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Forever young: Wie man das Altern austrickst

Ein US-Forscher will das biologische Alter mehrerer Männer um durchschnittlich zweieinhalb Jahre verringert haben. Sein Ansatz könnte helfen, Gebrechlichkeit und Krankheiten im Alter zu verhindern – und ein großes gesellschaftliches Problem lösen. Wenn an der Geschichte etwas dran ist.
Symbolbild Altern rückgängig machen. Ich kann mir nicht helfen, aber für mich bleibt die zentrale Botschaft des Bildes, dass der Fahrer seinen Wagen in etwa einer halben Sekunde gegen einen seltsam aussehenden Baum setzen wird.

Man wolle die Menschheit von einer Last befreien, hieß es im Vorwort des Konferenzprogramms: der Last des Alters und all der Krankheiten, die es mit sich bringt. »Ending Age-Related Diseases«, »Wie man altersbedingte Leiden abschafft«, lautete der Titel der Veranstaltung, die im Juli 2019 internationales Publikum nach New York holte.

Die Beiträge der Vortragenden waren bunt gemischt: Da war der Ernährungswissenschaftler, der im Selbstversuch seine Darmflora manipulierte. Um 15 bis 20 Jahre sei sein biologisches Alter dadurch gesunken, hätten Bluttests gezeigt. Ein Start-up berichtete von der Möglichkeit, Chips ins menschliche Gehirn einzupflanzen, wo sie Alzheimer auslösende Stoffe frühzeitig zerstören würden. Ein anderes Unternehmen präsentierte potenzielle Medikamente, die Muskeln, Knochen und Nervenzellen regenerieren würden – Substanzen, die bei wirbellosen Tieren verletzte Gliedmaßen nachwachsen lassen.

Wahrscheinlich wird sich vieles davon später als Luftnummer herausstellen: als Versuche, die bei einzelnen Personen, bei Mäusen oder wenigstens in der Theorie funktioniert haben, die aber für eine breite Anwendung nicht praktikabel sind. Ein Beitrag der Konferenz stach jedoch heraus: Der Biomediziner Greg Fahy berichtete darin von seinem aktuellen Versuch.

Viele Jahre lang hatte er sich damit beschäftigt, wie sich durch Kryokonservierung der Tod aufhalten lässt – indem man Organe oder ganze Körper einfriert. Sein neuestes Projekt widmete sich dagegen dem Altern des Körpers und der Frage, wie es sich noch zu Lebzeiten stoppen lässt. »Reversing human aging right now!«, »Menschliches Altern umkehren – jetzt!«, so markig hatte er seinen Vortrag betitelt.

Der Thymus als Jungbrunnen

Darin berichtete er von einem Experiment, das er vor fast vier Jahren begonnen hatte. Neun Männer zwischen 51 und 65 Jahren waren seine Probanden. Ein Jahr lang hatten sie unter ärztlicher Aufsicht regelmäßig ein Wachstumshormon und zwei andere Substanzen geschluckt. Das Hormonpräparat wirkte auf den Thymus: ein etwa handtellergroßes Organ, das unter dem Brustbein sitzt. Bis zur Jugend spielt der Thymus eine wichtige Rolle bei der Ausbildung des Immunsystems. Danach wird er vom Körper zu nutzlosem Fettgewebe umgewandelt und verliert seine Funktion.

Da der Thymus nun nicht mehr das Immunsystem unterstützen kann, steigt die Anfälligkeit für Infekte im Alter. Doch die Behandlung von Fahy schien diesen Prozess bei den Probanden umzukehren. Im Lauf eines Jahres erlangte ihr Thymus langsam seine Funktion zurück, wie Untersuchungen zeigten: Im Blut der Versuchspersonen fanden sich Zellen des Immunsystems, die eindeutig während der Versuchsdauer vom Thymus gebildet worden waren. Ihr Körper erlangte durch diese Zellen neue Abwehrkräfte gegen Krankheiten, die im Alter häufig auftreten – Krebs und Gefäßverkalkungen etwa.

Und auch äußerlich veränderten sie sich: Ein Teilnehmer berichtete, dass ihm schon nach ein paar Monaten wieder dunkle Haare wuchsen, wo sie vormals ausgefallen waren. Er berichtete auch von mehr Kraft im Fitnessstudio und stärkerer psychischer Empfindsamkeit. Nach einem Jahr zeigten Bluttests das verblüffende Ergebnis: Die biologische Uhr der Probanden war nicht weitergelaufen, sondern zurückgedreht worden. Ihre Werte entsprachen Personen, die im Durchschnitt zweieinhalb Jahre jünger waren.

Um das zu messen, nutzte Greg Fahy ein Verfahren des US-Forschers Steve Horvath. Dieser stellte fest, dass die menschliche DNA im Alter an bestimmten Stellen chemisch verändert wird. Anhand der Lage und Anzahl dieser Modifizierungen konnte Horvath eine Art Uhr entwerfen, mit der sich das biologische Alter eines Menschen durch einen Bluttest bestimmen lässt: Je mehr Modifizierungen im Erbgut auftauchen, desto höher ist sein biologisches Alter, weil diese Modifizierungen mit einer erhöhten Anfälligkeit für Alterskrankheiten einhergehen. Welche Gene und Fähigkeiten des Körpers jedoch von den Modifizierungen betroffen sind, ist bislang unbekannt – und damit auch, wieso diese Menschen anfälliger für Alterskrankheiten sind.

Mehr als nur Lifestyle

Für das Publikum von Greg Fahy und den anderen Konferenzsprechern sind Nachrichten über Ansätze, den Körper zu verjüngen, dennoch verheißungsvoll. Neue Anti-Aging-Methoden auszuprobieren, ist für sie ein Lifestyle. Auch die Probanden von Fahy entstammten zum Teil dieser Szene: Sie nehmen Nahrungsergänzungsmittel oder experimentieren mit Medikamenten, für deren verjüngende Wirkung es bislang nur vage Hinweise gibt. Doch die Forschung, wie sich der menschliche Körper verjüngen lässt, behandelt kein reines Luxusproblem. Sie ist dringend notwendig – denn fast in allen Industrienationen weltweit altert die Gesellschaft: Die Zahl der Geburten sinkt, zugleich steigt der Anteil älterer Menschen. Im Jahr 2020 werden knapp 30 Prozent der Bevölkerung 60 und älter sein, 2050 schon mehr als 37 Prozent.

Das Alter an sich ist dabei nicht das Problem – wohl aber, was es oft mit sich bringt. Je älter Menschen werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Pflege angewiesen sind. Ab 65 hat hier zu Lande jede zweite Person mindestens eine chronische Erkrankung, und der Bedarf und damit die Kosten für ihre medizinische Versorgung werden in Zukunft steigen. Laut Schätzungen sind zwischen 55 und 98 Prozent aller älteren Menschen sogar von mehr als einer chronischen Erkrankung betroffen. Forschung, die den Körper verjüngt, dient daher nicht in erster Linie der Verlängerung des Lebens – sondern der Verlängerung der Zeitspanne, in der ein Mensch gesund bleibt.

Die Suche nach verjüngenden Substanzen sei allein deshalb schon schwierig, weil es nur wenige Anhaltspunkte gibt, an denen sich das biologische Alter festmachen lässt, sagt Björn Schumacher. Er ist Leiter des Instituts für Genomstabilität in Alterung und Erkrankung an der Universität zu Köln. »Altern ist keine Krankheit«, sagt der Biologe: Anders als chronische Erkrankungen wie Rheuma oder Bluthochdruck hinterlässt es kaum Spuren im Körper, die für alle Menschen, die als alt gelten, gleich sind. Ein chronologisch alter Mensch kann zum Beispiel biologisch jung sein: Noch mit 80 Jahren schränkt ihn dann keine Krankheit im Alltag ein. Umgekehrt gilt ein junger Mensch, der an Diabetes und Herzrhythmusstörungen erkrankt ist, als biologisch alt.

Multimorbide nennen Mediziner Menschen, die an mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig leiden und deren biologisches Alter dadurch erhöht ist. Doch Multimorbidität kann für jeden biologisch alten Menschen etwas völlig anderes bedeuten. Klinische Nachweise, die drohende Gebrechlichkeit und Anfälligkeit für Multimorbidität anzeigen, sind daher rar.

Ein mäßig belastbares Ergebnis

Laut Christoph Englert sind die Ergebnisse von Fahys Versuch in diesem Zusammenhang spannend, aber auch problematisch. Er leitet die Forschungsgruppe Molekulare Genetik des Alterns am Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena. Der Thymus steht ihm zufolge bislang nicht im Fokus der Verjüngungsforschung, daher könne Fahys Studie einen viel versprechenden Ansatz für zukünftige Versuche liefern. »Mein Enthusiasmus hält sich in Grenzen«, sagt er dennoch.

Denn bisher ist die Studie nicht in einer wissenschaftlichen Publikation veröffentlicht und musste daher keinem unabhängigen Begutachtungsprozess standhalten. Zudem war die Zahl der Studienteilnehmer sehr klein und die Stichprobe auch sehr gleichförmig: Die Probanden waren alle bereits vor dem Versuch fit und sportlich. Eine Kontrollgruppe, die zum Vergleich ein unwirksames Präparat erhielt, fehlte.

Zudem seien die verwendeten Substanzen nicht ungefährlich, sagt Englert – vor allem das Wachstumshormon. In diesem Versuch hätte es zwar den Thymus regeneriert. Doch ein Mittel, das Gewebe wachsen lässt, kann ebenso dazu führen, dass sich geschädigte Zellen unkontrolliert vermehren und schließlich Krebs verursachen. Eine wesentlich größere Probandenzahl sei nötig, um schädigende Effekte von Fahys Behandlung wirklich auszuschließen. »So lange bleibt der Verjüngungseffekt eine anekdotische Beobachtung«, sagt Englert.

Bei der Entwicklung seines Experiments orientierte sich Fahy allerdings an einer viel versprechenden Beobachtung der vergangenen Jahre: Er verabreichte seinen Probanden das Medikament Metformin. Mediziner beobachten seit Langem, dass der oft bei Diabetes Typ 2 verschriebene Wirkstoff anscheinend einen verjüngenden Effekt auf den Körper hat. Eine Gruppe um den israelischen Forscher Nir Barzilai testet den Effekt derzeit bei Menschen, die keinen Diabetes Typ 2 haben.

Neues Leben für alte Medikamente

Dass ausgerechnet ein Diabetesmedikament Alterungsprozesse bremst, könnte daran liegen, dass es in den Stoffwechsel des Körpers eingreift. »Eine Behandlung mit Metformin imitiert einige der Vorteile, die eine Kalorienreduktion auf den Körper hat«, beobachtete eine Arbeitsgruppe um den spanischen Forscher Alejandro Martin-Montalvo bei Versuchen mit Mäusen. Nach deren Resultaten kann Metformin tatsächlich den Körper verjüngen – wenn es in geringen Dosen verabreicht wird. Zu hoch dosiert verursachte es dagegen schwere Nebenwirkungen. Es sind ähnliche Effekte, wie sie Intervallfasten auf den Körper hat, so der Kölner Alternsforscher Björn Schumacher: »Eine kalorische Reduktion bremst nachweislich Alterungsprozesse im Körper fast aller bislang untersuchten Tiermodelle.«

Einen anderen viel versprechenden Ansatz liefern mTOR-Inhibitoren, allen voran das Medikament Rapamycin. Sie sind starke Medikamente, die Patienten nach einer Organtransplantation erhalten, um die Arbeit des Immunsystems zu unterdrücken. Das hat einige für die Verjüngungsforschung interessante Nebeneffekte: In geringer Dosis verabreicht, könnten mTOR-Inhibitoren auch auf Alterungsprozesse wirken. Viele altersbedingte Leiden wie Krebs, Demenz, Rheuma oder Osteoporose könnten durch die Wirkstoffe verhindert werden. »Wünschenswert wäre es daher, wenn man mTOR-Inhibitoren in so geringer Dosis einsetzen könnte, dass sie das Immunsystem nicht behindern und stattdessen das Altern verlangsamen«, sagt Schumacher.

Andere Versuche setzen dagegen auf Senolytika – so werden Wirkstoffe genannt, die gezielt alternde Zellen angreifen und sie aus dem Körper entfernen. In Versuchen mit Mäusen haben Senolytika bereits die Gesundheitsspanne im Leben eines Individuums verlängert. Klinische Versuche mit Menschen stehen derweil noch aus.

Es sei bereits am Horizont absehbar, dass der menschliche Körper bald durch Wirkstoffe gezielt verjüngt werden könne, sagt Schumacher. Um die richtigen Stellschrauben zu kennen, sei jedoch noch Forschung nötig. Welche Lösung letztlich am vielversprechendsten ist und dabei die wenigsten Nebenwirkungen beschert, werden die kommenden Jahre zeigen. »Das Rennen ist offen«, sagt der Alternsforscher.

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