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Freistetters Formelwelt: Was Zahlen besonders praktisch macht

Bei alten Währungen, Maßen und Gewichten stößt man oft auf Zahlen wie 12 oder 20. Warum, ist unklar, aber es könnte mit einer besonderen Eigenschaft dieser Zahlen zusammenhängen.
Ein mitgrüner Wecker, davor gestapelte Kupfermünzen, alles vor grünem Hintergrund.

Vor 1971 bekam man im Vereinigten Königreich 20 Shilling pro Pfund und 12 Pence pro Shilling. Für uns, die wir schon lange an das Dezimalsystem auch in der Währung gewöhnt sind, sind das ungewöhnliche Zahlen. Tatsächlich tauchen Zahlen wie 12 oder 20 öfter als Unterteilung alter Währungen, Gewichte oder anderer Maßeinheiten auf.

Das bemerkte auch der Mathematiker A. K. Srinivasan und schrieb 1948 einen Artikel, der folgendermaßen beginnt: »Die Unterteilungen von Geld, Gewicht und Maßeinheiten umfassen Zahlen wie 4, 12, 16, 20 und 28, die üblicherweise als so lästig angesehen werden, dass sie durch Vielfache von 10 ersetzt werden müssen. Man dachte, dass diese Zahlen keine besondere Bedeutung haben, höchstens dass es sich um stark zusammengesetzte Zahlen handelt. In dieser Notiz zeigen wir nun, dass sie eine bemerkenswerte Eigenschaft haben, die den Alten bekannt gewesen sein könnte, in der Moderne aber vergessen oder ignoriert wurde.«

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Srinivasan fährt fort, Zahlen zu definieren, die er als praktische Zahlen bezeichnet. Natürlich kann man mit gewisser Berechtigung behaupten, dass alle Zahlen praktisch sind. Srinivasan meint aber nicht die alltägliche Bedeutung, sondern eine bestimmte mathematische Eigenschaft. Praktische Zahlen im Sinn von Srinivasan können zum Beispiel durch diese Formel gebildet werden:

Sie gilt für n = 2, 3,... und liefert die Werte 6, 28, 120, und so weiter. Was soll jetzt aber zum Beispiel an der 28 besonders praktisch sein? Dazu muss man sich zuerst ansehen, durch welche Zahlen man die 28 teilen kann: 1, 2, 4, 7, und 14. Praktisch daran ist nun, dass man alle ganzen Zahlen von 1 bis 27 als Summe dieser Teiler schreiben kann – und zwar als Summe von paarweise verschiedenen echten Teilern. Was das bedeutet, kann man sich am Beispiel der 26 ansehen. Sie hat die Teiler 1, 2 und 13. Damit kann man zwar (trivialerweise) die 1 und die 2 bilden und mit 1 + 2 = 3 auch noch die 3. Aber um aus diesen drei Teilern die 4 zu erhalten, müsste man 1 + 1 + 2 oder 2 + 2 rechnen, womit die Teiler nicht mehr paarweise verschieden sind.

Die Margenstern-Vermutung

Echte praktische Zahlen aber sind laut Srinivasan nur die, bei denen das klappt, wie eben die 28. Die obige Formel liefert allerdings kein komplettes Bild. Man kriegt damit zwar immer eine praktische Zahl, aber nicht alle, die es gibt. Die ersten zehn praktischen Zahlen lauten 1, 2, 4, 6, 8, 12, 16, 18, 20 und 24.

Man sieht leicht, dass die einzige ungerade praktische Zahl die 1 sein muss; gäbe es eine größere ungerade praktische Zahl, dann könnte man mit keiner Summe aus ihren Teilern die 2 bilden. Jede praktische Zahl muss auch durch 4 oder 6 teilbar sein. Alle Zweierpotenzen sind praktische Zahlen, ebenso wie alle perfekten Zahlen, also Zahlen, die gleich der Summe all ihrer positiven Teiler sind – ausgenommen der Zahl selbst.

Warum die Währung im Vereinigten Königreich bei ihrer Unterteilung diesen praktischen Zahlen gefolgt ist, bleibt allerdings unbeantwortet. Die Übereinstimmung ist aber auf jeden Fall bemerkenswert. Noch früher wurde beispielsweise der Sovereign verwendet. Ein Sovereign entsprach 20 Shilling und damit einem Pfund Sterling. Daneben konnte man einen Sovereign aber auch in 4 Crowns, 8 Half Crowns, 10 Florins, 60 Groats, 240 Penny oder 960 Farthings wechseln. Mit Ausnahme der 10 sind alle hier auftretenden Zahlen auch praktische Zahlen.

Die Mathematik der praktischen Zahlen ist spannend, um die Beziehungen zwischen den natürlichen Zahlen besser verstehen können. In vielen Aspekten verhalten sie sich wie die Primzahlen. Analog zur berühmten goldbachschen Vermutung – jede gerade Zahl, die größer als 2 ist, ist die Summe zweier Primzahlen – gibt es etwa auch die Margenstern-Vermutung: Jede positive ganze Zahl ist die Summe zweier praktischer Zahlen. Im Gegensatz zur seit fast 300 Jahren unbewiesenen Goldbach-Vermutung ist die von Margenstern aber nach nur fünf Jahren bewiesen worden – was zweifellos sehr praktisch ist.

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