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Serie: Halluzinogene: Psilocybin – das Geheimnis der Zauberpilze

»Magic mushrooms« werden schon seit Jahrhunderten von indigenen Völkern Süd- und Mittelamerikas in religiösen Ritualen benutzt.
Magic mushrooms

Geschichte

María Sabina war bereits um die 60 Jahre alt, als sie die folgenschwerste Bekanntschaft ihres Lebens machte. In dem kleinen Örtchen Huautla de Jiménez im Süden Mexikos war sie seit ihrer Jugend als »curandera«, also traditionelle Heilerin, bekannt und respektiert. In ihrem einfachen Lehmziegelhaus hielt sie Heilungszeremonien für Kranke ab. Darin verband sie christliche Gebete mit alten schamanistischen Ritualen des Mazateken-Volks. Bei diesen Behandlungen, die traditionell eine ganze Nacht dauern, verzehrten die Heilerin und ihre Gemeinde häufig Pilze, die Halluzinationen und Rauschzustände verursachen. Diese psychoaktiven Gewächse wurden schon seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden von den indigenen Völkern Mittel- und Südamerikas gesammelt und in magischen Ritualen genutzt.

Im Jahr 1955 lernte die Heilerin Gordon Wasson kennen, der ein facettenreiches Leben führte: Wasson hatte in New York als Journalist gearbeitet und war nun bei einer Investmentbank tätig. In seiner Freizeit beschäftigten er und seine Frau, eine Kinderärztin, sich mit der wissenschaftlichen Erforschung von Pilzen und deren Bedeutung für verschiedene Kulturen der Erde. In Mexiko suchten sie nach den legendären »heiligen Pilzen«. Die indigenen Bewohner sprachen ehrfürchtig von ihnen, Europäer und US-Amerikaner glaubten bis zu diesem Zeitpunkt aber nicht an ihre Existenz.

Wasson und ein Partner durften als erste Weiße an einem von María Sabinas Heilungsritualen teilnehmen und waren tief beeindruckt von dem veränderten Bewusstsein und den Visionen, die sie nach dem Verzehr der Pilze erlebten. 1957 veröffentlichte Wasson eine Reportage über seine Erfahrungen im US-amerikanischen Magazin »Life«. Er machte damit die von ihm so getauften »magischen Pilze« im Westen populär. Albert Hofmann, dem Entdecker des LSDs, gelang es 1958, den psychoaktiven Stoff aus den Pilzen zu isolieren. Er nannte ihn Psilocybin, nach dem Gattungsnamen der Gewächse Psilocybe (griechisch: »kahlköpfig«).

Mittlerweile ist bekannt, dass es neben der mexikanischen Variante weltweit mehr als 100 Pilzarten gibt, die Psilocybin enthalten

Kurz darauf nahm Sabina auf Wassons Wunsch bei einem Ritual dieses chemisch isolierte Psilocybin statt der Pilze ein. Anschließend bestätigte sie, dass die Pillen genau dieselbe Wirkung hervorriefen, die sie von den Pilzen kannte. Dadurch war klar, dass das Psilocybin die entscheidende psychoaktive Substanz ist. Obwohl sie keine Vorbehalte gegen die künstliche Herstellung des Stoffs hatte, bereute Sabina später ihre Entscheidung heftig, Wasson in das Geheimnis der Pilze eingeweiht zu haben. Denn nicht zuletzt dank seines Artikels strömten in den späten 1960er und den 1970er Jahren Hippies, Abenteurer und Sinnsucher ins Land. An jeder Ecke verkauften die Einheimischen nun die Pilze, die in ihrer Kultur lange als heilig galten. Auch in Sabinas Dorf kamen immer mehr Touristen, die sie ausfindig gemacht hatten. Doch die »jungen Leute mit langen Haaren« hätten keinen Respekt vor den Pilzen und den Traditionen der Mazateken gehabt, klagte Sabina später. In der Folge hätten die Pilze ihre Reinheit und ihre Kraft verloren: »Die Fremden haben sie verdorben.«

Zauberpilze-Konsum in Deutschland

Mittlerweile ist bekannt, dass es neben der mexikanischen Variante weltweit mehr als 100 Pilzarten gibt, die Psilocybin enthalten. Manche davon sind auch in Deutschland heimisch, etwa der Spitzkegelige Kahlkopf (Psilocybe semilanceata). Er gedeiht weltweit in gemäßigten Klimazonen, bevorzugt auf Weideflächen und Wiesen, in unseren Breiten besonders häufig im Voralpenland in Österreich und der Schweiz. Das Sammeln und Zubereiten psilocybinhaltiger Pilze ist, wie auch der Besitz und Konsum von Psilocybin in anderer Form, in Deutschland, Österreich und der Schweiz verboten.

Verbreitung

Laut einem Bericht des Instituts für Therapieforschung in München haben in Deutschland rund drei Prozent der erwachsenen Bevölkerung bereits »Zauberpilze« konsumiert. Es gab jedoch Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen. Am deutlichsten stach die Gruppe der 30- bis 39-Jährigen heraus: Hier gaben sechs Prozent an, schon einmal halluzinogene Pilze probiert zu haben, während es sowohl bei den jüngeren als auch bei den älteren Befragten deutlich weniger waren. In einer Schweizer Erhebung fand sich mit 8,5 Prozent der höchste Anteil von Menschen, die Erfahrungen mit Zauberpilzen gesammelt haben, in der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen. Unter Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren gaben 2015 nur 0,2 Prozent an, schon einmal »psychoaktive Pflanzen« eingenommen zu haben (worunter hier konkret »Drogenpilze« verstanden wurden, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung). Für Österreich und die Schweiz finden sich ähnliche Zahlen.

Zu bedenken ist aber, dass es sich dabei nicht unbedingt um regelmäßige Nutzer handelt, sondern auch um Menschen, die Psilocybin nur einmal konsumiert haben und/oder bei denen entsprechende Erfahrungen bereits länger zurückliegen. Nahezu niemand gab in den Umfragen an, in den 30 Tagen vor der Erhebung solche Pilze konsumiert zu haben.

Die Wirkung der »magic mushrooms« ähnelt der von LSD, der Trip ist jedoch um einiges kürzer

Wirkung

Psilocybin wird im Körper in den psychoaktiven Stoff Psilocin umgewandelt. Er stimuliert im Gehirn Andockstellen, die natürlicherweise auf den Botenstoff Serotonin reagieren – populärwissenschaftlich auch als »Glückshormon« bezeichnet. »Entscheidend ist offenbar die Wirkung von Psilocin an einem speziellen Subtyp, dem Serotonin-2A-Rezeptor«, sagt Katrin Preller, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich und der Yale University. Ihre Forschungsgruppe an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich, geleitet von Franz Vollenweider, hat in Studien diesen Rezeptortyp mit einem anderen Stoff – Ketanserin – blockiert. Die Versuchspersonen schluckten das Ketanserin zunächst in Pillenform. »Ketanserin besetzt die Serotonin-2A-Rezeptoren, so dass das Psilocin dort nicht mehr wirken kann«, erklärt Preller. Tatsächlich war bei den Probanden, die anschließend Psilocybin einnahmen, kein halluzinogener Effekt zu beobachten.

Die Wirkung der »magic mushrooms« ähnelt der von LSD, der Trip ist jedoch um einiges kürzer: Der Rausch setzt nach einer halben bis vollen Stunde ein, bleibt über zwei bis zweieinhalb Stunden bestehen und flacht dann wieder ab. Sechs Stunden nach der Einnahme ist die Wirkung meist völlig vorüber. Grundsätzlich hängt die Rauscherfahrung von der inneren Einstellung zum Zeitpunkt des Konsums und der Umgebung ab (»Set und Setting«). So wird zum Beispiel die Stimmung vor der Einnahme, ob positiv oder negativ, während des Trips verstärkt.

Gras und Pilze | Rechts Marihuana, links der spitzkegelige Kahlkopf, ein psilocybinhaltiger »Zauberpilz«.

In der ersten Phase empfinden die Konsumenten ihre Sinne als verändert, vor allem visuell. Farben erscheinen intensiver oder verzerrt, Wände und Böden scheinen sich zu wandeln. Erst bei stärkeren Dosierungen sieht man zum Beispiel farbige Muster. Es folgt typischerweise eine zweite Phase, in der man sich eins mit der Welt fühlt, mitunter gar das Gefühl für den eigenen Körper verliert. Hier berichten viele Konsumenten von außergewöhnlichen, spirituellen Erfahrungen. Wie der Psychiater Roland Griffiths von der Johns Hopkins University in einer Reihe von Studien zeigte, kann bereits ein einziges dieser Erlebnisse Menschen nachhaltig beeinflussen. Versuchspersonen, die unter dem Einfluss von Psilocybin profunde mystische Visionen und Einsichten erlebten, bezeichneten das noch 14 Monate später als »eine der bedeutsamsten Erfahrungen ihres Lebens« – sowohl in persönlicher als auch in spiritueller Hinsicht. Zudem bewirkte der Trip bei diesen Personen oft eine Veränderung der Persönlichkeit in Richtung einer größeren Offenheit für Erfahrungen.

In den 1950er und 1960er Jahren – als die Substanz noch legal war – interessierten sich einige Psychologen für den therapeutischen Einsatz von Zauberpilzen. Am berühmtesten war das »Psilocybin-Projekt« der Harvard University, das unter anderem von Timothy Leary geleitet wurde. Leary wurde später zur Ikone der Hippiebewegung und Befürworter psychedelischer Rauscherfahrungen. »Aus dieser Zeit gibt es Hinweise darauf, dass Psilocybin therapeutisch gegen verschiedene psychische Störungen helfen könnte«, erklärt Preller. Allerdings würden diese Untersuchungen oft nicht die heutigen Qualitätsstandards für medizinische Studien erfüllen. Aktuell gibt es aber wieder wachsende Forschungsbemühungen in dem Gebiet. So untersucht die Forschungsgruppe »Neuropsychopharmakologie und Brain Imaging« in Zürich derzeit, ob eine Therapie mit unterstützendem Einsatz von Psilocybin-Erfahrungen Menschen mit Depression helfen könnte. Die Ergebnisse stehen jedoch noch aus.

Gefahren

Psilocybin wird immer noch meist in Form von rohen, gekochten oder getrockneten Pilzen eingenommen. Synthetisch hergestelltes Psilocybin ist außerhalb der medizinischen Forschung kaum verfügbar. Da der Gehalt des Stoffs in den Pilzen natürlicherweise schwankt, ist die Dosis bei dieser Art des Konsums nur schwer berechenbar.

Halluzinogene machen körperlich nicht abhängig, den meisten wissenschaftlichen Autoren zufolge ist auch eine psychische Abhängigkeit unwahrscheinlich. Bei schnell aufeinander folgendem Gebrauch kann es zu einer vorübergehenden Toleranzentwicklung kommen.

Die häufigsten unerwünschten Wirkungen sind Angst und Panikgefühle während des Rauschs, in extremer Form umgangssprachlich auch »Horrortrip« genannt. Umfragen zufolge hat in Deutschland rund jeder fünfte Konsument von Psilocybin schon einmal solche Erfahrungen gemacht. Risiken werden mitunter falsch eingeschätzt, weshalb man sich selbst oder andere in Gefahr bringen kann. Es können Denkmuster auftreten, die typisch für Verfolgungswahn und psychotische Episoden sind: ein plötzliches Misstrauen gegenüber vertrauten Personen oder die Idee, verfolgt zu werden. Laut einer Studie in den USA suchten acht Prozent der Anwender, die einen »Bad Trip« erlebten, anschließend wegen anhaltender psychischer Beschwerden professionelle Hilfe.

Bei seelisch labilen Personen oder solchen mit schizophrenen Erkrankungen in der Familie besteht die Gefahr einer so genannten Drogenpsychose, also einer dauerhaft bestehenden psychischen Erkrankung. Diese kann sich schon nach einer einmaligen Einnahme entwickeln. Da Psilocybin den Blutdruck erhöht, ist außerdem Menschen mit Herzproblemen besonders vom Konsum abzuraten. Wie bei vielen Drogen ist zudem der Mischkonsum mit anderen Substanzen gefährlich, sowohl mit illegalen als auch mit legalen wie Alkohol.

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