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Pflanzliche Ersatzprodukte: »In der Natur wachsen weder Seitanwürste noch Salamis an Bäumen«

Vegane Alternativen für Fleisch- und Milchprodukte werden zahlreicher. Im Interview spricht der Lebensmittelexperte Daniel Wefers über unbegründete Ängste und falsche Versprechen.
Veganes Fleisch liegt auf Holzbrettchen
Sieht aus wie Wurst, schmeckt wie Wurst, ist aber keine Wurst: Vegane oder vegetarische Fleischalternativen liegen im Trend.

Wer sich vegetarisch ernähren oder einfach etwas weniger Fleisch essen möchte, greift oft zu fleischlosen Ersatzprodukten. Die enthalten in aller Regel pflanzliches Eiweiß aus Soja (Tofu), Erbsen oder Weizen (Seitan). Etliche Hersteller verwenden allerdings viel Zucker, Fett und Salz für einen intensiveren Geschmack. Zudem enthalten die Produkte viele Aromen und Zusatzstoffe, um eine fleischähnliche Konsistenz zu imitieren. Tut man sich damit also überhaupt einen Gefallen? »Wir sollten nicht vergessen, dass mit Ersatzprodukten herkömmliche hoch verarbeitete Lebensmittel ersetzt werden. Deshalb dürfen wir Fleischersatzprodukte nicht mit Gemüse vergleichen«, sagt der Lebensmittelchemiker Daniel Wefers. Weshalb er sich wünscht, dass die Menschen offen sind für Neues, und wo die wirklichen Gefahren bei der Lebensmittelverarbeitung lauern, erzählt er im Interview.

»Spektrum.de«: Vegetarische und vegane Ersatzprodukte für Fleisch liegen derzeit im Trend. Viele Menschen denken, die seien gesünder. Ist Fleisch denn wirklich so ungesund?

Daniel Wefers: Das ist eine schwierige und viel diskutierte Frage, zu der ich auch keine abschließende Bewertung abgeben kann. Es gibt Studien, die auf den Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Krankheiten hinweisen, und verschiedene Fachgesellschaften empfehlen, deutlich geringere Mengen an Fleisch zu verzehren, als viele Menschen in Deutschland es gegenwärtig tun. Was man aber auf jeden Fall auch im Auge behalten sollte, ist die Gesamternährung. Überspitzt gesagt: Ein Mensch, der auf Fleisch verzichtet, dafür aber fünf Flaschen Bier am Abend trinkt, lebt nicht unbedingt gesünder. Die Summe aus allen Nahrungsmitteln ist relevant. So kann man mit Lebensmitteln wie Vollkornprodukten, Obst und Gemüse sein Risiko für einige Erkrankungen senken.

Sie würden also auch nicht die Aussage unterschreiben, dass vegetarische oder vegane Ersatzprodukte per se gesünder sind als das fleischhaltige Original?

Nein. Die Annahme, fleischlose Ersatzprodukte seien automatisch gesünder, ist in dieser Allgemeinheit genauso falsch wie die umgekehrte Aussage.

»Die Annahme, fleischlose Ersatzprodukte seien automatisch gesünder, ist in dieser Allgemeinheit genauso falsch wie die umgekehrte Aussage«

Genauso groß wie die hohen Erwartungen der einen an Ersatzprodukte sind die Bedenken anderer. Vor allem wird argumentiert, dass darin erst recht viel »Chemie« enthalten sei. Was sagen Sie dazu?

Das ist eine ebenso schwer haltbare Verallgemeinerung. Ein Ersatzprodukt für Hühnchenfleisch beispielsweise hat kaum Zusatzstoffe. Es besteht im Wesentlichen aus extrudierten Proteinen, Öl, Wasser, Gewürzen und vielleicht noch Aroma. Da kann man schlecht behaupten, dass dort mehr Chemie drin sei – was auch immer im Einzelnen mit »chemisch« gemeint ist.

Gemeint sind meistens Zusatzstoffe, die natürlicherweise nicht in einem Nahrungsmittel vorkommen. Die Listen solcher Zusätze sind auf Ersatzprodukten oft sehr lang. Wie fällt der Vergleich mit herkömmlichen Fleischerzeugnissen hier aus?

Nicht nur die Imitate von Wurst, auch die meisten fleischbasierten Originalprodukte sind hoch verarbeitete Lebensmittel. Nehmen wir Salami oder Brühwürste. Die Zutatenliste für Imitate fällt oft lang aus – da gibt es dann viele Stoffe mit seltsamen Namen, die den meisten Verbraucherinnen und Verbrauchern nichts sagen. Aber schauen wir uns zum Vergleich die Zutatenliste für die Salami oder Brühwurst aus Fleisch an, zeigt sich, dass darin oft ähnlich viele Zusatzstoffe enthalten sind.

Wie unterscheiden sich die Zusatzstoffe in Ersatzprodukten und dem Original?

Daniel Wefers | Der Professor für Lebensmittelchemie lehrt und forscht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Am Institut für Chemie leitet er den Arbeitskreis für Funktionelle Lebensmittel.

Das hängt vom jeweiligen Produkt ab. Aber nehmen wir noch mal Salami oder auch Kochschinken: Darin findet man so etwas wie Nitritpökelsalz, damit die Wurst unempfindlicher gegen bakteriellen Verderb wird und eine schöne Farbe bekommt. Bei diesem Konservierungsstoff wissen wir, dass er zur Bildung von Nitrosaminen führen kann. Diese Stoffe gelten als Krebs erregend. Allerdings kann auch ein Bakterienbefall eine große Gesundheitsgefahr darstellen. In den Ersatzprodukten werden als Zusatzstoffe häufig Verdickungsmittel eingesetzt. Die landen als Ballaststoffe im Dickdarm, da sie im Magen und Dünndarm nicht verdaut werden können. Wir sollten in der Debatte nicht vergessen, dass mit Ersatzprodukten herkömmliche hoch verarbeitete Lebensmittel ersetzt werden. Deshalb dürfen wir Fleischersatzprodukte nicht mit Gemüse vergleichen, sondern lediglich mit Fleisch.

Eine längere Liste von Zusatzstoffen bedeutet für Sie also nicht, dass ein Produkt automatisch künstlicher ist als ein anderes?

Für viele Menschen ist das Problem, dass sie die Zusatzstoffe überhaupt nicht einschätzen können. Ich verstehe, dass lange Listen mit unbekannten Namen verunsichern. Wenn man aber alles als »chemisch« definiert, was in der entsprechenden Zusammensetzung natürlicherweise nicht vorkommt, dann sollte man wissen, dass das für Fleischersatzprodukte ebenso gilt wie für das Original. In der Natur wachsen weder Seitanwürstchen an Bäumen noch Brühwürste oder Salami. All diese Produkte werden unter Verwendung zahlreicher Zutaten hergestellt. Beides ist, wenn man so will, chemisch. Aber ohne Chemie geht es in der Lebensmittelindustrie sowieso nicht.

Pflanzliche Lebensmittel können stark mit Pestiziden belastet sein, dafür werden Tiere mit Antibiotika behandelt. Wie stark sind die Stoffe später im Lebensmittel nachweisbar?

Geringste Konzentrationen an Rückständen in einem Produkt würde ich im Rahmen der Höchstgehalte nicht als Problem ansehen. Lebensmittel sind komplex zusammengesetzt aus Abertausenden von verschiedenen Molekülen. Zu sagen: »Ich esse jetzt lieber ein Stück Brühwurst statt eine Portion Gemüse«, weil in Letzterer Spuren von Pestiziden enthalten sind, wäre nicht sehr sinnvoll. Es gibt Risikobewertungen für Pestizidrückstände. Außerdem sind in Gemüse sehr viele gesunde Stoffe enthalten, die überwiegen eindeutig. Und bezüglich der Höchstgehalte würde ich mich auf unser Lebensmittelkontrollsystem verlassen. Die großen Handelsketten prüfen ihre Produkte in der Regel noch mal selbst.

Und andersherum: Wie ist es um die Antibiotika im Fleisch bestellt?

Das würde ich ähnlich wie die Frage nach den Pestiziden bewerten. Auch für Antibiotika gelten zulässige Höchstmengen. Weitere Aspekte wie ethische Gesichtspunkte oder die Bildung resistenter Keime sollte man keinesfalls außer Acht lassen. Aber das ist dann ein anderes Thema.

Sie selbst sagen, dass Falschinformationen über Lebensmittel manchmal ein größeres Risiko für die Gesundheit darstellten als künstliche Zusatzstoffe. Wie meinen Sie das?

Menschen haben oft Angst vor Dingen, vor denen man eigentlich keine Angst haben müsste, weil sie gesundheitlich einen geringen oder sogar gar keinen Effekt haben. Anderes, das womöglich sogar gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann, haben viele dagegen gar nicht mehr im Blick.

Woran denken Sie da?

In der oftmals emotional geführten Lebensmitteldebatte geraten schnell bestimmte Aspekte wie einzelne Zusatzstoffe stark in den Vordergrund, während zugleich wirklich relevante Informationen hinten runterfallen. Es gibt wichtige Gesundheitsthemen rund um das Essen, die viele Leute heute einfach nicht mehr auf dem Zettel haben. Der bakterielle Verderb von Lebensmitteln oder auch ein Befall mit Schimmelpilzen können zum Beispiel erhebliche gesundheitliche Folgen haben. Ich kenne viele Leute, die bei Schimmelbefall ein kleines Stück wegschneiden und den Rest essen – das kann ich nicht empfehlen.

Haben Sie weitere Beispiele dafür?

Viele Menschen unterschätzen die Bedeutung von Lebensmittelhygiene in der Küche oder die richtige Lagerung und Zubereitung von Speisen. So macht sich manch einer zwar Sorgen wegen Aluminium in Deos, bereitet aber gleichzeitig alles Mögliche in Alufolie zu. Bei Fleisch kann die Nichteinhaltung von Kühlketten kritisch sein, wenn nicht richtig gegart wird. Und – sehr wichtig – wenn man Lebensmittel zu stark erhitzt, können ebenfalls schädliche Substanzen entstehen. Es kümmert aber kaum jemanden, dass man Krebs erregende Stoffe erzeugt, wenn man Fleisch zu heiß grillt. Verkohltes Fleisch essen viele noch. Es kann ein großes Risiko sein, wenn man Lebensmittel unsachgemäß behandelt oder zubereitet.

Sprechen wir wieder über Fleischersatz: Müssen es eigentlich immer die Tofuwurst und der Veggie-Burger sein, oder ist die Lebensmittelindustrie inzwischen etwas kreativer geworden?

Wenn man die Branche heute mit dem Stand vor zehn oder selbst vor fünf Jahren vergleicht, ist sie regelrecht explodiert, was das Angebot und die Produktvielfalt angeht. Auch die Zusammensetzung der einzelnen Produkte ändert sich immer wieder. Es gibt andauernd neue Produkte und Rezepturen. Doch vieles ist gerade noch in Bewegung. Ich glaube, in den nächsten Jahren werden wir zahlreiche neue Entwicklungen sehen.

Wohin geht die Reise?

Vermutlich wird sich die Branche noch stärker die Biotechnologie zu Nutze machen – zum Beispiel indem mit Pilzmyzelien gearbeitet wird oder Proteine genutzt werden, die von Mikroorganismen hergestellt werden. Die Entwicklung ist dynamisch, aber die Frage wird sein, ob solche Innovationen auf dem hiesigen Markt akzeptiert werden. Bei einem komplett neuen Produkt kann man als Hersteller schlecht abschätzen, ob es jemand kauft. Bei einem Imitat können Produzenten an ein Produkt andocken, unter dem sich Menschen etwas vorstellen können. Trotzdem glaube ich, dass wir neben bekannten Produkten in geänderter Zusammensetzung auch ganz neue Produkte sehen werden, wenn wir als Verbraucher und Gesellschaft insgesamt offen dafür sind.

»Wenn wir dauernd Angst haben vor Chemikalien, Labor und Biotechnologie, dann wird es schwierig mit Fortschritten«

Sind wir bereit für neue Produkte – auch aus dem Labor?

Wenn wir dauernd Angst haben vor Chemikalien, Labor und Biotechnologie, dann wird es schwierig mit Fortschritten, etwa hin zu Lebensmitteln mit einem geringeren ökologischen Fußabdruck. Deshalb finde ich es wichtig, dass die Menschen in manchen Bereichen ihre Ängste ablegen und wir offener für Neues sind. Gerade in Europa haben wir eine sehr strenge Regulierung von Lebensmitteln – das sollte uns eigentlich etwas Sicherheit geben.

Viele Jahre im Labor und der tiefe Einblick in die Rezepte der Lebensmittelindustrie haben Ihnen den Appetit auf Neues noch nicht verdorben?

Im Gegenteil. Es macht sehr viel Spaß, zu verstehen, was Lebensmittel sind, wie sie sich herstellen lassen und welche Prozesse dabei ablaufen. Ich kenne niemanden in der Lebensmittelchemie, dem es den Appetit verdorben hätte.

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