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Ungeziefer: »Ganz ausrotten werden wir Bettwanzen nie«

In Frankreich erhitzen kleine Tierchen gerade die Gemüter – in jedem zehnten Pariser Haushalt sollen sich Bettwanzen eingenistet haben. Wie die Insekten sich vermehren, woher sie kommen und wie wir mit ihnen umgehen sollten, erklärt der Entomologe und Bettwanzen-Experte Klaus Reinhardt von der TU Dresden.
Eine einzelne Bettwanze in Großaufnahme. Sie läuft entlang eines weißen Matratzenstoffs.
Da läuft sie! Der Anblick einer Bettwanze direkt auf der Oberseite der Matratze ist aber eher selten – meistens verstecken die Tierchen sich am und um den Bettrahmen und in dunklen Ritzen hinter Tapeten oder Bodenleisten.

Spektrum.de: Herr Reinhardt, Sie sind gerade mit Ihren Studierenden auf Exkursion. Haben Sie das Zimmer in Ihrer Unterkunft gründlich auf Bettwanzen untersucht, bevor Sie es bezogen haben?

Reinhardt: Nein, das ist nicht nötig. Ich habe die Matratzen nicht umgedreht oder den Lattenrost inspiziert. Die Bettwanzen würden mir auffallen, ohne dass ich gründlich nachgucken muss. Auf die bin ich geeicht. Andererseits stören sie mich auch nicht so sehr.

Wie bitte?

Ich kann schon die Leute verstehen, die nachsehen. Aber ich arbeite seit Jahren mit Wanzen im Labor und ich füttere sie manchmal noch selbst, ich lasse sie also mein Blut saugen. Ich habe bestimmt schon eine Million Wanzen gefüttert – mir macht das nichts mehr aus.

Werden Sie auch sonst häufig gebissen?

Ach, für mich ist ein Biss – wie bei den meisten Menschen – nicht schlimmer als ein Mückenstich. Das macht mir also keine Angst.

Dann geht es Ihnen anders als vielen Franzosen. Dort wird von einer großen Plage gesprochen, jeder zehnte Haushalt ist angeblich betroffen. Ist das viel?

Ich finde, das ist schon viel, mich hat die Zahl überrascht. Wir finden Bettwanzen ja vor allem dort, wo viele unterschiedliche Menschen nächtigen. Deshalb sind meistens Hotels, Hostels oder Sammelunterkünfte betroffen. In Sydney war nach den Olympischen Spielen im Jahr 2000 jedes vierte Hostel befallen. Insofern ist jeder zehnte Haushalt schon eine hohe Zahl.

Klaus Reinhardt | Der Zoologe, Evolutionsbiologe und Entomologe Klaus Reinhardt erforscht an der TU Dresden die Fortpflanzung und die Verbreitung von Bettwanzen.

Man findet Bettwanzen also vor allem dort, wo viele Menschen verkehren. Dass ein Befall ein Zeichen schlechter Hygiene ist, ist jedoch ein Mythos, oder?

Ja, daran gibt es keine Zweifel mehr. Ein Befall hat nichts mit mangelnder Hygiene oder mit dem Gütestandard einer Unterkunft zu tun. Die vermeintliche Häufung von Fällen in günstigen Unterkünften lässt sich leicht erklären: Luxushotels haben zum einen die finanziellen Möglichkeiten, eventuelle Fälle diskret zu lösen, bevor die Presse davon erfährt. Zum anderen gibt es einfach viel mehr billige Hostels als Luxushotels, deshalb hört man auch häufiger davon, dass solche Unterkünfte befallen sind. Das ist ein einfaches Summenspiel, das weiß man schon seit mehr als 200 Jahren.

Und trotzdem empfinden die meisten Menschen bis heute Scham, wenn sie Bettwanzen im Haus haben. Hoffentlich bekommt der Nachbar nichts mit ...

Das kriegt man nicht raus aus den Menschen. Mücken sind kein Problem, die kommen von draußen. Selbst Läuse scheinen nicht so schlimm zu sein wie Wanzen. Ich kann mir das auch nicht ganz erklären.

Sie dringen immerhin in unsere Schlafzimmer ein und ernähren sich von unserem Blut.

Ja, sie warten im Bett auf uns. Das scheint noch schlimmer zu sein, als sie am Körper herumzutragen wie Läuse. Bettwanzen sind ein soziales Stigma. Und das schon seit Jahrhunderten.

Sie stehen bei den Ungeziefern ganz unten.

Nur Ratten wären ähnlich schlimm. Eine weitere Erklärung könnte sein, dass sich Mythen über Bettwanzen hartnäckig halten. Die Hygiene habe ich ja schon genannt, das andere ist das angebliche Infektionsrisiko: Viele denken, sie würden Krankheiten übertragen. Aber das stimmt nicht. Und dann gibt es noch die Vorstellung, dass die Bettwanzen drei Stiche in einer Linie machen würden. Jeweils ein Stich für Frühstück, Mittag, Abendbrot.

Eine direkte Infektionsgefahr besteht also nicht, sagen Sie. Indirekt ziehen sich viele Betroffene Schwellungen und Quaddeln zu, indem sie kratzen wie verrückt. Können nicht dadurch schwere Infektionen entstehen?

Ein indirektes Risiko würde bestehen, wenn man eine Bettwanze in einer Wunde zerquetschen würde. Es gibt Krankheitserreger wie Hepatitis B, die sehr lange in den Bettwanzen bestehen bleiben. Aber eine solche indirekte Infektion ist sehr sehr selten. Zudem leben viele Viren zwar noch lange in den Wanzen, vermehren sich dort aber nicht mehr. Dadurch sind sie auch nicht infektiös.

Nach völliger Entwarnung klingt das aber nicht.

Ich habe mich darüber schon mehrfach in meinen Büchern lustig gemacht. ›Noch hat man nicht nachgewiesen, dass sie Krankheiten übertragen kann‹, schreibe ich da. Oder: ›Noch wissen wir es nicht.‹ Ganz ausschließen kann man es nicht. Es gibt auch eine nahe Verwandte der Bettwanze, die nordamerikanische Schwalbenwanze, die tatsächlich zwischen Schwalben ein Virus übertragen kann, das dem West-Nil-Virus ähnlich ist. Also theoretisch könnte eine Übertragung eines Tages möglich sein.

Bettwanzen sollen Marzipangeruch versprühen, habe ich gelesen. Stimmt das?

Das ist nicht spezifisch für die Bettwanze. Das ist derselbe Geruch wie der von der marmorierten Baumwanze oder der Feuerwanze, er stammt von den Substanzen Hexenal und Ocetnal. Es handelt sich um ein Warnsignal, das Wanzen nutzen, die in Gruppen leben. Sind viele von ihnen nah beeinander, sondern sie diesen Bittermandel- oder Marzipangeruch ab. Ein zweiter Geruch kann bei den Bettwanzen leicht süßlich sein. Der hat seine Ursache in der Blutverdauung. Das ist schon etwas eklig, aber auch interessant. Wir hatten früher viele Wanzenkolonien aus verschiedenen Gegenden im Labor und konnten die Stämme am Geruch unterscheiden, haben daraus sogar einen kleinen Wettbewerb veranstaltet: Wer erkennt die Herkunft der Wanzen allein am Geruch ... (lacht).

Seit der Jahrtausendwende breitet sich die Bettwanze wieder weltweit aus, heißt es. Stimmt das denn?

Wenn man streng ist, dann ist es wissenschaftlich schlecht belegt. Das liegt daran, dass keine Meldepflicht besteht. Ich habe über viele Jahre verschiedene Studien gesammelt, man hat relativ schlechte Daten, die besten noch aus Dänemark. Geschichtlich ging es immer auf und ab, aber seit der Jahrtausendwende geht es wirklich nach oben – so viel lässt sich eindeutig sagen.

Zuvor schienen Bettwanzen in Europa kaum noch ein Problem zu sein. Hatte man sie mit der für Insekten giftigen Substanz DDT fast ausgerottet?

Die Bekämpfung mit DDT fand vor allem in den USA statt. In Europa war der Bettwanzenbefall schon Ende der 1930er Jahre eingebrochen, bevor das Insektizid auf den Markt kam. Das lag an der Verbesserung der Wohnsituation, es lebten nicht mehr so viele Menschen auf engem Raum miteinander. In Großbritannien wurden bessere Häuser gebaut, die typischen Wohnblöcke der Arbeiter, in denen Ratten und Mäuse ein großes Reservoir hatten, verschwanden. Deshalb blieb die Zahl der Bettwanzen viele Jahrzehnte lang niedrig. Die Gründe für einen erneuten Anstieg Ende des 20. Jahrhunderts sind vielschichtig, es gibt eine Menge von Faktoren, die alle nicht ordentlich belegt sind.

Welche sind das?

Erstens der zunehmende Reiseverkehr. Aber damit lässt es sich nicht allein erklären, denn er hat nicht so plötzlich zugenommen wie der Bettwanzenbefall. Außerdem müssten wir dann auch deutlich mehr tropische Bettwanzen in Europa finden. Zweitens die Zunahme von Gebrauchtmöbeln über Flohmärkte und Secondhandshops. Drittens spielt auch der Klimawandel eine Rolle. Wärmere Temperaturen erlauben den Bettwanzen nämlich, eine Generation mehr zu entwickeln. Auch das Heizverhalten spielt sicher eine Rolle. Noch in den 1960er und 1970er Jahren blieben Räume oft unbeheizt, nicht selten sogar das Schlafzimmer. Zudem sind Insektizidresistenzen ein Grund für die Ausbreitung der Bettwanzen.

Woher kommt Ihre Faszination für Wanzen?

Bei mir ist es einfach wissenschaftliche Neugier, wir haben schon so viele interessante Dinge herausgefunden. Deshalb stehe ich den Tierchen schon eher als nettem Kollegen gegenüber, als dass ich sie als Ungeziefer betrachte.

Sie erforschen die Fortpflanzung der Tiere, die so genannte traumatische Insemination. Der Sexualakt der Bettwanzen scheint ziemlich brutal zu sein …

Das ist ein interessanter evolutionärer Prozess, der mich dazu gebracht hat, die Bettwanzen genauer zu erforschen. Der Geschlechterkonflikt ist bei diesem Tier besonders deutlich ausgeprägt. Man findet hier viele Ungewöhnlichkeiten.

Welche sind das?

Die Männchen stechen in die Leibeshöhle des Weibchen hinein und benutzen nicht die Geschlechtsöffnung. Die Spermien schwimmen dann frei durch den weiblichen Körper und suchen sich selbst den Weg zu den Eierstöcken. Dann passiert es, dass die Eier in den Eierstöcken befruchtet werden – das ist bei den Insekten einzigartig, bei allen anderen findet die Befruchtung erst bei der Eiablage statt. Die Weibchen legen zwar auch Eier, aber eigentlich sind da schon Embryonen drin. Streng genommen legen sie also kleine Babys.

Wie überlebt das Weibchen diese Attacke des Männchens beim Sex?

Das ist ein weiteres erstaunliches Phänomen. An der Stelle, wo die Männchen in das Weibchen reinbohren, ist das Gewebe besonders elastisch. Da wird ein neues Biomaterial gebildet, ja sogar ein eigenes Immunorgan, das es bei Insekten normalerweise nicht gibt. Das schützt vor Geschlechtskrankheiten, denn wenn das Männchen in das Weibchen hineinbohrt, befinden sich an dem Männchen alle möglichen Umweltmikroben. Die werden an diesem Organ neutralisiert. Es ist aber noch erstaunlicher: Wir haben hier eine Tierart, wo das Männchen seine Spermien und seine Mikroben übergibt, obwohl die Keime die Spermien schädigen und somit die Fortpflanzung gefährden können. Das ist völlig absurd.

In der Tat.

Als wir das gesehen haben, ahnten wir, dass es in der Samenflüssigkeit einen antibiotischen Stoff geben muss. Und zwar einen, der sofort wirkt, weil die Spermien innerhalb von Minuten absterben. Dieses Antibiotikum haben wir später auch gefunden. Und das fand ich dann schon toll: Andere Forscher fahren in die Tiefsee oder in den Urwald, um nach derartigen Substanzen zu suchen und wir finden ihn in Bettwanzen.

Woher stammen Bettwanzen ursprünglich – und seit wann kommen diese Tiere ins Schlafgemach?

Die Gemeine Bettwanze war ursprünglich ein Tier, das an Fledermäusen gelebt hat. Wir finden sie von Mitteleuropa bis Kasachstan und Afghanistan als normale Wanze im Fledermausquartier. In Mitteleuropa sind das von Menschen geschaffene Quartiere, Kirchdachböden beispielsweise, in Zentralasien vermutlich auch Höhlen. Der erste offizielle Bericht aus Deutschland stammt von einem Befall der Königin Edgitha, kurz vor dem Jahr 1000. In ihrem Sarkophag wurden Bettwanzen gefunden, deshalb spricht man vom ersten Fund. Ich bin skeptisch. Ich habe mir das in Halle im Museum angesehen und fand einen riesigen Schlitz im Sarkophag vor. Da wäre eine ganze Katze durchgekommen. Es ist also möglich, dass die Wanzen viel später eingewandert sind. Sicher ist ein Nachweis erst später, in Konrad von Megenbergs »Das Buch der Natur« lässt sich nachvollziehen, wie der Begriff von Wandlaus auf Wanze springt. Schon zu der Zeit war die Bettwanze also ein menschlicher Parasit.

Und früher?

In Europa sind die Nachweise schon aus der Antike belegt, der Artname Lectularius stammt ja aus dem alten Rom, von lateinisch lectus, Bett. Und auch Aristophanes hatte die Bettwanze im alten Griechenland in zwei seiner Stücke verwendet. So lange leben sie sicher mit dem Menschen.

Wie trafen sie auf den Menschen?

Wir gehen davon aus, dass es Bettwanzen gibt, solange es Städte gab, in denen auch Fledermäuse lebten. Die Wanzen sind irgendwann von den Tieren auf den Menschen gesprungen. Genetisch sind es mittlerweile zwei völlig getrennte Linien. Sie haben sich vor etwa 40 000 bis 50 000 Jahren auseinanderentwickelt, gehören aber noch zur selben Art. Wenn man diese Wanzen dazu zwingt, sich untereinander zu paaren, bekommt sie noch ausreichend Nachkommen, wie wir gerade herausgefunden haben.

Apropos Vermehrung: Sind Wohnungen erst einmal befallen, wird man Bettwanzen nur schwer wieder los. Woran liegt das?

In ihrer Biologie findet sich keine offensichtliche Ursache dafür. Auch die Resistenzen unterscheiden sich nicht maßgeblich von denen anderer Insekten. Ich würde bei einem schweren Befall immer dazu raten, einen Schädlingsbekämpfer zu rufen. Die Eier sind relativ widerstandsfähig, aber Hitze tötet sie ab.

Für die Bekämpfungsmethode per Hitze werden große Generatoren aufgestellt, die aus der Wohnung schnell eine Sauna machen.

Ja, auch um Wanzen zu erreichen, die sich gut verstecken. Als Plattwanzen können sie sich in sehr kleine Schlitze zwängen und dort verstecken. Sie sitzen im Bett, im Radio, in Steckdosen, hinter Tapeten und unter Fußbodenleisten. Da kommen Kontaktgifte nicht immer richtig hin.

Raten Sie alles in allem also zu mehr Gelassenheit im Umgang mit Bettwanzen?

Man sollte nicht in Panik geraten und Ruhe bewahren. Für die meisten ist der Biss der Wanzen nicht schlimmer als ein Mückenstich. Aber niemand möchte dauernd Mückenstiche haben. Deshalb sollte man die Bettwanzen auch nicht im Schlafzimmer dulden. Die müssen schon weg. Ganz ausrotten werden wir sie aber nie.

Die Fragen stellte Andreas Frey.

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