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Schnee in den Alpen: Schneemassen sorgen für Lawinengefahr

Seit Neujahr schneit es kräftig in den Bergen. Und damit steigt das Lawinenrisiko drastisch an. Was ist zu beachten - und was im Notfall zu tun?
Staublawine

Seit dem Jahreswechsel 2018 auf 2019 schneit es in den Alpen immer wieder – und in den vergangenen Tagen sogar nahezu ununterbrochen. Wie der »Wetterkanal« von Jörg Kachelmann am Beispiel von Ramsau-Schwarzeck bei Berchtesgaden in den bayerischen Alpen zeigt, nahm hier die Schneedecke vom 29.12. 2018 bis zum Morgen des 7.1. 2019 um 1,5 Meter zu. Seitdem hat es weitergeschneit, und auch die Prognosen für die nächsten Tage gehen von weiteren Schneefällen aus: Der Deutsche Wetterdienst prognostiziert allein von Donnerstag (10.1.) auf Freitag (11.1.) in den Staulagen der Alpen weitere 70 bis 90 Zentimeter Neuschnee. Einige Orte in den bayerischen und österreichischen Bergen sind bereits von der Außenwelt abgeschnitten.

Der Neuschneezuwachs ist zumindest regional mittlerweile bemerkenswert. »Grob kann man sagen, dass diese Neuschneemengen selbst im klassischen Nordstau oberhalb von etwa 800 Meter Seehöhe statistisch gesehen nur alle 30 bis 100 Jahre vorkommen. Das gilt vor allem für die Regionen vom Tiroler Unterland über Salzburg bis hin zur Dachstein- und Hochkarregion«, so Alexander Radlherr von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien in einer Mitteilung. Auch wenn die Schneehöhen insgesamt noch nicht katastrophal oder rekordverdächtig sind, so hat sich doch das Lawinenrisiko in den Alpen beträchtlich erhöht. In den bayerischen Alpen sowie in weiten Teilen der österreichischen Nord- und Zentralalpen gilt mittlerweile die zweithöchste Warnstufe 4, in manchen Regionen der Steiermark und in Niederösterreich gilt sogar schon Stufe 5. Erst ab Dienstag soll sich die Situation etwas entspannen.

Schon unter günstigen Bedingungen erhöhen derartig massive Niederschläge die Lawinengefahr. Doch in den Bergen herrschen gegenwärtig schlechte Verhältnisse: Tage mit ausgiebigem Schneefall wechselten sich ab mit stürmischen Wetterlagen, kalten Nächten und teilweise komplizierten Altschneelagen. Der stürmische Wind in den Bergen etwa sorgt für starke Schneeverwehungen und -umlagerungen. Schneefall und Verwehungen verursachen, dass die Schneedecken sehr instabil sind und bereits durch geringe Auslöser abgehen können. Die alpinen Schneedecken sind derzeit kritisch aufgebaut und durch körnige Zwischenlagen – so genannte Schwimmschneeschichten – besonders labil. Der Neuschnee liegt dabei mit hoher Last auf Altschnee und ist mit diesem nur unzureichend oder nicht verbunden. Dadurch kann er von selbst abgleiten und talwärts weiteren Lockerschnee mitreißen, so dass sich große Lawinen entwickeln.

Gefahr droht zudem durch große Schneebrettlawinen, die meist von Skifahrern ausgelöst werden, wenn sie sich außerhalb gesicherter Gebiete bewegen. Besonders häufig und gefährlich für Alpinsportler sind dabei Schneebretter, die knapp oberhalb des Auslösers im Hang abreißen und dafür sorgen, dass der Skifahrer oder Tourengeher mitten in der Lawine schwimmt. Während des Abgangs verdichtet diese sich und betoniert einen darin befindlichen Menschen beim Stillstand regelrecht ein, so dass er sich kaum mehr bewegen kann. In tieferen Lagen ist die Schneedecke zum Boden hin nass und kann zu gleiten beginnen, etwa aus lückigen Bergwäldern oder an glatten, steilen Wiesenhängen, wie der Lawinenwarndienst Bayern hinweist.

Im Schnee graben | Nach einer Lawine muss schnell gehandelt werden, um Verschüttete zu bergen. Nach 15 Minuten sinkt ihre Überlebenschance dramatisch.

Etwa 90 Prozent aller Lawinentoten gehen auf Schneebretter zurück, der Rest verteilt sich auf andere Lawinentypen wie Lockerschnee- oder Staublawinen. Letztere können bis zu 300 Kilometer pro Stunde schnell werden. Dabei wird auf der meist sehr steilen Sturzbahn Lockerschnee aufgewirbelt und bildet dann mit der Luft ein tödliches Gemisch, an dem betroffene Menschen ersticken, weil es mit Wucht in die Lungen gepresst wird. Das war beispielsweise bei der Lawinenkatastrophe von Galtür der Fall, die sich im Februar zum 20. Mal jährt. Zahlreiche Niederschläge, Verwehungen und permanente Temperatursprünge zwischen arktisch kalt und mild sorgten damals dafür, dass sich sogar an einem Grat große Schneemassen ansammelten, von dem in historischen Zeiten noch nie Gefahr ausgegangen war. Als sie schließlich den steilen Hang hinabstürzten, glitten sie auf einem Luftpolster auf, und es entstand eine der gefürchteten Staublawinen. Mit der Wucht eines Hurrikans zerstörte sie zahlreiche Gebäude: In den Trümmern starben mehr als 30 Menschen.

Was tun im Notfall

Der Lawinenwarndienst Bayern betont, dass man bei Stufe 4 definitiv und generell auf das Befahren oder Begehen von Hängen mit mehr als 30 Grad Neigung verzichten sollte. Im flacheren Gelände müsse man ebenfalls darauf achten, dass sie von Lawinen aus höher liegenden Gebieten erreicht werden könnten. Die beste Vorsorge ist es daher, nicht in gesperrte Hänge einzufahren und auf gesicherten Pisten zu bleiben. Auch sollten Skifahrer nie allein unterwegs sein, aber in gefährdeten Bereichen auch Abstand zu anderen Nutzern halten.

Wer dennoch nicht darauf verzichten will, sollte auf jeden Fall auf eine gute Ausrüstung achten: Lawinenairbags etwa helfen, dass betroffene Tourengeher und Skifahrer eher an der Oberfläche des Schneebretts »mitschwimmen«; sie werden nicht so tief oder gar nicht verschüttet, was die Überlebensrate der Betroffenen erheblich vergrößert. Eine Datenauswertung des Eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) hatte vor einigen Jahren ergeben, dass 95 Prozent der Personen mit einem Lawinenairbag einen Lawinenabgang überlebt hatten. Dagegen sterben 85 Prozent aller Menschen, die vollständig von einer Lawine verschüttet werden – wie dies ohne Lawinenairbag in der Mehrzahl der Fälle passiert. Der »Ballon« verringert zum einen die Dichte des Menschen, die normalerweise höher als jene des Schnees ist, auf jeweils ähnliche Werte – wodurch eine Person eher an der Oberfläche des Schneebretts bleibt. Zudem wirkt der Paranuss-Effekt: Der Airbag macht den Wintersportler größer. In der Lawine findet beim Sturz eine Entmischung statt, bei der größere Teilchen wie kompakte Schneebrocken oder ein Mensch mit Ballon nach oben transportiert werden – ähnlich wie bei einem Glas mit Müsli, in dem durch Schütteln die größeren Nüsse nach oben verfrachtet werden.

Dennoch ist nach der Katastrophe Eile geboten. Innerhalb von 15 Minuten ist die Überlebenswahrscheinlichkeit noch sehr hoch, wenn man ausgegraben wird. Danach erfolgt eine Art tödlicher »Knick«: Ohne Atemhöhle ersticken in dieser Zeit die meisten Opfer; ein Atemraum verlängert diesen Zeitraum auf 90 bis 120 Minuten  vor allem Nassschneelawinen legen sich aber wie Beton um verunglückte Menschen. Nach dieser Zeit droht im Inneren der Lawine die Luft auszugehen oder es droht Tod durch Unterkühlung. Ebenfalls ins Gepäck gehören ein Lawinenpiepser, der ein Signal aussendet, das Helfer orten können und das sie zum Opfer leiten kann, sowie eine kleine Schaufel: Mit den Händen lässt sich der kompakte Schnee nicht ausreichend schnell und nur mit großem Kraftaufwand entfernen. Um nach Verschütteten zu suchen, benötigen Erstretter zudem eine Lawinensonde, einen zusammenfaltbarer Metallstab mit Kordelmechanismus, der bei der Suche immer wieder in den Schnee gestochen wird, um das Opfer zu lokalisieren, sollte dieses keinen Sender tragen.

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