News: Wie Nervenzellen kommunizieren
An der Synapse nähern sich zwei Nervenzellen bis auf etwa 20 Nanometer aneinander an. Um ein Signal zu übertragen, setzt die aussendende Zelle einen Transmitterstoff frei, der bei der empfangenden Zelle ein neues Signal erzeugt. Nach den gängigen Vorstellungen öffnet dabei eine elektrische Entladung, das Aktionspotential, in der aussendenden Zelle Ionenkanäle, durch die Calciumionen (Ca2+) in das Zellinnere einströmen. Auf der Innenseite der Zellhülle bindet Ca2+ dann an einen noch nicht eindeutig identifizierten Ca2+-Rezeptorkomplex, wodurch die Verschmelzung kleiner, in der Nervenendigung vorhandener, synaptischer Vesikel mit der Plasmamembran ausgelöst wird. Dadurch gelangt ein in den Vesikeln gespeicherter Überträgerstoff in den synaptischen Spalt. Der Überträgerstoff aktiviert Ionenkanäle in der empfangenden Nervenzelle und beeinflusst so ihr Membranpotential. Sind diese Änderungen groß genug, wird bei der "empfangenden" Zelle ein neues Aktionspotential ausgelöst.
Obwohl die Grundzüge dieser Signalkette bereits durch bahnbrechende Arbeiten, unter anderem von Bernhard Katz, in den 60er Jahren deutlich wurden, sind jedoch entscheidende Teilschritte der synaptischen Übertragung noch unbekannt. So ist bisher weder geklärt, aus welchem Grunde normalerweise nur ein kleiner Teil der insgesamt zur Verfügung stehenden Transmittervesikel mit der Membran verschmilzt, noch ist bekannt, welche Konzentration das Ca2+ in der Zelle erreichen muss, damit Vesikel überhaupt wirksam mit der Plasmamembran verschmelzen können.
Dieser Frage hat sich eine Arbeitsgruppe um Ralf Schneggenburger und Erwin Neher am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie zugewandt. Sie benutzten dafür als Modellsystem eine spezielle synaptische Verbindung zwischen zwei Nervenzellen in der Hörbahn von Ratten. Diese Synapse, der nach dem Morphologen Held benannte "Heldsche Kelch" oder "Calyx" zeichnet sich durch die ungewöhnliche Größe der "aussendenden" Nervenendigung aus. Dies ermöglichte es den Forschern, feine Glaspipetten direkt auf die Nervenendigung aufzusetzen und im so genannten patch-clamp-Verfahren elektrische Ströme in der Nervenendigung zu registrieren. Außerdem wird bei diesem Verfahren eine Verbindung zwischen dem Pipetteninnern und dem Innern der Nervenendigung hergestellt, so dass die Wissenschaftler fluoreszierende Farbstoffe und Kalzium-bindende Substanzen in das Zellinnere einführen konnten. Durch rasche Photolyse der kalziumbindenden Substanz konnten sie so die Kalziumkonzentration im Innern der Nervenendigung räumlich gleichmäßig anheben und über die Fluoreszenz des Kalzium-Indikatorfarbstoffes direkt die für die Vesikelfusion relevante Ca2+-Konzentration bestimmen. Gleichzeitig maßen sie mit einer weiteren patch-clamp"-Pipette die Signale in der empfangenden Nervenzelle und schätzten daraus die Menge der Transmitterfreisetzung, also die Rate der Vesikelverschmelzung, ab.
Die mit dieser Methode erstmals erhaltenen Einblicke in das intrazelluläre Calciumsignal für die Vesikelverschmelzung in Nervenzellen sind in vielerlei Hinsicht überraschend. So berichten Schneggenburger und Neher, dass bereits bei intrazellulären Calciumkonzentrationen von etwa zehn Mikromol ein erheblicher Teil der fusionsbereiten Vesikeln zur Verschmelzung gelangt (Nature vom 24. August 2000). Dieses Ergebnis, das zeitgleich auch eine Arbeitsgruppe am Heidelberger Max-Planck-Institut für medizinische Forschung und an der University of Amsterdam erhielt, zeigt, dass die Calcium-Empfindlichkeit der Vesikelfusion höher ist als aus vorhergehenden Studien erwartet wurde. Die jetzt gemessene Ca2+-Empfindlichkeit des Verschmelzungsprozesses wird es anderen Arbeitsgruppen erleichtern, die Gene zu identifizieren, die für den Ca2+-Rezeptorkomplex kodieren.
Schneggenburger und Neher fanden außerdem, dass während eines Aktionspotentials, also des natürlichen Stimulus in der aussendenen Zelle, nur etwa 10 Prozent aller fusionsbereiten Vesikel mit der Plasmamembran verschmelzen. Sie schlossen aus dieser relativ niedrigen Verschmelzungsrate, dass während eines Aktionspotentials nur ein kleiner Teil der Ca2+-Rezeptorkomplexe mit Kalzium abgesättigt wird. Nervenzellen behalten also einen Großteil ihrer sekretionsbereiten Vesikel als Reserve zurück, um auch auf ein zweites, nachfolgendes Aktionspotential noch mit effektiver Transmitterausschüttung reagieren zu können. Die Modifizierbarkeit der Übertragungsstärke an Synapsen wird von vielen Forschern derzeit als die Grundlage des Lernens angesehen. Die jetzt vorliegenden Ergebnisse erlauben einen ersten Einblick, wie das intrazelluläre Kalziumsignal für die Vesikelverschmelzung zur Modifizierbarkeit der synaptischen Übertragungsstärke beiträgt.
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine vorwiegend von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung der Grundlagenforschung. Sie betreibt rund achtzig Max-Planck-Institute.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.