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Lobes Digitalfabrik: Der Mensch denkt, der Computer lenkt

Die Utopisten des Silicon Valley feiern den Chip im Hirn als Riesenschritt in die Zukunft. Medizinisch mag das begründet sein. Doch es gibt genügend Gründe, stutzig zu werden.
Was erwächst uns aus der Verknüpfung von Mensch und Maschine?

Die Techno-Utopisten im Silicon Valley überbieten sich mit immer spektakuläreren Visionen. Geht es nach Elon Musk, dann laufen die Menschen in Zukunft alle mit einem Computerchip im Gehirn herum. Der menschliche Denkapparat, so seine radikalmaterialistische These, verfüge nicht über die notwendige »Bandbreite«, um all die Informationen verarbeiten zu können, die in einer datengetriebenen Gesellschaft produziert werden. Also muss sich der Mensch zum Cyborg aufrüsten, um mit der künstlichen Intelligenz mithalten zu können.

Der Tesla-Chef hat in ein Start-up namens Neuralink investiert, das an einer Mensch-Maschine-Schnittstelle forscht. Mit Hilfe eines Operationsroboters sollen dem menschlichen Gehirn hauchdünne, mit Elektroden versehene Fäden in den Kortex verpflanzt werden, die Nervenzellen stimulieren und elektrische Signale an einen hinter dem Ohr installierten Bluetooth-Empfänger senden.

Was nach Sciencefiction klingt, ist längst Realität. Schon heute tragen weltweit 400 000 Gehörlose beziehungsweise hörgeschädigte Menschen ein so genanntes Cochlea-Implantat im Ohr, das mit Hilfe eines Transmitters Schall in elektrische Signale umwandelt und diese an den Hörnerv weiterleitet. 200 000 Parkinsonpatienten auf der Welt leben mit der so genannten tiefen Hirnstimulation, im Volksmund auch als »Hirnschrittmacher« bezeichnet, einer seit den 1970er Jahren praktizierten Methode, bei der mittels eingepflanzter Elektroden Hirnareale stimuliert werden.

Der Fortschritte der Neurotechnologie sind beeindruckend. So können Forscher durch implantierte Sensoren die Bewegungsfähigkeit von gelähmten Menschen teilweise wiederherstellen. Der winzig kleine Hirnsensor erfasst elektronische Reize des motorischen Areals der Hirnrinde und leitet die Steuersignale an einen Computer weiter. Auf diese Weise ist es Gelähmten möglich, einen Roboterarm oder eine Tastatur zu bedienen.

Die Grenzen des menschlichen Körpers werden immer poröser

In der Medizin gelten Computer-Hirn-Schnittstellen als großer Hoffnungsträger. Forscher wollen mit der tiefen Hirnstimulation in Zukunft auch Menschen mit Depressionen behandeln, einer Krankheit, an der laut einem Bericht der WHO rund 300 Millionen Menschen auf der Welt leiden. Doch so viel versprechend die Potenziale der Technologie sind, so groß sind auch die ethischen Bedenken. Von welchem Menschenbild geht man aus? Wo verläuft die Grenze zwischen Mensch und Maschine? Welche Leitplanken muss der Gesetzgeber einziehen? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich ein Bericht der britischen Royal Society (»iHuman – Blurring lines between mind and machine«).

Die Autoren diskutieren darin die interessante Frage, wie sich das Konzept der Normalität durch ein solches »neural enhancement«, also durch Hirnchips und Co. verändert. Zwar sei Normalität weder eine Universalie noch allgemein erwünscht. Trotzdem stelle sich die Frage, ob etwa Gehörlose eine Behandlung bräuchten, wo doch die Gebärdensprache eine »reiche, expressive Kommunikation« ermögliche und Implantate ein »Schock für das Gehirn« bedeuten. Auch im Profisport, wo die Zuführung chemischer Substanzen den Tatbestand des Dopings erfüllt, müsse diskutiert werden, ob »neural enhancement« zulässig ist. Ein Tischtennisprofi etwa könnte sich theoretisch mit einem Hirnchip, der ihm hilft, Signale schneller zu verarbeiten, einen unerlaubten Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen. Wenn Hirnchips dereinst die neue Normalität darstellen, könnte man mit seinem alten proteinbasierten Denkapparat schnell als »anormal« gelten. Was deutlich macht: Eine technische Entwicklung ohne ethisches Fundament kann leicht einem Sozialdarwinismus Vorschub leisten.

Die Autoren diskutieren zudem Fragen hinsichtlich der Privatsphäre. Computer-Hirn-Schnittstellen, heißt es in der Studie, böten die Möglichkeit, »riesige Mengen physischer und neuronaler Biodaten zu sammeln«. Die Grenzen des menschlichen Körpers werden immer poröser. Umso wichtiger sei es, dass »Big Tech« reguliert werde und sensible Hirndaten nicht in die falschen Hände gerieten. Die Frage, wo die menschliche Autonomie endet und der (biopolitische) Zugriff durch Dritte beginnt, hängt wesentlich mit der Identität zusammen. In einer Studie berichtete ein Patient, dessen Depression seit sieben Jahren mit einem Hirnstimulator therapiert worden war, dass seine teils unangemessenen Reaktionen gegenüber Mitmenschen auf das Gerät oder seine Krankheit zurückzuführen seien. Er habe am Ende der Behandlung nicht mehr gewusst, wer er war.

»Neurorechte« als Menschenrecht?

In einem Aufsatz für das Fachblatt »Nature« warnte 2017 eine Gruppe internationaler Forscher, darunter der Neurologe Philipp Kellmeyer von der Uniklinik Freiburg, dass Gehirn-Computer-Schnittstellen das philosophische Konzept der Subjektivität und der »agency«, also des Empfindens, Herr über die eigenen Handlungen zu sein, über den Haufen werfen könnten. In Extremsituationen könne die Grenze zwischen selbst- und fremdbestimmten Handlungen verschwimmen. Die Autoren fordern daher einen umfassenden Schutz von Hirndaten und die Aufnahme von »Neurorechten« in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Es gibt in der Philosophie und Neurowissenschaft schon seit Längerem eine Debatte darüber, ob der freie Wille eine Fiktion ist. Wenn nun prädiktive Algorithmen Gedanken oder Handlungsschritte antizipieren und möglicherweise auch eigenverantwortlich durchführen, resultiert daraus ein Verantwortungs- beziehungsweise Zurechenbarkeitsproblem, das höchste Relevanz für das Strafrecht hat.

Angenommen, man sitzt im Auto und ärgert sich über den Vordermann. Der Computerchip registriert eine gesteigerte Aktivität in den Hirnarealen, die für Emotionen zuständig sind, und verbalisiert die Signale per Textgenerator auf der Windschutzscheibe. Dort leuchtet dann ein Schriftzug auf: »Armleuchter!« Erfüllte dies den Tatbestand der Beleidigung? Ist man noch handelndes Subjekt, wenn ein Computer Gedanken ausliest, die man zwar gedacht hat, aber nie artikulieren würde? Hat man überhaupt noch die Kontrolle über seine Gefühle?

Man kann das Gedankenexperiment noch weiter spinnen: Angenommen, eine gelähmte Person ärgert sich über den Pfleger. Als sich der Pfleger über den Patienten beugt, schlägt ihm dieser mit seinem Roboterarm ins Gesicht. Der Gelähmte dachte ganz kurz über die Anwendung körperlicher Gewalt nach, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Die elektrischen Signale wurden aber bereits ausgesendet, die Mechanik konnte nicht mehr stoppen – und schlug zu. Wäre so eine Kurzschlusshandlung eine strafbare Körperverletzung? Könnte man den Schlag dem gelähmten Menschen zurechnen? Trägt der Hersteller eine Mitschuld? Solche Fragen sind nicht bloß Gegenstand rechtsphilosophischer Tagungen und Sammelbände, sondern müssen in der Gesellschaft diskutiert werden. Doch so schnell, wie Elon Musk und Co. die Technik vorantreiben, könnte es dafür schon zu spät sein.

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