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Schlaf: Sind Nickerchen gesund?

Ein kurzer Mittagsschlaf tut vielen Menschen gut. Ob Nickerchen Herz und Gehirn auch langfristig schützen, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt. Das ist der aktuelle Stand der Forschung.
Junge Frau liegt bäuchlings auf dem Sofa und schläft
Wer ausprobieren möchte, ob regelmäßige Nickerchen ihm guttun, der sollte mit 20 Minuten mehrmals pro Woche starten.

Es ist Nachmittag. Sie sind satt vom Mittagessen. Das Wetter ist warm und Sie fühlen sich langsam schläfrig. Jetzt kurz die Augen schließen und ein Nickerchen machen? Aus gesundheitlicher Sicht könnte sich das lohnen: Obwohl noch unklar ist, ob ein kurzes Schläfchen wirklich jedem nützt, deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass es zumindest bei manchen Menschen kurzfristig die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert. Mittags regelmäßig zu schlafen, könnte sogar dauerhafte Vorteile mit sich bringen. Es gebe ziemlich gute Hinweise darauf, dass man seinem Gehirn dabei helfen könne, ein wenig gesünder zu altern, wenn man ein Nickerchen von bis zu 30 Minuten einschiebt, erklärt die Epidemiologin Victoria Garfield vom University College London.

Mehrere Studien zeigen, dass ein gut getimtes Schläfchen die Leistungsfähigkeit des Gehirns kurzfristig steigern kann. Für eine Untersuchung, die 2009 im »Journal of Sleep Research« erschienen ist, werteten zwei Wissenschaftlerinnen zum Beispiel frühere Forschungsarbeiten aus, die sich auf gesunde Teilnehmer mit regelmäßigen Schlafzyklen konzentrierten. Dabei entdeckten sie, dass ein Nickerchen Faktoren wie die Reaktionszeit, die Wachsamkeit und die Gedächtnisleistung verbesserte. Eine Studie aus dem Jahr 2021 in »Science Advances« fand sogar Belege für einen positiven Effekt auf die Kreativität. Darin wurden die Versuchspersonen gebeten, Matheaufgaben zu lösen. Die Aufgaben konnten mit einer einfachen Abkürzung gelöst werden, die den Teilnehmern allerdings nicht mitgeteilt wurde. Einige Probanden wurden ermutigt, ein kurzes Schläfchen zu machen, bevor sie die Aufgaben in Angriff nahmen. Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass diejenigen, die ein Nickerchen machten – selbst wenn sie dabei nur 30 Sekunden in der ersten, leichtesten Schlafphase verbrachten –, mit 2,7-mal größerer Wahrscheinlichkeit auf die mathematische Abkürzung kamen als diejenigen, die wach blieben. Ein tieferer Schlaf wirkte sich hingegen negativ auf die Kreativität aus. Es könnte also eine Art »sweet spot« der geistigen Entspannung geben, der den Weg für Geistesblitze ebnet.

Am besten sind 20 Minuten oder 60 bis 90 Minuten

Am meisten scheinen Menschen mit einem Schlafdefizit, die nachts zu wenig Ruhe bekommen, von einem Nickerchen zu profitieren. Das gilt zum Beispiel für Schichtarbeiter, frischgebackene Eltern oder ältere Menschen mit unregelmäßigem Nachtschlaf. Ein Review aus dem Jahr 2014 zeigte etwa, dass ein Nickerchen während der Nachtschicht die Schläfrigkeit reduziert und die Leistungsfähigkeit insgesamt verbessert, selbst wenn Menschen sich nach dem Aufwachen etwas groggy fühlen – ein Phänomen, das als Schlafträgheit bezeichnet wird.

Das richtige Timing kann die Schlafträgheit allerdings reduzieren, sagt Natalie Dautovich, Psychologin an der Virginia Commonwealth University und Mitglied der US-amerikanischen National Sleep Foundation, die hauptsächlich von Pharma- und Medizintechnikunternehmen finanziert wird. Ein 20-minütiges Schläfchen sei erholsam, erklärt Dautovich, und 60 bis 90 Minuten Schlaf könnten sogar noch erholsamer sein. Ein Nickerchen, das mehr als 20 Minuten und weniger als 60 Minuten dauert, solle man allerdings vermeiden, da diese Zeitspanne am ehesten zu Schlafträgheit führe.

Mögliche Auswirkungen von Nickerchen auf Herz und Hirn

Während die kurzfristigen Vorteile von Nickerchen gut belegt sind, sind die langfristigen Auswirkungen weniger klar. Insbesondere diskutieren Forscher und Forscherinnen darüber, ob die kurzen Schläfchen gut oder schlecht für die kardiovaskuläre Gesundheit sind, nachdem epidemiologische Untersuchungen zu gemischten Ergebnissen kamen. Selbstauskünfte darüber, wie häufig und wie lange Menschen ein Nickerchen machen, seien unzuverlässig, sagt Dautovich. Zudem sei es nicht immer leicht, die genaue Natur der Verbindung zwischen einem kurzen Mittagsschlaf und bestimmten gesundheitlichen Folgen festzustellen. »Der kausale Zusammenhang zwischen Nickerchen und anderen Gesundheitszuständen ist schwer zu bestimmen«, erklärt sie. »Menschen mit zahlreichen Gesundheitsproblemen sind tagsüber müde. Ein Schläfchen ist dann womöglich nicht die Ursache für dieser Probleme, sondern eher die Folge.«

In einer Studie aus dem Jahr 2021, die in der Zeitschrift »Alzheimer's & Dementia« veröffentlicht wurde, kamen Forscher beispielsweise zu dem Schluss, dass ein langes Nickerchen bei älteren Erwachsenen (das Durchschnittsalter in der Studie lag bei 81,4 Jahren) einen Risikofaktor für Alzheimerdemenz darstellte. Die Alzheimerkrankheit führte aber auch gleichzeitig dazu, dass die Betroffenen häufiger ein Nickerchen hielten und länger dabei schliefen.

Ein regelmäßiger Mittagsschlaf verlangsamt den Alterungsprozess um 2,6 bis 6,5 Jahre, zumindest was das Hirnvolumen betrifft

Einer Übersichtsarbeit zufolge, die 2017 in der Zeitschrift »Sleep Medicine Reviews« veröffentlicht wurde, lassen Studien an Erwachsenen im mittleren Lebensalter darauf schließen, dass Nickerchen mit einer Verringerung von koronaren Herzkrankheiten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Todesfällen auf Grund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden sind. Kurze Schläfchen können den Blutdruck und die Herzfrequenz senken. Und möglicherweise werden durch sie auch geringere Mengen von Hormonen wie Adrenalin ausgeschüttet – alles Faktoren, die die kardiovaskuläre Gesundheit laut den Studienautoren verbessern könnten. Bei Erwachsenen im Alter von mindestens 65 Jahren kamen einige Studien jedoch zu dem Schluss, dass ein langer Mittagsschlaf von einer Stunde oder mehr mit einem höheren Risiko für Herzprobleme einhergeht. Möglicherweise sind solche langen Nickerchen aber eher ein frühes Symptom von bislang unentdeckten Krankheiten als deren Ursache, geben die Autoren zu bedenken.

Garfield und ihre Kollegen vom University College London haben herausgefunden, dass regelmäßige kurze Schläfchen die Hirngesundheit langfristig zu verbessern scheinen. Anhand von Daten aus der britischen Biobank, die Gendaten und Gesundheitsinformationen von mehr als 500 000 gesunden Menschen im Alter zwischen 40 und 69 Jahren enthält, fand das Team heraus, dass diejenigen, die genetische Variationen aufwiesen, die mit regelmäßigen Nickerchen in Verbindung gebracht werden, auch ein größeres Hirnvolumen hatten. Das Gehirn verliert üblicherweise mit zunehmendem Alter an Volumen, erklärt Garfield, aber ein größerer Verlust wird mit Krankheiten wie Demenz, Schlafapnoe und höheren Konzentrationen des Stresshormons Kortisol in Verbindung gebracht. Ein regelmäßiger Mittagsschlaf verlangsamt den Alterungsprozess um 2,6 bis 6,5 Jahre, zumindest was das Hirnvolumen betrifft, berichten die Forscher in »Sleep Health«.

Der Weg zur Nickerchenroutine

Natürlich hat nicht jeder die Möglichkeit, tagsüber ein Nickerchen zu machen, sagt Garfield. Und es gibt andere ähnlich gesunde Tätigkeiten, mit denen man 30 Minuten am Tag verbringen kann, wie zum Beispiel spazieren gehen oder ins Fitnessstudio gehen. Doch wenn es mit dem eigenen Zeitplan und den persönlichen Vorlieben vereinbar ist, scheint ein kurzes Schläfchen eine gesunde Angewohnheit zu sein und kein Zeichen von Faulheit.

»Viele Menschen können schlicht durch Ausprobieren herausfinden, ob ein Nickerchen für sie sinnvoll ist«, sagt Dautovich. »Wenn der Zeitplan es zulässt, kann es hilfreich sein, mit einem kurzen Nachmittagsschlaf von 20 Minuten oder weniger an mehreren Tagen in der Woche zu beginnen. So kann man feststellen, ob das Schläfchen die Stimmung oder die Leistungsfähigkeit hebt oder ob es den nächtlichen Schlaf beeinträchtigt. Außerdem bekommt der Körper so Zeit, eine entsprechende Routine zu entwickeln.«

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