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Tote in den USA: Warum machen E-Zigaretten die Lunge krank?

Um herauszufinden, warum immer mehr US-Dampfer an einer Lungenkrankheit leiden, kämpfen sich Forscher durch den Dunst der E-Zigaretten.
Mann dampft mit einer E-Zigarette

Bis vor ein paar Monaten verzichtete der Lungenarzt Sean Callahan bei Patienten auf die Routinefrage, ob sie gedampft hatten. E-Zigaretten könnten Rauchern beim Aufhören helfen, dachte er, und es würde wahrscheinlich Jahre dauern, bis die Risiken des Konsums geklärt wären. Doch eine mysteriöse, manchmal tödliche Lungenerkrankung, die nun im Zusammenhang mit dem Dampfen auftauchte, änderte seine Meinung. Callahan arbeitet in der Klinik der University of Utah in Salt Lake City, die etwa 20 Betroffene behandelte. »Die Zahl der Opfer war überraschend – und wie jung sie waren«, sagt er.

Forscher und Mediziner waren auf die Krankheit nicht vorbereitet, die inzwischen rund 1300 US-amerikanische E-Zigaretten-Konsumenten betrifft und 26 davon getötet hat. Wissenschaftler bemühen sich, die Ursachen zu klären und andere Konsumenten vor dem gleichen Schicksal zu bewahren. »Alles entwickelt sich schnell«, sagt Brandon Larsen, Lungenpathologe an der Mayo Clinic in Phoenix, Arizona. »Was ich Ihnen heute sage, könnte nächste Woche schon völlig falsch sein.«

In einer Übersichtsarbeit, die Larsen und seine Kollegen Anfang Oktober 2019 im »New England Journal of Medicine« veröffentlichten, hinterfragen sie eine gängige Theorie hinter dem Ausbruch und unterstreichen, wie viel noch zu tun ist, um die wahren Ursachen zu bestimmen. Die Studie ist die bisher größte Untersuchung an Lungengewebe betroffener Dampfer. Viele der Erkrankten hatten eine Mischung aus Tetrahydrocannabinol (THC), dem aktiven Bestandteil von Marihuana, und öligen Chemikalien in ihrer Kartusche gehabt.

Öle als Ursache?

Die Wissenschaftler suchten daher nach Beweisen für eine Lipidpneumonie – eine Erkrankung, die entsteht, wenn Öl in die Lunge gelangt. Sie ist durch das Vorhandensein von Fettmolekülen, so genannten Lipiden, im Lungengewebe und in Makrophagen gekennzeichnet. Das sind jene Zellen, die in der Lunge normalerweise Abfall und Fremdkörper aufnehmen. Aber Larsen und seine Kollegen fanden in keiner der Proben ihrer 17 Patienten solche Fetttröpfchen. Stattdessen weisen ihre Ergebnisse auf allgemeine Lungenschäden und Entzündungen durch toxische Chemikalien hin.

»Was ich Ihnen heute sage, könnte nächste Woche schon völlig falsch sein«Brandon Larsen, Lungenpathologe

Es gebe Gründe, diese Ergebnisse skeptisch zu betrachten, sagt dagegen der Lungenarzt Kevin Davidson vom Krankenhaus WakeMed in Raleigh, North Carolina. Larsen habe nach Krankheitsanzeichen gesucht, die nur dann auftreten würden, wenn jemand eine große Menge Öl auf einmal eingeatmet hätte, sagt er – nicht jedoch bei kleinen Mengen über längere Zeiträume.

Larsens Ergebnisse passen aber wiederum zu Studien an Mäusen, durchgeführt von der Pulmologin Farrah Kheradmand vom Baylor College of Medicine in Houston. In den Makrophagen in der Lunge von Mäusen, die E-Zigarettendampf ausgesetzt waren, fand ihr Team Ansammlungen von Lipiden. Die Wissenschaftler führen deren Ursprung auf den Abbau des so genannten Surfactants zurück. Dabei handelt es sich um eine lipidreiche, oberflächenaktive Substanz, die von der Lunge produziert wird.

Das legt laut Kheradmand nahe, dass das Dampfen jene Zellen schädigt, die Atemwege auskleiden und helfen, das Surfactant intakt zu halten. Sie hofft nun, den Tierversuch mit E-Zigarettendampf wiederholen zu können, der α-Tocopherylacetat enthält: eine ölige Chemikalie, die als mögliche Ursache für die »Dampfer-Krankheit« unter Verdacht ist. Andere Forscher planen ähnliche Experimente.

Steven Rowe, Pulmologe an der University of Alabama in Birmingham, will dagegen mit Versuchen an Frettchen herausfinden, wie verdächtige Substanzen den Ionentransport in menschlichen Lungenzellen beeinflussen. Und Quan Lu, ein Lungenbiologe an der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston, Massachusetts, möchte nachsehen, welche Gene in den Lungenzellen von Dampfern ein- oder ausgeschaltet sind. Er hofft, dass er für sein Experiment Gewebeproben von erkrankten Menschen bekommt.

Viel Forschung nötig

Kheradmand jedoch dämpft die Hoffnung auf schnelle Antworten und mahnt zu Geduld: Ihre erste Mäusestudie dauerte dreieinhalb Jahre. »Die Wissenschaft wird irgendwann gewinnen«, sagt Albert Rizzo, Chefarzt der American Lung Association in Chicago. »Aber ich glaube, es wird nicht so schnell gehen, wie die Leute es sich wünschen.«

Umso mehr mühen sich die Forscher nun, die in E-Zigaretten enthaltenen Chemikalien zu katalogisieren. Das ist keine einfache Aufgabe, denn es gibt inzwischen Tausende von Produkten und eine eigene Kultur von Nutzern. Sie basteln an E-Zigaretten und ihrem Inhalt herum, um Eigenschaften wie Geschmack oder Dampfmenge zu beeinflussen. »Da haben wir eine harte Nuss zu knacken«, sagt Larsen. »Die Wissenschaft muss herausfinden, was in all diesen Sachen drin ist.«

Die Bandbreite der Chemikalien, denen Dampfer ausgesetzt sind, sei überwältigend, sagt die Verhaltensforscherin Mignonne Guy von der Virginia Commonwealth University in Richmond. Ihr Labor hat Youtube-Videos und andere Onlinequellen untersucht, um zu verstehen, wie E-Zigaretten-Nutzer ihre Geräte modifizieren, und fand heraus, dass sie alles verändern – von der Hitze ihrer E-Zigaretten bis hin zu den Stoffen, die im so genannten Liquid enthalten sind. In mindestens einem Fall befand sich in der Kartusche sogar flüssiges Viagra.

Der Epidemiologe Yulin Hswen von der Harvard School of Public Health bemerkte derweil in Onlineforen einen rasanten Anstieg von Beiträgen, die davon handelten, wie man Kartuschen für E-Zigaretten herstellt. Das war Anfang 2019. Bald darauf nahmen Posts von Nutzern zu, die davor warnten, dass auf dem Schwarzmarkt gefälschte Kartuschen seriöser Unternehmen verkauft würden. Hswen will diesen Berichten nun genauer nachgehen, um herauszufinden, ob der Anstieg der selbst gebastelten Kartuschen zu dem Krankheitsausbruch beigetragen hat.

Letzten Endes werden Forscher die Krankheit vielleicht nicht an einem einzelnen Auslöser festmachen können, erläutert David Christiani, Pulmologe an der Harvard University. Aber schon die Eingrenzung auf einen Prozess – etwa, ob man Öl verwendet, um THC zu verdünnen – könnte helfen, den Ausbruch zu beenden und Leben zu retten. »Wir haben eine sehr schwere Epidemie und müssen das unbedingt in den Griff bekommen«, sagt er. »Dann können wir uns wieder mit den Langzeitfolgen des Dampfens beschäftigen.«

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