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Menschelnde Maschinen

Der Kognitionswissenschaftler Murray Shanahan befasst sich in seinem neuen Buch mit künstlicher Intelligenz und ihrer Bewusstwerdung.

Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz schreitet immer schneller voran. KI-Systeme schreiben Texte, komponieren Songs und malen Bilder, sie sind dem Menschen in Schach, Poker und Go überlegen. Werden wir bald von Superintelligenzen beherrscht? Werden KI-Systeme irgendwann ein Bewusstsein entwickeln? Soll KI uns als Diener oder Kamerad begleiten? Das sind nur einige Fragen, mit denen sich Murray Shanahan in seinem Buch »Die technologische Singularität« befasst.

Das Gehirn replizieren

Der Autor, der einen Lehrstuhl für Kognitive Robotik am Imperial College in London hat, nähert sich dem Problem mit einer definitorischen Vorarbeit. Das Kennzeichen einer »echten allgemeinen« Intelligenz ist für ihn die »Fähigkeit, ein vorhandenes Repertoire von Verhaltensmustern an neue Herausforderungen anzupassen, und zwar ohne dabei auf ein systematisches Erproben im Sinne von Versuch und Irrtum oder auf Anleitung durch Dritte zurückzugreifen«. Der Schachcomputer ist insofern ein Fachidiot, als er nur ein bestimmtes Problem lösen kann. Er ist nicht in der Lage, zu kochen oder einen Kopierer zu reparieren. Der Mensch vermag dagegen auch Lösungen für unvorhersehbare Probleme zu finden. Das macht ihn zu einem intelligenten Wesen. Er zieht – und das ist für Shanahan ein konstitutives Element von Intelligenz – logische Schlüsse und ist kreativ. Die Frage ist: Kann man diese Fähigkeiten im Rechner replizieren?

Die naheliegendste Möglichkeit besteht für den Autor darin, eine exakte Kopie eines Gehirns herzustellen. In einem dreistufigen Verfahren müsste man dafür das Denkorgan kartieren, simulieren und verkörpern. Alle Nervenzellen würden in einem Chip oder Rechner nachgebaut. In der Theorie klingt das einfach. In der Praxis ist eine solche Emulation aber schwierig, denn das menschliche Gehirn ist unheimlich komplex: Es verfügt über 100 Milliarden Neurone und Billionen von Synapsen. Diese kleinsten Verbindungen detailgetreu zu modellieren, ist sogar mit Nanotechnologie kaum möglich. Selbst das Denkorgan einer Maus lässt sich mit der größten Prozessorgeschwindigkeit nicht in Echtzeit simulieren – auch nicht mit parallel geschalteten Rechnern.

Während das menschliche Gehirn ein Volumen von gerade einmal 1250 Kubikzentimetern hat und mit 20 Watt Energie auskommt, verbraucht der chinesische Supercomputer Tianhe-2, einer der leistungsstärksten Rechner der Welt, 24 Megawatt und besetzt eine Fläche 720 Quadratmetern, erklärt der Autor. Der menschliche Denkapparat ist also ein besonders energieeffizienter und kompakter Hochleistungsrechner, ein Meisterwerk der Evolution. Doch nur weil etwas in der Natur funktioniert, heißt das noch lange nicht, dass man es einfach nachbauen kann.

Der Robotikforscher verweist auf die frühen Entwürfe von Flugmaschinen, die – recht erfolglos – den Vogelflug imitierten, indem man sie mit flatternden Flügeln ausstattete. Erst mit starren Tragflächen und Propellern konnte der Mensch den Himmel erobern. Analog dazu sollten Informatiker nicht versuchen, die Natur zu imitieren, »sondern ein gänzlich neues Bündel von Konstruktionsprinzipien erarbeiten, die auf siliziumbasierte Computer zugeschnitten sind«. Eine KI auf menschlichem Niveau müsse nicht menschlich sein, so sein nachdenklich stimmender Befund.

Shanahan macht klar, dass die Ingenieurskunst auch Implikationen für die Gesellschaft habe, denn wie eine KI konstruiert ist, werde ihr Verhalten prägen und »unsere Fähigkeit maßgeblich bestimmen, ebenjenes Verhalten vorherzusagen oder zu beherrschen«.

Der Autor verlangt dem Leser viel ab, nimmt ihn aber auch immer wieder mit, etwa in packenden Gedankenexperimenten: Angenommen, man scannt das Gehirn einer Maus und ersetzt jedes einzelne Neuron in dem Lebewesen mit einem elektrischen Surrogat. Die Maus würde dann wie zuvor Käse lieben und vor Katzen fliehen. Und sie wird vermutlich auch noch Hunger und Schmerzen empfinden. Aber wie sieht es mit dem Bewusstsein aus? Gibt es vielleicht einen Punkt, an dem es verschwindet?

Die Frage, ob künstliche Intelligenz ein Bewusstsein und Schmerzempfindlichkeit entwickeln kann, ist nicht nur von philosophischer Bedeutung, sondern von höchst praktischer Relevanz, weil man den nichtmenschlichen Entitäten dann möglicherweise Rechte zugestehen müsste. »Wenn eine derartige KI leidensfähig wäre, so wären ihre Schöpfer aus moralischer Sicht dazu verpflichtet, ihr Wohlbefinden zu gewährleisten«, erklärt Shanahan. Falls ein künstliches Gehirn nur simulierte Schmerzen empfinden könnte, wäre dies aus der Sicht des Kognitionsforschers immer noch riskant, weil sich eine solche KI zumindest so verhalten würde, als ob sie echte Gefühle hätte.

Der Autor hebt dabei auch auf die Verantwortungsethik der Schöpfer ab. Denn prinzipiell wäre es vorstellbar, Designergehirne zu entwerfen, in denen negative Empfindungen wie Schmerz, Hunger, Müdigkeit und Emotionen einfach abgestellt würden. Auf Sexualität könnte ebenso verzichtet werden wie auf das Verlangen, Nachwuchs zu bekommen. Aber wollen wir solche seelenlosen Automaten? Shanahan lässt die Frage offen. Der Weg, KI menschlich zu machen, besteht für ihn darin, ihre Architektur menschenähnlich anzulegen. »Denn je genauer eine KI dem biologischen Bauplan entspricht, desto sicherer können wir sein, dass ihre Aktionen für alle Zeiten das grundsätzliche Wertesystem widerspiegeln werden, das wir ihr vermitteln, selbst wenn ihre Intelligenz verbessert wird.«

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