kurzzeitig mit Badewannentemperaturen überdeckt, wie starke Westwinde im Nordatlantik, die die winterliche Auskühlung Eurasiens durch milde ozeanische Luftmassen verhindern.

Der starke Ausreißer von 1945, der im damaligen August einsetzte und etwa ein halbes Jahr andauerte, lässt sich damit aber nicht erklären: Weder verzeichnete die Weltgemeinschaft eine heftige Vulkaneruption, noch beherrschte La Niña damals die Gewässer vor Südamerika. Andere Ursachen fallen offenkundig ebenfalls unter den Tisch: Die beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki etwa hatten nach den Berechnungen von Thompsons Team nur einen nachgeordneten Effekt auf die Temperaturen. Sie hätten maximal 0,03 Grad Celsius zur Abkühlung beigetragen, so die Forscher. Und auch die Luftverschmutzung, die über Ruß, Schwefelverbindungen und andere Aerosole die Temperaturen dämpft, scheidet für die Zeit unmittelbar nach Kriegsende aus – lag doch die Industrie nahezu weltweit am Boden. Beider Einfluss wäre zudem nicht auf die Ozeane beschränkt gewesen, sondern hätte sich auch an Land gezeigt – dort aber fiel der Rückgang weit weniger prominent aus.

Etwas anderes musste also die Abkühlung der Meeresoberflächen verantwortet haben. Aber was? Die Klimaforscher haben die Technik im Verdacht: Damals maßen vor allem Schiffe die Wassertemperaturen, während sie die See befuhren – allerdings waren die entsprechende Gerätschaften nicht so ausgereift und geeicht wie heute. Die Seeleute hielten zum Beispiel Thermometer in Wassereimer oder die Ansaugrohre für das Kühlwasser der Schiffsmaschine, was mannigfaltige Abweichungen nach oben oder unten geradezu provoziert: Wurde etwa zu nahe am Motor gemessen, gab es Ausschläge nach oben, holte man das Wasser aus größerer Tiefe, einen nach unten.

Will man also korrekte Werte haben, gilt es diese Ungleichgewichte aus den Daten herauszurechnen. Das wiederum geht nur, wenn bekannt ist, wer welche Instrumente wie lange verwendet hat. Das britische Met Office Hadley Centre hat dies für die Messungen in nicht isolierten Eimern im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert genauso durchgeführt wie für jene, die im Ansaugwasser der US-Handelsmarine ab 1939 stattfanden. Erst anschließend konnte man sie zu Vergleichen mit modernen Aufzeichnungen heranziehen.

Eines hatten die Meteorologen des UK Met aber wohl nicht bedacht, wie Thompsons Team nun enthüllt: Etwa 80 Prozent der Daten aus der Periode zwischen 1942 und August 1945 stammte von US-amerikanischen Schiffen, nur ein Zwanzigstel dagegen von britischen – Ausdruck ihrer geschwächten Seefahrtskapazitäten während des Zweiten Weltkriegs. Ab diesem Zeitpunkt bis 1949 erlangte das Vereinigte Königreich jedoch rasch wieder einen guten Teil seiner Marine und beherrschenden Stellung auf den Weltmeeren zurück – was sich in der Datenbasis niederschlägt: Plötzlich trugen die Briten wieder die Hälfte der gesammelten Messungen bei, die Amerikaner nur ein Drittel.

Und das drückt sich in den Temperaturkurven nieder: Während die Briten ihre Thermometer in relativ unterkühlte Eimer hielten, steckten die Amerikaner sie in entsprechend überhitzte Ansaugrohre – ohne dass dies von der sammelnden Behörde entsprechend vermerkt und korrigiert wurde. Der 0,3 Grad-Celsius-Sturz ist also in großen Teilen eher ein Artefakt denn eine tatsächliche Abkühlung, wie Thompson aus eigener Datenanalyse nun folgert.

Nun müssen die Modelle und Kurven wohl etwas angepasst werden, doch bedeutet dies relativ wenig für den gegenwärtigen Klimawandel: Auch ohne den Ausreißer von 1945 stiegen die Durchschnittstemperaturen seit damals deutlich an und liegen höher als jemals zuvor in den vergangenen 130 Jahren. Und auf weitere eklatante Mess- oder Rechenfehler der Meteorologen sollten Zweifler des Klimawandels nicht unbedenkt setzen: Alle weiteren signifikanten Temperaturanomalien seit 1880 konnten die Forscher auf natürliche Einflüsse zurückführen.

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  • Quellen
Thompson, D. et al.: A large discontinuity in the mid-twentieth century in observed global-mean surface temperature. In: Nature 453, S. 646–649, 2008.

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