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Neuro-Covid: Den Ursachen ein Stück näher

Neurologische Covid-19-Symptome sind womöglich eine Nebenwirkung der Immunreaktion, mit der sich der Körper gegen das Virus wehrt.
Frau hält sich die Hände vors Gesicht, bunter Hintergrund
»Wo war ich gerade?« Wenn der Kopf plötzlich nicht mehr richtig funktioniert, macht das Angst. (Symbolbild)

Vergesslichkeit und Denkblockaden: Viele leiden während einer akuten Covid-19-Erkrankung und teils auch danach noch an einem seltsamen Nebel im Kopf, genannt »Brain Fog«. Auch andere neurologische Beschwerden wie Kopfschmerzen und krankhafte Erschöpfung sind verbreitet. Wie diese entstehen, ist jedoch noch unklar: Durch eine direkte Infektion des Gehirns? Als Folge der körpereigenen Immunreaktion? Ein Team um die Neuropathologin Josefine Radke von der Berliner Charité erhärtete letzteren Verdacht anhand von Gewebeproben verstorbener Patientinnen und Patienten. Die Ergebnisse der Studie erschienen Mitte Februar 2024 im Fachblatt »Nature Neuroscience«.

Die Forschungsgruppe analysierte Proben des Gehirns von 21 Menschen, die in verschiedenen Stadien einer Covid-Infektion verstorben waren, und verglich sie mit denen von Patienten, die andere Erkrankungen nicht überlebt hatten. Die Proben stammten unter anderem aus dem Hirnstamm, der das restliche Hirn mit dem Rückenmark verbindet und dem Virus als Einfallstor dienen könnte. Der Hirnstamm beheimatet auch Teile des Vagusnervs, der weit in den Körper reicht und das Gehirn mit Herz, Lunge und Darm verbindet.

In manchen Hirnproben der verstorbenen Covid-Erkrankten war zwar genetisches Material des Coronavirus nachweisbar, allerdings fanden die Forschenden keine infizierten Neurone. Das Team geht davon aus, dass Immunzellen das Virus an anderer Stelle im Körper absorbiert und ins Gehirn transportiert hatten, ohne dass es dort weitere Zellen befallen konnte. Das spricht dagegen, dass eine direkte Infektion des Gehirns die neurologischen Probleme verursacht.

Die Entzündung aus dem Körper überträgt sich auf das Gehirn

Stattdessen scheint das Gehirn Covid-Erkrankter über den Vagusnerv auf die Entzündung im Körper zu reagieren. In Teilen des Hirnstamms war es zu einer Aktivierung spezieller intrazellulärer Signalwege und zur Ausschüttung von Immunbotenstoffen gekommen, die die Ausbreitung des Virus hemmen sollen. Zellen im Hirnstamm sind jedoch auch an der Steuerung von Antrieb, Motivation und Stimmung beteiligt. Infektionsbedingte Veränderungen molekularer Prozesse im Gehirn könnten so zum Beispiel die extreme Erschöpfbarkeit erklären, die einige während einer Covid-19-Erkrankung erleben.

Die Veränderung ist offenbar zeitlich begrenzt: Jene Obduzierten, die den Höhepunkt der Infektion nicht überlebt hatten, zeigten die stärkste Ausprägung. Bei denjenigen, die der Krankheit erst nach der Akutphase erlegen waren, hatten sich die genannten Prozesse weitgehend normalisiert – meistens jedenfalls. »Wir halten es für möglich, dass eine Chronifizierung der Entzündung bei manchen Menschen für die oft beobachteten neurologischen Symptome bei Long Covid verantwortlich sein könnte«, so Christian Conrad, Leiter der Arbeitsgruppe Intelligent Imaging am Berlin Institute of Health der Charité und Teil des interdisziplinären Teams. Inwieweit sich die Erkenntnisse aus der Studie auf Überlebende der Krankheit übertragen lassen, bleibt offen. Um seine These weiter zu prüfen, will das Team nun im Hirnwasser von Long-Covid-Erkrankten nach molekularen Auffälligkeiten fahnden.

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