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Selbstgeißelung: Religiöses Ritual verbreitet Viren

Manche sehr religiöse Menschen geißeln sich zu bestimmten Feiertagen selbst - teilweise bis aufs Blut. Das öffnet Viren einen Übertragungsweg.
Aschura in Indien (Symbolbild)

Aschura ist für Schiiten einer der wichtigsten Feiertage – und manche schiitische Gläubige begehen ihn unter anderem mit Selbstgeißelung. Dabei schlagen sie sich mit scharfen Gegenständen selbst und verletzen sich teilweise bis aufs Blut. Neben den offensichtlichen Wunden birgt das Ritual aber noch ein Risiko: Es öffnet bestimmten Viren einen Weg in den Körper, wenn die Beteiligten mit dem Blut anderer Prozessionsteilnehmer in Kontakt kommen oder kontaminierte Schlaggegenstände untereinander austauschen. Einen derartigen Fall beschreiben Mediziner des Imperial College London im Journal »Emerging Infectious Diseases«.

Die Wissenschaftler um Alice Tang hatten sich gewundert, warum zehn Männer aus London in kurzer Zeit mit dem relativ unbekannten, aber verbreiteten Virus HTLV-1 (Humanes T-lymphotropes Virus 1) ansteckten. Sie gehörten keiner offensichtlichen Risikogruppe an, weil sie keine Drogen spritzten oder Blutransfusionen bekommen hatten. Einer der behandelnden Ärzte bemerkte dann jedoch ungewöhnliche Narben auf dem Rücken eines der Patienten – was schließlich doch zu einer Gemeinsamkeit führte: Alle waren Schiiten, die sich rituell selbst gegeißelt hatten.

Danach befragt, antwortete einer der Männer, dass die eingesetzten Klingen in einer Schale mit Desinfektionsmittel gereinigt wurden – allerdings alle gemeinsam. In diesem Behälter mischte sich also das Blut verschiedener Personen, und darin enthaltene Viren wurden nur unzureichend vernichtet. Möglicherweise wurden während der Zeremonie auch Klingen ungereinigt ausgetauscht oder Männer haben sich blutend umarmt. Es sei also sehr wahrscheinlich, dass HTLV-1 während der Selbstgeißelung übertragen wurde, so die Wissenschaftler.

Weltweit gelten etwa 20 Millionen Menschen als mit HTLV-1 infiziert; bei den meisten verläuft die Infektion symptomfrei. In zwei bis fünf Prozent der Fälle erkranken die Betroffenen jedoch an einer aggressiven Form von Erwachsenen-Leukämie (ATL), die durchschnittlich nach acht bis zehn Monaten mit dem Tod endet. HTLV-1 gilt daher als eines der aggressivsten Onkoviren. Auch andere schwere Folgen treten auf, darunter eine chronische Erkrankung des Nervensystems. Üblicherweise ziehen sich Betroffene das Virus über Spritzentausch oder Geschlechtsverkehr zu. Doch Tang und ihr Team warnen, dass Selbstgeißelung eine bislang völlig unbeachtete Übertragungsquelle darstellen könnte. Einer der Männer sei zudem mit Hepatitis C infiziert gewesen. Diese Krankheit wird ebenfalls über Blutkontakt weitergegeben. Neben Schiiten praktizieren auch Katholiken und Hindus regional die Selbstgeißelung.

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