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Sinusvenenthrombosen: Nebenwirkung könnte vom Vektorvirus stammen

Bei einem weiteren Vektorimpfstoff sind ebenfalls Sinusvenenthrombosen aufgetreten. Möglicherweise steckt das eigentlich harmlose Adenovirus hinter den schweren Nebenwirkungen.
Stilisierte Adenoviren vor blauem Hintergrund.

Nach dem AstraZeneca-Impfstoff Vaxzevria sind nun auch beim Impfstoff des Herstellers Johnson & Johnson Sinusvenenthrombosen als mögliche seltene Nebenwirkung aufgetreten. Der US-Pharmakonzern hatte am Dienstag wegen Berichten über die Vorfälle nach der Impfung den Marktstart seines Präparats in Europa aufgeschoben. Die auffällige Gemeinsamkeit beider Vakzine: Sie basieren auf einem Adenovirus als Träger der Erbinformation des Sars-CoV-2.

Fachleuten zufolge ist das Vektorvirus deswegen möglicherweise die eigentliche Ursache der schweren Nebenwirkungen. »Die Tatsache, dass beide Impfstoffe auf dem gleichen Prinzip beruhen und die gleichen Probleme verursachen, spricht meines Erachtens eher dafür, dass der Vektor selbst die Ursache ist«, sagte Johannes Oldenburg vom Universitätsklinikum Bonn der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings sei das zum gegenwärtigen Zeitpunkt spekulativ.

Behörden in den USA haben ein vorübergehendes Aussetzen der Impfungen mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson empfohlen, nachdem im Land sechs Fälle von Hirnvenenthrombosen erfasst worden waren. In drei Fällen kam es zusätzlich zu einer Thrombozytopenie, also einem Mangel an Blutplättchen – die Kombination dieser Symptome war auch in der EU bei Vaxzevria aufgetreten. In den USA ist dieser noch nicht zugelassen, während der Impfstoff von Johnson & Johnson seit der Zulassung Ende Februar dort mehr als 6,8 Millionen mal zum Einsatz kam.

Liegt es am Vektor?

Bei einer Sinusvenenthrombose kommt es zu einem Verschluss bestimmter Venen im Gehirn durch Blutgerinnsel. Dies macht sich vor allem durch Kopfschmerzen bemerkbar, auch epileptische Anfälle, Lähmungen oder Sprachstörungen können auftreten. Ein Mangel an Blutplättchen wiederum führt zu einer erhöhten Blutungsneigung. Als Symptome treten punktförmige Einblutungen in der Haut oder den Schleimhäuten auf, gelegentlich auch starkes Nasenbluten.

Clemens Wendtner, Chefarzt an der München Klinik Schwabing vermutet ebenfalls, dass den Nebenwirkungen bei beiden Impfstoffen ein ähnlicher Mechanismus zu Grunde liegt. »Wir haben im Fall von Johnson & Johnson die gleichen Nebenwirkungen, die auch bei AstraZeneca aufgetaucht sind«, sagt Wendtner. »Da stellt sich die Frage, ob es hier einen Klasseneffekt gibt, also die Adenoviren, die als Vektoren genutzt werden, die Probleme auslösen.«

Einige Fachleute wie Andreas Greinacher von der Universitätsmedizin Greifswald (UMG) vermuten, dass die Nebenwirkung der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) ähnelt. Bei dieser seltenen Erkrankung bildet das Immunsystem Antikörper gegen eine Kombination aus Heparin und dem Plättchenfaktor 4 (PF4), einem Signalstoff der Blutgerinnung. Auch weitere aktuelle Studien zeigen, dass die Sinusvenenthrombose nach Impfung tatsächlich einige Merkmale mit HIT gemeinsam hat.

Völlig unklar ist allerdings bisher, woher die Antikörper kommen. Es sei theoretisch auch denkbar, dass das Spike-Protein des Virus, das in allen verfügbaren Impfstoffen dem Immunsystem zur Bildung von Abwehrstoffen präsentiert wird, die Nebenwirkungen verursacht, erklärte Oldenburg. Dafür spräche, dass Thrombosen auch bei der Infektion mit dem Virus selbst oft auftauchen. Das wäre ein großes Problem für alle Impfungen, denn sämtliche derzeit verfügbaren Vakzine basieren auf dem Spike-Protein.

Der Ursprung der Antikörper ist unbekannt

Dagegen spricht allerdings, dass Sinusvenenthrombosen bisher nur bei den Vektorimpfungen aufgefallen sind. Außerdem deutet eine bisher lediglich als Vorabveröffentlichung erschienene Untersuchung der Arbeitsgruppe um Greinacher darauf hin, dass die an PF4 bindenden Antikörper von Patientinnen und Patienten mit Sinusvenenthrombosen nicht auf das Spike-Protein reagieren. Ob das für die bei der Impfung ebenfalls entstehenden Antikörper gegen das Adenovirus selbst nicht der Fall ist, muss noch geprüft werden.

Möglicherweise ist aber vielmehr das Erbgut des Vektorvirus Ursache des Problems. Die DNA bindet nämlich auf die gleiche Weise an PF4 wie Heparin – sie trägt wie dieses viele negative Ladungen, während PF4 mehrfach positiv geladen ist. Tatsächlich ist lange bekannt, dass neben Heparin auch andere mehrfach negativ geladene Moleküle, so genannte Polyanionen, die Bildung von Antikörpern stimulieren können. DNA könnte einfach ein weiterer Auslöser dieses Mechanismus sein.

»Wir haben im Fall von Johnson & Johnson die gleichen Nebenwirkungen, die auch bei AstraZeneca aufgetaucht sind«Clemens Wendtner

Die Vermutung ist, dass einige der Vektorviren bei der Injektion ihre DNA freisetzen. Da der Impfstoff viel mehr Viren enthält, als bei einer normalen Infektion in die Blutbahn gelangen, könnte die Menge ausreichen, um genug PF4-Polyanion-Komplexe zu bilden, die die Reaktion auslösen. Wenn das der Fall ist, ließe sich das Problem womöglich einfach beheben, indem man eine geringere Dosis des Impfstoffs spritzt.

Die offene Frage bei solchen Überlegungen ist allerdings, warum das nur bei extrem wenigen Menschen passiert. Freie DNA sollte nach dieser Hypothese bei jeder Impfung ins Blut gelangen. Vermutlich ist es sogar ein Schutzmechanismus des Körpers, als Reaktion auf freie DNA die Blutgerinnung zu aktivieren. Die Erbmoleküle zeigen normalerweise an, dass Zellen zerstört werden, und verbesserte Gerinnung ist in diesem Bild Teil der normalen Reaktion darauf. Warum die Sinusvenenthrombosen dennoch so selten sind, und normale Thrombosen anscheinend nach der Impfung auch nicht häufiger auftreten, lässt die Hypothese offen.

Warum sind Sinusvenenthrombosen so selten?

Deswegen besteht die Möglichkeit, dass die Betroffenen die Ursache der Sinusvenenthrombose bereits in sich tragen – möglicherweise in Form bereits vorhandener Antikörper gegen PF4. Diese könnten in seltenen Fällen beim Menschen gebildet werden, ohne dass sie Probleme verursachen, denn das Immunsystem hat Mechanismen, um die Zellen und Moleküle des Körpers vor Immunreaktionen zu schützen. Manchmal störe jedoch eine Impfung dieses System der Selbsttoleranz, erklärt die Hämatologin Gowthami Arepally in »Science«. Kommt das mit der Präsenz der Antikörper gegen PF4 zusammen, könnte das die schwere Nebenwirkung auslösen.

Dass zwei Bedingungen erfüllt sein müssen, damit es zur Sinusvenenthrombose kommt, könnte erklären, warum diese so selten sind. Nach Angaben eines Mitarbeiters von Johnson & Johnson auf einer Sitzung des US-Amerikanischen Beratungskomitees für Immunisierungsverfahren (ACIP) sprechen erste Indizien jedoch dagegen. Demnach ergab eine Analyse bei einem Betroffenen, dass er vor der Impfung keine PF4-Antikörper hatte, hinterher aber schon.

Derzeit forschen Fachleute mit Hochdruck daran, mehr über die Mechanismen hinter den Sinusvenenthrombosen zu erfahren und mögliche Lösungen des Problems zu identifizieren. Im günstigsten Fall hängt die schwere Nebenwirkung direkt mit der Virendosis in der Impfung zusammen. Zum Beispiel weil tatsächlich Virus-DNA die Immunreaktion auslöst oder irgendein anderer Mechanismus im direkten Zusammenhang mit der heftigen Impfreaktion eine Rolle spielt.

Dann nämlich könnte die Lösung einfach sein, die Virendosis zu verringern; dann nämlich verläuft auch die Impfreaktion milder. Greinacher schlug deswegen schon vor, Tests mit der halben Dosis der Vektorimpfstoffe durchzuführen – analog zu jenem Teil der AstraZeneca-Zulassungsstudie, bei der Versuchspersonen durch einen Fehler nur die halbe Dosis erhielten.

Doch dieser und wohl auch jeder andere Lösungsansatz hat einen großen Haken: Weil die Sinusvenenthrombosen eine so seltene Nebenwirkung sind, muss man auch die möglichen Gegenmaßnahmen an sehr vielen Menschen ausprobieren, um zu sehen, ob sie wirklich helfen. Dadurch wird es wohl noch eine ganze Weile dauern, bis die Frage nach den Sinusvenenthrombosen und einem Mittel dagegen endgültig beantwortet ist.

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