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Xenotransplantation: Schweineniere erfolgreich in Menschen transplantiert

Ein 62-Jähriger hat als erster Patient eine Niere von einem gentechnisch veränderten Schwein erhalten. Zwei Wochen nach dem Eingriff konnte er aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Eine medizinische Fachkraft nimmt eine Schweineniere in einem runden Behälter aus einer Transportbox
Melissa Mattola-Kiatos vom Massachusetts General Hospital nimmt die Schweineniere aus einer Transportbox, um sie für die Transplantation vorzubereiten.

Der weltweit erste Patient, dem eine Niere von einem gentechnisch veränderten Schwein transplantiert wurde, hat sich so weit erholt, dass er das Krankenhaus am 3. April 2024 verlassen konnte. Das teilte das Massachusetts General Hospital (MGH) mit, an dem die rund vierstündige Operation am 16. März stattfand.

Der Empfänger des Organs, Richard Slayman, litt an einer fortgeschrittenen Nierenerkrankung, die wohl auf einen Diabetes mellitus vom Typ II in Kombination mit Bluthochdruck zurückging. Nach jahrelanger Dialyse hatte er bereits 2018 eine menschliche Spenderniere erhalten, die jedoch fünf Jahre später versagte. Deshalb musste er sich erneut einer Blutwäsche unterziehen, die aber zunehmend strapaziöser wurde, da sich die Gefäßzugänge immer wieder mit Gerinnseln zusetzten.

Auf der Hut vor dem Immunsystem

Die Xenotransplantation (von xénos: altgriechisch für »fremd«), also das Verpflanzen von Organen einer Spezies in Individuen einer anderen, wird seit vielen Jahren intensiv erforscht. Grund ist ein eklatanter Mangel an menschlichen Spenderorganen. Schweine eignen sich als Spender für menschliche Empfänger besonders gut, weil sich Größe und Funktion der Organe ähneln. Außerdem ist es inzwischen möglich, das Erbgut der Tiere so zu verändern, dass der Körper das Gewebe nicht sofort abstößt. Schweine, die als Organspender für Menschen bestimmt sind, werden unter besonderen Bedingungen isoliert aufgezogen. So verringert sich die Gefahr von Infektionen.

Vom Schwein in den Menschen | In einer vierstündigen Operation verpflanzen Chirurgen am Massachusetts General Hospital die Niere eines Schweins in einen menschlichen Patienten.

Die Niere, die Slayman erhielt, stammte von einem Tier, dessen Erbgut mit Hilfe der CRISPR-Cas9-Technologie an 69 Stellen verändert worden war: Bestimmte schädliche Schweinegene hatte man entfernt und dafür menschliche Gene eingeführt. Damit habe man das Gewebe »kompatibler« für den menschlichen Körper gemacht. Durch die genetischen Modifikationen könne die Schweineniere alle wesentlichen Funktionen einer menschlichen Niere erfüllen, berichtet das MGH in einer Pressemitteilung. Zudem habe man damit das Risiko reduziert, dass das Blut in dem Organ unkontrolliert gerinnt und Entzündungen entstehen.

Augenscheinlich hat das bei dem 62-Jährigen bislang funktioniert. Seine neue Niere produziere Urin, entferne Abfallprodukte aus dem Blut und gleiche den Flüssigkeitshaushalt des Körpers aus, schreibt die »New York Times« unter Berufung auf Slaymans Ärzte. Dennoch sei, wie bei jeder Organtransplantation, eine Abstoßung nicht auszuschließen, heißt es auf einer Infoseite zu dem Eingriff. Da es die erste verpflanzte Xenoniere in einen lebenden Menschen ist, fehlen Erfahrungswerte. Schweinenieren hat man bislang lediglich in hirntote Menschen transplantiert, um zu prüfen, wie lange das Organ überlebt.

Dass solche Transplantationen hochriskant sind, zeigen zwei Fälle aus den vergangenen Jahren, bei denen Schweineherzen in menschliche Empfänger verpflanzt wurden. Beide Patienten starben einige Wochen nach der Operation. Slayman war den Ärzten zufolge allerdings bereits vor der Operation in einer besseren gesundheitlichen Verfassung als die beiden Herzkranken. Zudem sollen Studien darauf hinweisen, dass sich Xenonieren besser zu dem Zweck eignen könnten als Herzen.

»In der ersten Woche war es eine Achterbahnfahrt«Leonardo V. Riella, medizinischer Direktor für Nierentransplantation, Massachusetts General Hospital

Dennoch habe Slayman am achten Tag nach der Operation Anzeichen einer Abstoßung gezeigt, schreibt die »New York Times«. Die Immunreaktion sei aber schnell mit Steroiden und anderen, zum Teil neu entwickelten Medikamenten eingedämmt worden. »In der ersten Woche war es eine Achterbahnfahrt«, sagte Leonardo V. Riella, medizinischer Direktor für Nierentransplantation am MGH gegenüber der Zeitung.

Die Immunsuppressiva wird der 62-Jährige weiter einnehmen müssen. Auch wird er sich fortlaufend engmaschigen Tests unterziehen müssen. Sollte die Schweineniere funktionstüchtig bleiben, wäre das ein Meilenstein für die Transplantationsforschung. Denn allein in Deutschland warteten laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation im Jahr 2023 knapp 7000 Menschen auf eine Spenderniere, in den USA sogar mehr als 100 000.

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