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US-Expansionismus: Der Griff nach Kuba

Kaum hatten die Kubaner ihre Unabhängigkeit vom spanischen Kolonialregime errungen, versuchten die USA vor 120 Jahren, sich die Karibikinsel einzuverleiben. Nicht per Eroberung, sondern mit einer Klausel in der kubanischen Verfassung.
Die USS Maine 1898 bei der Einfahrt in den Hafen von Havanna.

Die USS Maine lag ruhig im Hafen von Havanna. Kapitän Charles Sigsbee hatte sich bereits schlafen gelegt. Sein erster Offizier Lieutenant Commander Richard Wainwright rauchte noch in seiner Kajüte. Die meisten der 350 Matrosen, Marinesoldaten und Offiziere an Bord waren in ihren Kojen, als gegen 22 Uhr eine gewaltige Detonation den Rumpf des Vorschiffs aufriss. Die Explosion war so stark, dass noch 500 Meter entfernt Leitungsmasten abknickten und der Strom in den umliegenden Stadtteilen ausfiel. Binnen Minuten sank das Schiff. Nur etwa 90 Besatzungsmitglieder konnten gerettet werden.

Obwohl sich mehrere Untersuchungskommissionen bis weit ins 20. Jahrhundert mit dem Untergang des US-Panzerkreuzers am 15. Februar 1898 beschäftigten, ist bis heute nicht geklärt, wie es zu der Explosion gekommen war. Höchstwahrscheinlich griff ein Schwelbrand im Kohlenbunker unbemerkt auf die benachbarte Munitionskammer über. In den Jahren nach der Katastrophe kursierte allerdings die Theorie eines gezielten Anschlags mit einer Unterwassermine oder einem Torpedo. Der Vorwurf ließ sich nie beweisen, befeuerte jedoch die Kriegsstimmung in den USA. Viel mehr noch: Die Nordamerikaner nutzten das Ereignis zum Kriegseintritt gegen das spanische Kolonialregime, das Kuba damals beherrschte. Im Interesse der Vereinigten Staaten lag aber nicht die tatsächliche Unabhängigkeit Kubas. Sie selbst wollten die Karibikinsel an sich binden – nicht per Eroberung, sondern sie versuchten ihre Vormachtstellung in der Verfassung des neuen kubanischen Staats zu verankern.

Kuba will die Unabhängigkeit, die USA wollen Kuba

Bevor die USS Maine unterging, hatte das Kriegsschiff bereits knapp drei Wochen vor der kubanischen Metropole gelegen. In der Stadt waren Unruhen ausgebrochen. Die kreolische Bevölkerung kämpfte um die Unabhängigkeit vom spanischen Kolonialregime. Washington sah damit einen günstigen Moment gekommen, sich mit seiner Militärpräsenz als starker Nachbar zu zeigen, der seine eigenen Interessen wahren und seine Bürger schützen wolle. Puerto Rico und die »immer treue Insel« Kuba waren die letzten beiden Enklaven des einstigen spanischen Kolonialreichs in Amerika. Alle anderen Teilgebiete hatten bereits Anfang des 19. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit errungen. Und nun hegten bestimmte Gruppen in den USA, die so genannten Expansionisten, den politischen Wunsch, sich die übrig gebliebenen Inseln einzuverleiben.

Wrack der USS Maine | Die Fotografie zeigt die Überreste des Panzerkreuzers USS Maine im Hafen von Havanna. Eine Explosion riss das Schiff am 15. Februar 1898 auseinander. Das Bild entstand im Jahr 1900.

Bis dahin hatten die Kubaner schon drei Jahre lang um die Loslösung von Spanien gestritten. Ihr politischer Vordenker José Martí war bei den ersten Kämpfen 1895 gefallen. Wenige Jahre zuvor hatte er in seinem einflussreichen Essay »Unser Amerika« die expansionistische Gefahr des großen Nachbarn USA beschrieben. Dem »Riesen mit den Siebenmeilenstiefeln« müssten sich die lateinamerikanischen Republiken gemeinsam entgegenstellen. Kuba, nur rund 165 Kilometer vor der Küste von Florida gelegen, war damals häufig ins Fadenkreuz US-amerikanischer Interessen geraten. Der ehemalige Außenminister und spätere Präsident John Quincy Adams (1767–1848) hatte 1823 die Situation aus Sicht der USA so beschrieben: »Es gibt Gesetze der physikalischen wie der politischen Schwerkraft – und so wie ein im Sturm vom Baum gerissener Apfel keine andere Wahl hat, als zur Erde zu fallen, so kann auch Kuba, wenn gewaltsam aus seiner widernatürlichen Verbindung mit Spanien gelöst und unfähig, sich selbst zu schützen, nur der Schwerkraft der Nordamerikanischen Union folgen, die kraft desselben Naturgesetzes Kuba nicht von ihrem Busen stoßen kann.«

1898 schien der Apfel reif, um aus dem spanischen Kolonialreich zu fallen – oder gepflückt zu werden. Die Explosion der USS Maine lieferte den Anlass zum Angriff. Schon einige Zeit hatten auch die US-Medien Stimmung gegen das monarchische Kolonialregime in Madrid gemacht, das im krassen Gegensatz zur aufstrebenden jungen Nation der Vereinigten Staaten stand. Mit dem Schlachtruf »Remember the Maine, to Hell with Spain« (»Erinnere dich an die Maine, zur Hölle mit Spanien«) meldeten sich tausende Freiwillige in den US-Rekrutierungsbüros. 1898 wurden drei Regimenter ausgehoben, von denen nur eines tatsächlich zum Einsatz kam: die berühmt-berüchtigten Rough Riders. Die Truppe wurde von General Leonard Wood und dem späteren Präsidenten Theodore Roosevelt (1858–1919) zusammengestellt.

Es ging um wirtschaftliche Interessen

Den USA ging es allerdings nicht nur um Freiheit und Unabhängigkeit für Kuba, sondern vor allem auch um handfeste wirtschaftliche Interessen. 1894 waren bereits knapp 90 Prozent der kubanischen Exporte für die Vereinigten Staaten bestimmt. Viele US-Amerikaner hatten auf der nahen Insel investiert – in der Hoffnung, dass sich Adams' Apfelbaumtheorie bald bewahrheiten und Kuba an die Union angeschlossen würde. Diese Hoffnung beruhte auch auf einer politischen Erklärung, der Monroe-Doktrin, die Adams 1823 verfasst hatte. Die USA unter Präsident James Monroe (1758–1831) wiesen darin jeden Anspruch der alten europäischen Mächte auf Kolonialbesitz in Lateinamerika zurück. Der gesamte amerikanische Doppelkontinent sollte als Einflusssphäre der USA verstanden werden, die jede europäische Einmischung verbot. Mit dem Motto »Amerika den Amerikanern« legte die Doktrin den Grundstein für den von den USA beanspruchten geopolitischen »Hinterhof«, mit dem abfällig die mittel- und südamerikanischen Nachbarn bis heute bezeichnet werden.

Henry Teller (1840–1913) | Der US-Senator agierte gegen die Expansionspolitik bestimmter Gruppen in den USA. Er widersprach einer Annexion Kubas, auch um die Wirtschaft seines Bundesstaats Colorado zu schützen.

Gegen derartige imperialistische Tendenzen sprach sich der US-Senator Henry Teller aus. Den konkreten Anlass lieferte ihm der amtierende Präsident William McKinley (1843–1901). Am 11. April 1898 hatte jener den Kongress formal um den Kriegseintritt gegen Spanien gebeten. Schon lange tobte in der US-Politik ein erbitterter Streit zwischen Antiimperialisten und Expansionisten. Letztere wollten Kuba annektieren und dem Banner einen weiteren Stern hinzufügen. Teller warnte die Expansionisten: »Die amerikanische Flagge ist für die Amerikaner die beste Flagge der Welt. Sie ist nicht die beste Flagge für Menschen, die sie nicht wollen. Sie ist nicht die beste Flagge für Kuba.«

Der Kongress folgte Tellers Worten und verfügte eine Joint Resolution »zur Anerkennung der Unabhängigkeit der kubanischen Bevölkerung«, die durch das Teller-Amendment (»amendment«, zu Deutsch Zusatz) ergänzt wurde. Darin schrieb der Kongress fest, dass in Kuba der Kriegszustand zwischen den Unabhängigkeitskämpfern und dem spanischen Kolonialregime beendet werden müsse, das US-Militär die Unabhängigkeit Kubas unterstütze, aber die Insel nicht annektiert werde. Die US-Truppen müssten nach erfolgreicher Unterstützung wieder abziehen. Teller habe damit als Senator aus Colorado auch verhindern wollen, dass der kubanische Zucker »mit der Rübenzuckerernte seines Staats konkurrieren würde«, vermutet der Politikwissenschaftler Gregory Weeks von der University of North Carolina in Charlotte in seinem Buch »U.S. and Latin American Relations«. Teller ging es also nicht nur um die Freiheit Kubas, dessen Annexion er widersprach, sondern auch darum, die Wirtschaft seines Bundesstaats zu schützen.

Der Spanisch-Amerikanische Krieg

Kraft dieser politischen Rückendeckung des Kongresses mobilisierte McKinley am 20. April 1898 die US-Streitkräfte. Drei Tage später erklärte auch Spanien den Krieg. Dieser »splendid little war«, der »glänzende kleine Krieg«, wie ihn US-Außenminister John Hay in einem Brief an den Rough Rider Roosevelt beschrieb, dauerte nur knapp vier Monate. Die US-Amerikaner entschieden den so genannten Spanisch-Amerikanischen Krieg für sich. Und obwohl sie so rasch vorgehen konnten und insbesondere zu Wasser äußerst schlagkräftig agierten, sahen die Befehlshaber Bedarf, die US-Army zu reformieren. Dieser Reformgedanke erstreckte sich allerdings nicht nur auf militärische Bereiche, es sollte ebenso handfeste geopolitische Interessen erfüllen.

Elihu Root (1845–1937) | Der Politiker war um 1900 US-Kriegsminister. Er führte tief greifende Reformen der Armee durch, mit denen sich die USA auch die Kontrolle über Kuba sichern sollten.

Die Reformen ging Kriegsminister Elihu Root (1845–1937) an. Im Dezember 1898 unterzeichneten die USA und Spanien einen Friedensvertrag in Paris. Die Vereinigten Staaten bekamen die ehemaligen spanischen Kolonien Kuba und Puerto Rico in der Karibik sowie die Philippinen und Guam im Pazifik zugesprochen. Im Anschluss erarbeitete Root den »Army Appropriations Act« – zu Deutsch: Heeresbewilligungsgesetz. Darin wurden nicht nur neue verwaltungstechnische Regelungen für das Heer getroffen, sondern in Zusatzklauseln auch der Umgang mit den unter US-Kontrolle befindlichen Gebieten festgeschrieben. Die nationalen Interessen der besetzten Länder wurden dabei allerdings nicht berücksichtigt.

So sollte Kuba erst dann in die Unabhängigkeit entlassen werden, wenn der Insel eine verfassungsrechtlich konstituierte Regierung vorstehe, »die die künftigen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten definiere«. Wie diese Definition aussehen solle, wurde in acht Unterpunkten festgeschrieben, die alle ein Ziel verfolgten: Kubas Unabhängigkeit in der Außenpolitik, in der Staatsverschuldung und im Gesundheitswesen zu beschneiden. Am schwersten wog dabei, dass sich die USA das Recht auf militärische Intervention und den Bau von Marinestützpunkten einräumten. Root erklärte das Interventionsrecht später als »eine Erweiterung der Monroe-Doktrin«. Außerdem sollte die größte Nebeninsel Kubas und sechstgrößte Insel der Karibik, die Isla de los Pinos (heute Isla de la Juventud), nicht mehr Teil des kubanischen Staatsgebiets sein. Ziel war es, das Teller-Amendment zu umgehen, das ja eine Annexion Kubas verhindert sollte – es umfasste aber nicht explizit ihre Nebeninseln. Das Eiland sollte den Streit zwischen Expansionisten und Antiimperialisten noch jahrelang befeuern, auch weil bis 1925 US-Amerikaner etwa 90 Prozent der Insel aufgekauft hatten.

Kuba wehrte sich gegen das Platt-Amendment

Kriegsminister Root hatte die Regelungen nicht allein ausgearbeitet. Der damalige US-Militärgouverneur Kubas und ehemalige Rough Rider Leonard Wood sowie der Senator von Connecticut Orville Platt waren Mitverfasser. Letzterer trug die Bestimmungen im Kongress vor, wodurch er zum Namensgeber des später als Platt-Amendment benannten Dokuments wurde. Zu einem tatsächlichen Amendment, zu einem Zusatz, sollte sie allerdings erst in der kubanischen Verfassung werden.

Ab November 1900 tagte eine verfassunggebende Versammlung in Havanna, die sich mehrfach weigerte, in der künftigen Verfassung explizit die US-amerikanischen Beziehungen zu nennen. Nicht einmal zwei Wochen nachdem die Kubaner am 21. Februar 1901 ihren Verfassungsentwurf verabschiedet hatten, erließ der US-Kongress am 2. März das Platt-Amendment. Die Kubaner wiesen die Forderungen der US-Amerikaner entschieden zurück, den Zusatz aufzunehmen und damit ihre gerade erst errungene Unabhängigkeit von Spanien gegen eine Abhängigkeit von den USA zu tauschen.

Doch die Vereinigten Staaten blieben hart. Sie machten die Annahme des Platt-Amendments zur Bedingung für einen Truppenabzug und die formale Unabhängigkeit Kubas. Im Sommer 1901 gaben die Kubaner schließlich nach. Knapp ein Jahr später, am 20. Mai 1902, übergab General Wood unter dem nun amtierenden Präsidenten Theodore Roosevelt formal die Kontrolle über die Insel an die Kubaner. Wie diese Übergabe zu verstehen war, fasste Wood einige Monate danach mit folgenden Worten an Roosevelt zusammen: »Es gibt natürlich wenig oder keine wirkliche Unabhängigkeit Kubas unter dem Platt-Amendment.« Das Land blieb somit ein »Quasiprotektorat« und expansionistisches Testfeld der USA.

Die Invasion in der Schweinebucht

Noch weitere vier Mal intervenierten die USA bis 1920 auf Kuba. Die Isla de los Pinos wurde nach zähem Ringen 1925 wieder offizieller Teil Kubas. Von den vier geplanten Marinestützpunkten existiert heute nur noch Guantanamo Bay im Südosten der Insel. Seit 1960 weigert sich Kuba, die US-Pachtzahlungen dafür anzunehmen, sondern fordert die Rückgabe des Territoriums, da der Vertrag unter politischem Druck zu Stande gekommen sei.

Rough Riders | Die US-Einheit der Rough Riders kam im Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 auf Kuba zum Einsatz.

Und das Platt-Amendment? Im Jahr 1934 ließ es der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882–1945), ein entfernter Verwandter von Theodore Roosevelt, nahezu vollständig aufheben. Nur der Pachtvertrag für Guantanamo Bay blieb bestehen. Franklin D. Roosevelt strich das Amendment im Rahmen der »Good Neighbor Policy«. Seine Politik der guten Nachbarschaft war eine völlige Kehrtwende in der US-Außenpolitik. Sie sollte Vertrauen unter den lateinamerikanischen Staaten schaffen und die Furcht vor einer militärischen US-Intervention nehmen. Dieses Versprechen hielten die USA jedoch nicht.

Vor 60 Jahren etwa versuchte die Regierung von John F. Kennedy (1917–1963), erneut auf Kuba zu intervenieren. Die Invasion in der Schweinebucht wurde im April 1961 von den Revolutionären Fidel Castros abgewehrt. Die wirtschaftliche und politische Blockade besteht indes bis heute, 120 Jahre nach der Verkündung des Platt-Amendments. Expräsident Donald Trump ließ Kuba in seinen letzten Amtstagen abermals auf die Terrorliste setzen. Der reife Apfel scheint für Washington ungenießbar geworden zu sein, doch der politischen Schwerkraft der USA widersetzt sich die Insel weiterhin.

Apropos »freies Kuba«

Um 1900 gelangte mit den US-Soldaten auch ein neues Getränk nach Kuba: Coca-Cola. Es ist einer der Bestandteile des berühmten Longdrinks Cuba Libre, für das Cola mit einheimischem Rum gemischt wird. Einer nicht verbürgten Anekdote zufolge hatte ein US-Soldat das Mixgetränk so benannt – als »freies Kuba«.

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