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Darmbakterien: Ein Tresor für menschlichen Kot

Ein Eisschrank voller Stuhlproben ist die Basis für ein ehrgeiziges Projekt. Ein internationales Forschungsteam will die Artenvielfalt der menschlichen Darmflora konservieren.
Eine eingefrorene Stuhlprobe in einem Röhrchen
In nur einem Gramm menschlichem Kot befinden sich 1000 Milliarden Bakterien – das sind 125-mal so viele, wie Menschen auf dem Planeten leben. Doch die Vielfalt nimmt ab.

Ein Forschungslabor auf dem Campus der Universität Zürich in der Gloriastraße: In steriler Umgebung hantieren Menschen in weißen Kitteln mit allerlei Werkzeug und Gerät. Auf dem Tisch liegen Petrischalen, kleine durchsichtige Glasteller mit glibberigem Inhalt. Was Labormanagerin Diana Albertos Torres darin inspiziert, sind Bakterien, die sie aus menschlichen Stuhlproben gewonnen hat.

Für das ungeübte Auge sind auf dem rötlichen Nährmedium nur kleine Punkte zu erkennen. Torres aber weiß, dass es sich um Pseudomonas aeruginosa handelt, ein Bakterium, das unter anderem Lungenentzündungen verursacht. Gefahr bestehe aber nicht. »Nein, die Bakterien springen nicht aus der Schale raus«, beruhigt Torres lachend. Im Labor wird unter den nötigen Sicherheitsvorkehrungen gearbeitet.

Torres ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe des Mikrobiologen Adrian Egli. Egli will mit seinem Team den Schwund der Artenvielfalt aufhalten. Dabei geht es ihm jedoch nicht um die dramatische Entwicklung in der Natur, wo unzählige Pflanzen- und Tierarten verschwinden: Bedroht ist auch die Artenvielfalt im Menschen. »Wir haben festgestellt, dass die Biodiversität im Darm zurückgeht«, sagt Adrian Egli. »Im Verdauungstrakt der Indigenen im Amazonasgebiet etwa gibt es viel mehr Vielfalt im Vergleich zur westlichen Bevölkerung. Das hat mit Stress, mit Antibiotika und auch mit der Ernährung zu tun.«

Ein Tresor wie die Saatgutbank auf Spitzbergen

Welchen Schatz jeder in sich trägt, macht der Wissenschaftler mit einem Vergleich deutlich: »In einem Gramm Stuhl befinden sich 1000 Milliarden Bakterien – 125-mal so viele, wie Menschen auf dem Planeten wohnen«, sagt er. »Unglaublich, wenn man bedenkt, was da in einem lebt.« In einem einzigen Menschen kommen zwischen 300 und 500 verschiedene Arten vor.

Konservierte Darmbakterien | Diana Albertos Torres von der Forschungsgruppe angewandte Mikrobiologie der Universität Zürich nimmt einen Kasten mit Stuhlproben aus einem Eisschrank, in dem die Proben bei minus 80 Grad eingefroren sind.

In einem internationalen Projekt soll nun gerettet werden, was noch zu retten ist: mit einem riesigen Tresor für menschlichen Kot, dem »Microbiota Vault«. Der geplante Eisschrank erinnert im Kern an den Saatgut-Tresor auf Spitzbergen, wo Samen etlicher Sorten von Nahrungspflanzen für künftige Generationen aufbewahrt werden. In einer speziellen Lösung und bei niedrigen Temperaturen können Bakterien Jahrzehnte überleben, erklärt Egli.

»Womöglich können aus der Erkenntnis zum Mikrobiom Therapien entwickelt werden, um Übergewicht, Diabetes, rheumatische Krankheiten oder chronische Darmentzündungen positiv zu beeinflussen«Adrian Egli, Mikrobiologe

Derzeit steckt die Erforschung der Darmflora noch in den Kinderschuhen. So leben dort unter vielen anderen Arten auch Unmengen von anaeroben Bakterien, die keinen Sauerstoff vertragen und daher nur schwer zu isolieren und zu untersuchen sind. »Womöglich können aus der Erkenntnis zum Mikrobiom Therapien entwickelt werden, um Übergewicht, Diabetes, rheumatische Krankheiten oder chronische Darmentzündungen positiv zu beeinflussen«, sagt Egli. Zum Mikrobiom gehören auch Pilze und Viren, aber Bakterien sind besonders wichtig, weil sie viele bedeutsame Stoffwechseleigenschaften haben.

Mikrobiom beeinflusst Krankheiten

Dank neuer Maschinen und Methoden ist es inzwischen möglich und gut bezahlbar, Darmbakterien genetisch zu erforschen. »Es gibt jede Woche neue Entdeckungen«, sagt Egli. »Und von der Analyse der Bakterien kann die ganze Menschheit profitieren.« Das Mikrobiom stehe zum Beispiel mit Krankheiten wie Krebs und Autoimmunerkrankungen in Zusammenhang. Denkbar sei, dass eines Tages mit dem gezielten Einsatz von Bakterien etwa die Wirkung von Krebstherapien verbessert werden kann, sagt Egli.

Ein anderes medizinisches Einsatzgebiet sind Stuhltransplantationen. »Eine Stuhlprobe mit optimalem Mikrobiom, die auf einen Kranken übertragen wird – in Studien hat man gesehen, dass das zur Gesundung beitragen kann«, sagt Egli.

Die aus Venezuela stammende und in den USA forschende Mikrobiologin Maria Gloria Dominguez-Bello setzt sich seit Jahren für einen solchen Darmbakterien-Tresor ein. Sie hat als eine der Ersten festgestellt, wie stark sich die Bakterienvielfalt im Menschen je nach Wohngebiet und Lebensumständen unterscheidet, am Beispiel von Proben aus dem Amazonasgebiet. Und der britische Epidemiologe Tim Spencer machte vor einigen Jahren ein Selbstexperiment: Er verbrachte drei Tage mit indigenen Jägern und Sammlern in Tansania und teilte ihren Lebensstil sowie ihr Essen, darunter Fruchthüllen vom Affenbrotbaum und allerlei Fleisch. Schon nach drei Tagen war die Artenvielfalt in seinem Darm um 20 Prozent gestiegen, wie er im Online-Journal »The Conversation« berichtete.

Darmbakterien können ungewünschte Infektionen verhindern

Aber warum ist die Artenvielfalt im Verdauungstrakt überhaupt so wichtig? Die Darmbakterien könnten zum Beispiel die Ansiedlung von Erregern verhindern, die Menschen krank machen, berichtete ein Team um die Mikrobiologin Frances Spragge von der University of Oxford im Dezember 2023 in der Zeitschrift »Science«.

Zu einem guten, artenreichen Mikrobiom kann der Mensch auch selbst beitragen. Wichtig ist zum Beispiel eine ballaststoffreiche Ernährung. Bezeichnet werden damit weitgehend unverdauliche, pflanzliche Nahrungsbestandteile. Sie haben unter anderem Einfluss auf die Sättigungswirkung sowie darauf, wie lange die Nahrung in Magen und Darm verbleibt und wie gut Nährstoffe vom Körper aufgenommen werden.

Eine hohe Ballaststoffzufuhr zeige in Studien schützende Effekte bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-II-Diabetes, Adipositas, Bluthochdruck sowie Dickdarm- und Brustkrebs, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) auf ihrer Homepage. Zu den ballaststoffreichen Lebensmitteln gehören demnach Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen, Vollkornprodukte sowie Gemüse und Obst wie Artischocken, Paprika und Rhabarber.

Adrian Egli arbeitet zusammen mit Pascale Vonaesch von der Universität Lausanne und Nicholas Bokulich von der ETH Zürich im Pilotteam des »Microbiota Vault«. Bei Egli stehen die Tiefkühlschränke, in denen bei minus 80 Grad bislang rund 2500 Stuhlproben eingefroren sind, unter anderem aus Äthiopien, Laos, Puerto Rico und der Schweiz. Einfach ist das nicht: Proben müssen innerhalb von wenigen Stunden eingefroren werden, um die Bakterienvielfalt zu erhalten. Dominguez-Bello hat in abgelegenen Amazonasregionen mit flüssigem Stickstoff Proben schockgefroren. Für den Export in die Schweiz sind eine durchgehende Kühlkette und viele Einfuhrpapiere nötig.

Das Pilotprojekt ist nach Angaben von Egli fast abgeschlossen, mit weitgehend positivem Ergebnis. Demnächst sollen dann zehntausende Proben aus aller Welt in Zürich landen. Dafür muss allerdings ein neuer Tresor gebaut werden, sagt Egli. Die Eisschränke in seinem eigenen Labor reichen schon bald nicht mehr aus. (dpa/kmh)

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