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Top-Innovationen 2020: Sonne macht Kohlendioxid zum Rohstoff

Methoden, die CO2 in großem Stil in etwas Nützliches umwandeln, sind wichtig für den Klimaschutz. Eine neue Generation von Katalysatoren nutzt dafür sichtbares Licht.
Sonnenchemie

Chemikalien – die Welt ist voll davon, sie bilden die Basis für Anwendungen überall im Alltag, in der Industrie oder der Medizin. Doch ihre Herstellung verbraucht eine Menge fossiler Brennstoffe, die aufwändig gefördert werden müssen, die Kohlendioxidfreisetzung in die Atmosphäre steigern und den Klimawandel beschleunigen.

Eine ganz neue Herangehensweise könnte diese Probleme umgehen: Sonnenlicht soll CO2 in nützliche chemische Grundbausteine zerlegen, die dann wiederverwertet werden können. Das würde Treibhausgasemissionen von zwei Seiten her reduzieren: Das Klimagas würde zum einen selbst zum Rohstoff werden, und zum anderen würde Sonnenlicht die fossilen Brennstoffe ersetzen, die oft als Energiequelle bei der Synthese von Chemikalien dienen.

Denkbar wird dies nun dank großer Fortschritte in der Entwicklung von sonnenaktivierten Katalysatoren. Solche Photokatalysatoren können CO2 aufspalten. Das erfordert viel Energie, denn das Kohlenstoffatom und die beiden Sauerstoffatome, aus denen ein Kohlendioxidmolekül besteht, sind über stabile Doppelbindungen verbunden. Die neuen Photokatalysatoren ziehen die notwendige Spaltungsenergie nun aus dem sichtbaren Licht der Sonne.

Das markiert einen entscheidenden ersten Schritt auf dem Weg zum Bau von »solaren« Raffinerien, in denen in großem Stil nützliche chemische Verbindungen aus Abgas gewonnen werden. Dabei entstehen so genannte »Plattform-Moleküle«: basale chemische Verbindungen, aus denen unterschiedlichste komplexere Produkte synthetisiert werden – etwa Medikamente, Waschmittel, Düngemittel oder Textilien.

UV-Licht gibt es nicht genug

Photokatalysatoren sind in der Regel Halbleiter. Sie nutzen energiereiches ultraviolettes Licht (UV-Licht), um die Elektronen freizusetzen, die für die Spaltung von Kohlendioxid nötig sind. Allerdings macht UV-Licht nur rund fünf Prozent des eingestrahlten Sonnenlichts aus und ist zudem zerstörerisch. Aus diesem Grund arbeiteten Forschende in den vergangenen Jahren daran, neue Katalysatoren zu entwickeln, die den sichtbaren, deutlich breiter verfügbaren Wellenlängenbereich des Sonnenlichts nutzen.

Die spannendsten Technikinnovationen des Jahres 2020

Welche technischen Fortschritte haben das Potenzial, das Gesundheitswesen, ganze Industriezweige oder gar Gesellschaften in drei bis fünf Jahren zu revolutionieren? Die zehn besten aus 75 nominierten »Innovationen des Jahres 2020« hat ein Team aus Fachleuten gewählt, einberufen vom Weltwirtschaftsforum sowie vom US-Wissenschaftsmagazin »Scientific American«.

Wir stellen die Top-10 in den letzten zwei Wochen des Jahres vor:

So wurden bestehende Katalysatoren sorgfältig und methodisch strukturell verändert und weiterentwickelt. Etwa Titandioxid: Mit diesem Katalysator kann Kohlendioxid mit Hilfe von UV-Licht bereits seit Längerem effizient in andere Moleküle umgewandelt werden. Eine rundum verbesserte Variante mit gezielt eingebauten Stickstoffatomen benötigt nun deutlich weniger Energie für den Prozess. Er kann daher auch mit den schwächeren sichtbaren Lichtwellenlängen die gängigsten Plattform-Moleküle herstellen, etwa Methanol, Formaldehyd oder Ameisensäure. Alle diese organischen Verbindungen dienen als wichtiges Rohmaterial für die Herstellung von Kleb- und Schaumstoffen, Sperrholz, Schränken, Bodenbelägen oder Desinfektionsmitteln.

Aus Forschung wird echte, abfallfreie Kreislaufwirtschaft

Gegenwärtig forschen vor allem wissenschaftliche Einrichtungen an solarchemischen Prozessen. Die bedeutendsten sind dabei das Joint Center for Artificial Photosynthesis am Caltech und dem Lawrence Berkeley National Laboratory in den USA und das niederländische Sunrise-Consortium, ein Zusammenschluss von Universitäten, Industrie und Forschungs- und Technologieorganisationen sowie in Deutschland die Abteilung für heterogene Katalyse am Max-Planck-Institut für chemische Energieumwandlung in Mülheim.

Einige Start-ups arbeiten an einem anderen Ansatz zur Umwandlung von Kohlendioxid in nützliche Substanzen: Strom als Antrieb der chemischen Umwandlung. Dieser Ansatz ist weniger umweltfreundlich als die Nutzung von Sonnenlicht, solange die Elektrizität aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird – ein Nachteil, den man durch den Umstieg auf Photovoltaik als Stromquelle überwinden könnte.

Die Fortschritte der Sonnenlicht-Katalysatoren dürften in den kommenden Jahren von weiteren Start-ups oder Unternehmen aufgegriffen, kommerzialisiert und weiterentwickelt werden. Das mag dazu führen, dass CO2, der schädliche Abfall von heute, morgen einmal zu wertvollen Produkten umgewandelt werden kann. Damit käme die chemische Industrie auf dem Weg zu einer echten, abfallfreien Kreislaufwirtschaft einen Schritt voran. Das Endziel – den CO2-Ausstoß umzukehren und negative Emissionen zu produzieren – würde so auch näher rücken.

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