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»Durstiges Land«: Wie werden wir im Jahr 2040 leben, wenn Wasser knapp geworden ist?

Über Szenarien nähert sich dieses lesenswerte Buch der Frage, welche Folgen ein weitreichender Wassermangel haben könnte.
Ausgetrockneter Rio Negro während der Dürre im Oktober 2023

Es ist so, als hätte man erst unter einer Dusche mit Eiswasser gestanden und würde dann mit warmem Wasser versöhnt werden. Sechsmal lassen die Autorinnen Susanne Götze und Annika Joeres die Leser in ihren Erzählungen über die Zukunft mit einem »Worst Case« erschaudern und sorgen anschließend mit einem »Best Case« für Entspannung.

In fiktiven Geschichten erzählen sie, wie sich das Alltagsleben in der nahen Zukunft verändern dürfte, wenn das Wasser knapp wird. Zuerst kommt der »Worst Case«. Da ist zum Beispiel Alina, eine Bäuerin aus dem Allgäu. Die Dürre hat die Landwirtschaft der ganzen Region zerstört. Wie auch ihre Nachbarn hat sie ihr Land verkauft. Jetzt arbeitet sie als »Food Expert« für eine reiche Schweizer Familie und treibt für sie gesunde Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt auf. Schweizer und Ex-Monegassen wohnen jetzt auf dem ehemals fruchtbaren Ackerland, das zu einem Luxusresort mit 300 Villen umgewandelt wurde. Die Monegassen sind ins Allgäu umgesiedelt, weil der steigende Meeresspiegel den ins Meer gebauten Stadtteil ihrer Heimat unbewohnbar gemacht hat. Jetzt klagen sie Sonderrechte für die Wasserentnahme ein, um Rosenstöcke und große Rasenflächen zu kultivieren, was die Wassernot für die Einheimischen weiter verschärft.

Durst in der Stadt, verödetes Land und Luxusvillen

Eine andere Alltagserzählung schildert das Stadtleben. Paula erlebt die Spree in Berlin als fauliges und stinkendes Rinnsal. Flüchtlinge – nicht aus afrikanischen Ländern, sondern aus südeuropäischen Nachbarländern – bevölkern jetzt die Ufer und betteln um Wasser. Das Wasser für Berlin kommt aus Entsalzungsanlagen an der Ostsee. Dort leiten die privaten Betreiber nicht nur die Sole ins Meer, sondern vergiften das Ostseewasser auch noch mit Antifouling und Chemikalien. Als massenhaft tote Fische an der Küste angeschwemmt werden, will Paula die Verseuchung öffentlich machen, aber das Sicherheitspersonal des Unternehmens bedroht sie wirkungsvoll und ohne Konsequenzen dafür fürchten zu müssen. Zu wichtig ist das Wasser für Berlin.

Durst in der Stadt, verödetes Land, Trinkwasser mit Medikamentenresten, ein Rheinschiffer, der kaum auf dem versiegenden Fluss klarkommt, ein Förster im sterbenden Wald und ein Tourismus, der in Skigebieten das letzte Wasser raubt. Sechsmal verwandeln Götze und Joeres Zahlen, Daten und Prognosen in spannend zu lesende Geschichten. Häufig fehle uns die Fähigkeit, uns wirklich vorzustellen, was Wasserkrisen für unser Leben bedeuten, so die Autorinnen. So erschaffen Götze und Joeres aus wissenschaftlichen Prognosen, Klimaszenarien, Trends und Beobachtungen eine fiktive Lebenswelt, die gleichzeitig erschreckend real wirkt. Dabei haben sie im Wesentlichen »nur« die Wasserkrise im Fokus.

Gegen Klimapessimismus, für eine kluge Nutzung von Wasser

Auf jede Dystopie lassen Götze und Joeres eine alternative Welt folgen, in der die Akteure eine zweite Version der Zukunft erleben: den »Best Case«. Hier mangelt es zwar immer noch an Wasser, und die Welt ist zu heiß. Aber es gibt Lösungen, wie die Menschen besser damit klarkommen und wie das knappe Gut gerechter verteilt wird. Die Bäuerin Alina hat eine Landwirtschaft kultiviert, die auch mit Dürrezeiten besser klarkommt. Sie hat die anderen Bäuerinnen und Bauern davon überzeugt, gegen die Umwandlung des Ackerlandes in Luxusvillen zu stimmen. In Berlin wachsen Obstbäume in den Straßen, in Gebäuden wird das Wasser fast vollständig als graues Wasser genutzt, das wenige Wasser aus der Lausitz wird klug genutzt, und anstelle von Skipisten mit Kunstschnee wurde eine andere Art des Naturerlebens etabliert. Nicht nur Menschen, auch Gesetze helfen. Im »Best Case« werden neue Umweltgesetze beschlossen und alte konsequenter umgesetzt – auch gegen eine übermächtig erscheinende Pharmalobby, so etwa das Prinzip »The Pollutant Pays« – »der Verschmutzer zahlt«.

Es sind die vielen kleinen und großen Maßnahmen in diesen Erzählungen, die zeigen, was alles möglich ist. Das sind nicht nur begrünte Parkflächen, eine effektive Gebäudedämmung, mit Solar überdachte Autobahnen und vieles mehr. Es sind auch Obstbäume in der Stadt oder das Mulchen des Bodens. Wer weiter ins Detail gehen möchte, findet nach jedem Kapitel eine kurze Aufstellung der Quellen.

Die Autorinnen führen auf packende Weise vor Augen, was passiert, wenn die Politik und die Gesellschaft nur halbherzig auf die kommenden Krisen reagieren. Ihr Buch ist eine aufrüttelnde Lektüre, denn ihr Vorhaben – nicht anhand von Zahlen, sondern mit Menschen zu berichten – gelingt. Sie zeigen aber auch, was möglich ist, wenn schützende Maßnahmen radikal umgesetzt würden. Auch wenn der »Best Case« immer noch fordernd genug ist, er präsentiert eine lebenswertere Version der Zukunft. Und zwar nicht nur für eine Elite. Dieses Buch gibt Hoffnung und macht Mut, nicht in Klimapessimismus zu verfallen, sondern sich aktiv gegen einen »Worst Case« zu stemmen.

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