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Drogen: Zauberpilze im Selbstversuch

Ein psychedelischer Rausch gilt als viel versprechendes Mittel gegen Depressionen. Der Psychotherapeut Stefan Junker hat es selbst ausprobiert: Er begab sich auf eine Seelenreise mit dem »Magic-mushroom«-Wirkstoff Psilocybin.
»Magic mushrooms«

Wertlos, erschöpft, traurig und abgeschnitten von der Welt: So fühlen sich viele, die an einer Depression leiden. Die Erkrankung betrifft schätzungsweise rund 320 Millionen Menschen weltweit; behandeln lässt sie sich mit Psychotherapie und mit Antidepressiva. Auf Letztere spricht allerdings etwa ein Drittel der Betroffenen nicht an, die Gründe dafür sind noch nicht abschließend verstanden.

Ausgerechnet eine Hippiedroge weckt deshalb nun neue Hoffnung: Psilocybin. Der Wirkstoff aus halluzinogenen Pilzen löst Zustände aus, die einem LSD-Rausch ähneln. Eine Kombination aus Psychotherapie und der bewusstseinsverändernden Substanz könnte gerade jenen Patienten helfen, bei denen bisherige Therapien nicht anschlagen. Der Trip soll zu einer Art »Reset« im Gehirn führen, der es Patienten ermöglicht, aus ihren festgefahrenen Denkmustern auszubrechen.

Forscher um Alan Davis vom Johns Hopkins Bayview Medical Center in Baltimore testeten Psilocybin an Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Depression. Eingebettet war die Behandlung in 16 psychotherapeutische Sitzungen, in denen die Probanden auf die psychedelische Erfahrung vorbereitet wurden. Das Ergebnis der 2020 erschienenen Studie: 17 der 24 Probanden ging es bei Abschluss der Behandlung deutlich besser – 13 davon so sehr, dass sie vier Wochen später nicht mehr als depressiv galten.

Auf Grund solch viel versprechender Befunde stufte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde die psilocybingestützte Psychotherapie bei behandlungsresistenter Depression als »breakthrough therapy« ein. Im US-Bundesstaat Oregon könnten schon 2023 erste Behandlungszentren entstehen, denn dort stimmten die Bürger 2020 für eine Legalisierung der Psilocybin-Therapie. In Deutschland hingegen darf die Substanz bislang nur mit einer Sondererlaubnis für Forschungszwecke eingesetzt werden.

Mit Psilocybin auf Seelenreise

Die Reaktionen von Psychiatern und Psychologen auf den ungewöhnlichen Therapieansatz reichen von begeistert bis skeptisch. Der Psychotherapeut Stefan Junker verfolgt die Debatte interessiert. Er ist grundsätzlich offen für den Einsatz von Methoden, die den Bewusstseinszustand verändern. In seiner Praxis im baden-württembergischen Oftersheim arbeitet er unter anderem mit Hypnose, um Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen zu helfen. Er wollte wissen, wie sich ein Psilocybin-Rausch anfühlt, und probierte die Substanz im Sommer 2021 darum selbst aus. Für »Spektrum.de« hat er seine Erfahrungen zu Protokoll gegeben:

»Ende August reiste ich für ein Wochenende ins niederländische Lage Vuursche. In einem dreitägigen Retreat kann man dort unter Anleitung erfahrener Therapeuten legal Psilocybin zu sich nehmen. Mit mir machten sich 17 weitere Menschen auf zum Essence Institute. Teilweise reisten sie dafür um die halbe Welt. Die Motivation war bei den meisten von uns ähnlich: Wir wollten durch Psilocybin etwas über die Welt und uns selbst erfahren. Als Therapeut fehlte mir bei meiner Arbeit zudem bisher der Zugang zu einer Art spirituellen Ebene. Vor allem aber hatten mich die viel versprechenden Befunde zum Einsatz bei Menschen mit schweren psychischen Leiden neugierig gemacht.

»Ich konnte mich vertrauensvoll in den veränderten Bewusstseinszustand hineingleiten lassen, fühlte mich gleichzeitig ganz bei mir, merkwürdig erleichtert und entrückt«Stefan Junker, Psychotherapeut

Im Institut angekommen, lernten wir uns erst einmal besser kennen und absolvierten Übungen, die uns auf das, was da kommt, vorbereiten sollten. Am Tag der Zeremonie, wie die Organisatoren es nannten, folgten Atemmeditationen, eine Gehmeditation, Yoga und andere Techniken, die eine offene, beobachtende und nicht wertende Haltung fördern. Später praktizierten wir gemeinsam holotropes Atmen, ein bewusstes Hyperventilieren, das eine rauschartige Wirkung entfalten kann. Der Effekt war erstaunlich: Ich konnte mich vertrauensvoll in den veränderten Bewusstseinszustand hineingleiten lassen, fühlte mich gleichzeitig ganz bei mir, merkwürdig erleichtert und entrückt.

Bei manchen Teilnehmern wuchs durch die Übungen der Respekt vor dem eigentlichen Trip. Ich war zu diesem Zeitpunkt – trotz einer gewissen Aufregung – vor allem neugierig. Zu Mittag gab es nur eine leichte Bouillon mit Gemüse, um unsere Mägen nicht zu strapazieren. Gegen 13 Uhr versammelten wir uns dann alle in einem Raum. Unter Anleitung der Begleiter bereiteten wir uns einen Aufguss aus psilocybinhaltigen Trüffeln zu. Jeder bekam etwa 30 Gramm Pilze – eine starke Dosis. Nach einer halben Stunde sollte verantwortungsvoll geprüft werden, ob einzelne Teilnehmer vielleicht noch etwas mehr vom Tee benötigten. Wir machten es uns mit Kissen und Decken auf unseren Matratzen bequem. Damit wir unsere Aufmerksamkeit ganz nach innen richten konnten, lagen Ohrstöpsel und Augenbinden bereit, im Hintergrund lief klassische Musik. Ich setzte den Becher an und trank.«

Wohlfühlatmosphäre | Auf Matratzen und Kissen üben die 18 Teilnehmer des Psilocybin-Retreats im Essence Institute im niederländischen Lage Vuursche zunächst verschiedene Atem- und Meditationstechniken. Später nehmen sie in dem Raum unter Anleitung den »Magic-mushroom«-Wirkstoff Psilocybin ein.

Zeit und Raum lösen sich auf

Psilocybin wird im Körper schnell zu Psilocin umgewandelt – die psychoaktive Form der Substanz. Das Molekül durchdringt die Blut-Hirn-Schranke und dockt im Gehirn vor allem an den Serotoninrezeptor 5-HT2A an. 20 bis 40 Minuten nach der Einnahme setzen die ersten Effekte ein: Die Wahrnehmung von Raum und Zeit verändert sich; anders als gängige Antidepressiva dämpft Psilocybin das Gefühlsleben nicht, sondern aktiviert es. Emotionen und Sinneswahrnehmungen werden intensiver. Das hängt vermutlich mit einer Hemmung bestimmter Hirnregionen zusammen: Der Thalamus, eine Art neuronaler Filter, der entscheidet, welche Reize ins Bewusstsein vordringen, ist unter Psilocybin weniger aktiv.

»Es hätte ein Jahr gewesen sein können oder auch 10 000 Jahre. Zeit existierte nicht mehr«Stefan Junker

»Die ersten 15 Minuten hatte ich das Gefühl, dass nichts passiert. Ungeduldig wartete ich auf Nachschub und dachte: Wann kommen die denn endlich mit dem Tee? Heute weiß ich: Das waren bereits die ersten Effekte des Psilocybins. Die Minuten wurden von nun an mehr und mehr gedehnt, bis sich mein Zeitempfinden vollends auflöste. Im Raum lief gerade das Stück »Adagio« von Samuel Barber. Zuerst kamen die Klänge noch aus den Boxen, dann waren sie überall: Um mich herum, in mir – ich war Musik. Das Lied schien genau meine Gefühle widerzuspiegeln, und es hörte und hörte nicht auf. Es hätte ein Jahr gewesen sein können oder auch 10 000 Jahre. Zeit existierte nicht mehr.«

Psilocybin beeinflusst nicht nur die Aktivität einzelner Hirnregionen, sondern auch die Kommunikation zwischen ihnen. Im psychedelischen Rausch werden Hirnareale, die normalerweise zusammenarbeiten, voneinander entkoppelt. Das könnte den heilsamen Effekt der Droge bei Menschen mit Depressionen erklären, bei denen die Vernetzung der einzelnen Hirnregionen, auch funktionelle Konnektivität genannt, oft beeinträchtigt ist. Psilocybin hilft dabei, die beschränkte Verschaltung aufzubrechen, indem es andere und ganz neue Verbindungen schafft. Menschen erleben deshalb unter dem Einfluss der Substanz häufig eine Verschmelzung von Sinneskanälen, bei der sie beispielsweise plötzlich Melodien sehen oder Bilder schmecken können. Es kommt zu einer veränderten Wahrnehmung bis hin zu Halluzinationen. Die Art zu denken verändert sich, womit sich ganz neue Perspektiven auftun können.

Überwältigende Einsamkeit

Die bewusstseinsverändernden Effekte von Psilocybin sind allerdings nicht immer nur angenehm. Wie jemand einen Trip erlebt, wird von seinem Befinden, aber auch vom äußeren Rahmen der Erfahrung beeinflusst, vom »Set« und vom »Setting«. Ohne gute Vorbereitung und Begleitung kann die Einnahme im Extremfall in einen Horrortrip münden.

Wer Psychedelika einnimmt, wird oft mit belastenden Bildern aus seiner Vergangenheit, mit Angst und Verzweiflung konfrontiert. Befürworter der psilocybingestützten Psychotherapie glauben, dass gerade damit ein wichtiger Durchbruch erzielt werden kann: Ich stelle mich meinen schlimmsten Gedanken und Gefühlen, wodurch sie ihren Schrecken verlieren. Auch die kognitive Verhaltenstherapie fußt zum Teil auf dieser Idee. Im Gegensatz zu anderen Therapieformen lässt sich die Konfrontation, welche die Betroffenen im Drogenrausch erleben, jedoch nur schwer dosieren. Patienten könnten dadurch überfordert werden und noch mehr aus der Bahn geraten, wenden Kritiker ein. Auch Stefan Junker musste sich bei seinem Selbstversuch mit negativen Gefühlen auseinandersetzen:

»Ich fühlte mich so allein wie kaum jemals zuvor«Stefan Junker

»Jetzt begann sich auch visuell etwas zu tun. Die Gesichter meiner psychologischen Begleiter wirkten auf einmal besonders ausdrucksstark, hatten fast etwas Animalisches. Sie ermutigten uns: Wendet euch eurem inneren Erleben zu, beobachtet achtsam, was kommt. Doch das, was kam, war nicht unbedingt schön: Stück für Stück wuchs in mir ein intensives Gefühl von Einsamkeit. Im kindlichen Versuch, meinen Emotionen kurzzeitig zu entfliehen, bat ich einen Begleiter, mit mir zur Toilette zu gehen. Dann bin ich wenigstens für fünf Minuten nicht allein, dachte ich. Aber der erfahrene Psychotherapeut ging nicht darauf ein – und unterstützte mich stattdessen liebevoll darin, das schwierige Gefühl anzunehmen.

Ich fühlte mich so allein wie kaum jemals zuvor. Das Gefühl lag gewissermaßen pur vor mir. Dadurch, dass die Zeit für mich nicht mehr existierte, gab es keine Ausflüchte, kein Entrinnen. Warten, bis es vorbeigeht, war keine Option – darin scheint mir ein fundamentaler Unterschied zu gängigen Konfrontationsmethoden in der Psychotherapie zu liegen. Dann aber konnte ich die Kontrolle gänzlich aufgeben, die Einsamkeit akzeptieren und mich ihr restlos hingeben.«

Stefan Junker bei seiner Psilocybin-Erfahrung | Begleitet wird er während des mehrstündigen Trips – wie alle Teilnehmer des Retreats – von einem erfahrenen Psychologen.

Alles ist verbunden

In höheren Dosen löst Psilocybin einen traumähnlichen psychedelischen Rausch aus, der bis hin zu mystischen Erlebnissen reicht. Experten gehen davon aus, dass das Durchleben dieses Trips entscheidend für den antidepressiven Effekt von Psilocybin ist: Das eigene Ich löst sich auf, und die Betroffenen haben das Gefühl, mit der Welt und allen Lebewesen verbunden zu sein. Manche berichten von einer tief empfundenen Liebe, einer heiligen Ehrfurcht und lebensverändernden Einsichten. Typisch für mystische Erfahrungen ist der Eindruck, dass das Empfundene echt und wahrhaftig ist, also eine Art höhere Wahrheit darstellt.

»Was danach kam, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Es war eine Erfahrung jenseits der bekannten Sinne. In mir tat sich ein Tor auf. Im Zustand tiefer Einsamkeit wurde ich mehr und mehr durchflutet von unendlicher Geborgenheit und Liebe. Die Substanz führte mir vor Augen: Ich bin und war nie allein. Jeder Stein, jede Pflanze, jedes Lebewesen, das gesamte Universum wurde nur erschaffen, damit ich mich – damit wir uns alle – geborgen und von Liebe getragen fühlen dürfen.

»Es war eine der bedeutendsten Erfahrungen meines Lebens«Stefan Junker

Was für ein unglaublicher Kontrast. Eben noch schien mir nicht einmal jemand den Gefallen tun zu wollen, mich auf die Toilette zu begleiten, um meine Einsamkeit wenigstens etwas abzumildern. Und nun wurde mir das gesamte Universum zu Füßen gelegt. Das Wort Dankbarkeit trifft es nicht, weil es dafür, was ich erlebt habe, lächerlich klein erscheint. Es war eine der bedeutendsten Erfahrungen meines Lebens.«

Ein Trip, der nachwirkt

Je nach eingenommener Dosis lässt die Wirkung von Psilocybin nach zwei bis sechs Stunden nach. Meist sind die Erinnerungen an den Rausch sehr klar und wirken noch Tage nach. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass sich die Persönlichkeit langfristig verändern kann: Die Betroffenen werden möglicherweise offener und haben einen geschärften Sinn für Ästhetik. Forscher glauben, dass der Rausch die psychologische Flexibilität erhöht und damit Depressiven hilft, sich aus festgefahrenen Grübelspiralen zu lösen.

In seltenen Fällen halten Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen länger an. Bei Menschen mit einer entsprechenden Veranlagung können halluzinogene Drogen eine Psychose auslösen. Kritiker betrachten dies als größte Gefahr beim Einsatz von Psychedelika in der Psychotherapie. Andere denken, dass bei einer gewissenhaften Auswahl der Patienten der Nutzen das Risiko überwiegt.

Süchtig macht Psilocybin nicht, und auch körperliche Schäden sind nicht zu erwarten – für eine Überdosis müsste man mehr als zehn Kilogramm Pilze zu sich nehmen. Vor allem psychisch labile Menschen sollten allerdings in keinem Fall selbst mit der Substanz experimentieren.

»Als wir langsam aus der Welt jenseits von Zeit und Raum zurückkehrten, kamen die Organisatoren mit riesigen Obstplatten in den Raum. Ich hatte noch nie so wohlschmeckende Früchte gegessen. Meine Sinne waren – und sind auch jetzt noch – geöffnet für Schönheit. Es ist, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Ich schaue jetzt aus dem Fenster und bin wieder durchflutet von diesem Gefühl der Geborgenheit und Dankbarkeit. Ich habe eine kindliche Freude an Natur und Kunst.

Was ich erlebt habe, die Einsichten, die ich gewonnen habe, arbeiten in mir weiter. Es bleibt ein Prozess. Im Alltag verbinde ich mich immer wieder durch Achtsamkeitsübungen mit diesem tiefen Gefühl der Dankbarkeit. Psilocybin scheint mir etwas gegeben zu haben, das den Urgrund meines Seins berührt hat. Und es hat dem Psychologen in mir geholfen zu verstehen, warum eine derartige Erfahrung für Menschen mit Todesangst oder schweren Depressionen so wertvoll sein kann. Eigentlich bin ich ein durch und durch rationaler Mensch. Vor dem Trip hätte ich mich als Atheist bezeichnet. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.«

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