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Springers Einwürfe: Die Werte der Natur

Wie misst man ökologische Ressourcen, die nicht unmittelbar wirtschaftlichen Nutzen abwerfen? Beim Umweltschutz begegnen sich divergierende Einschätzungen.
Ein Schild mit der Aufschrift »Naturschutzgebiet«, im Hintergrund Windkraftanlagen
Vorschriften werden oft vorgegeben und Projekte geplant, ohne die Betroffenen genügend einzubeziehen. Maßnahmen zum Natur- und Klimaschutz können aber nur gelingen, wenn alle Gehör finden.

Vor einem Vierteljahrhundert publizierte ein Team um Robert Costanza eine bahnbrechende umweltökonomische Bewertungsstudie, von der ich seinerzeit hier berichtete. In der Arbeit wurde erstmals versucht, natürlichen Gut­haben wie der Artenvielfalt oder den Ozeanen sozu­sagen ein Preisschild anzuheften.

Die Costanza-Studie ist seither breit diskutiert, auch kritisiert worden. Manche damaligen Bewertungen wirken tatsächlich wie an den Haaren herbeigezogen – etwa wenn die Studie den Wert der Meere anhand der Immobilienpreise an den Küsten abschätzt oder wenn die Biodiversität bloß als Quelle ästhetischer Vielfalt und touristischer Attraktionen bepreist wird.

Bei der quantitativen Wert-Schätzung der Biosphäre ging man damals radikal anthropozentrisch vor: Die Costanza-Studie unterwirft buchstäblich alles dem direkten oder indirekten (»kulturellen«) Nutzen für das menschliche Wirtschaften. Seither hat sich die einschlägige Forschung enorm diversifiziert. Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit wägen ökologische Studien ein ganzes Ensemble von Werten ab, die, aufeinander abgestimmt, Hinweise auf den klugen Umgang mit Ökosystemen liefern.

Ein internationales Team um den Umweltökonomen Unai Pascual vom Baskischen Zentrum für Klimawandel in Bilbao (Spanien) hat dargelegt, wie das funktionieren kann. Die Forscherinnen und Forscher stützten sich auf den aktuellen Bericht der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), zu dem mehr als 300 Autoren beigetragen hatten.

Das Team um Pascual beschreibt unter anderem die gelungene Restauration eines durch kommer­zielle Übernutzung vom Kollaps bedrohten Ökotops. Der Chilika-See ist eine riesige Brackwasser-Lagune an der indischen Ostküste, Existenzgrundlage für 140 000 Fischerfamilien und begehrter Ausflugsort für hunderttausende Besucher aus dem In- und Ausland. Gefährdet war das Gewässer seit den 1980er Jahren durch wachsende Aquakulturen. Zudem sickerten infolge immer intensiverer Landwirtschaft von den Rändern Schadstoffe ein.

Seltener Erfolg: Im Jahr 2001 konnte der Gefährdungsstatus offiziell aufgehoben werden. Damit ist der Chilika-See bis heute das einzige dauerhaft stabilisierte Feucht­gebiet in ganz Asien. Wie die Gruppe um Unai Pas­cual hervorhebt, wäre das durch bloß von oben oktroyierte Naturschutzvorschriften, die oft am wachsenden Widerstand der lokalen Bevölkerung scheitern, gewiss misslungen.

Vielmehr nahm man von Anfang an Rücksicht auf die tradierten Kenntnisse der Betroffenen: Diese verstanden sich nun mal seit Generationen als Fischer; sie waren stolz auf das akkumulierte Wissen über lokale Gegebenheiten wie Wasserströmungen und Artenreichtum. Hinzu kamen ihre ganz eigenen kulturellen Werte. So pilgerten die Anwohner zu gewissen religiösen Stätten und pflegten eine besondere Verehrung bestimmter Wasserbewohner, vor allem von Delfinen. Dass all dies bei den Entscheidungsprozessen berücksichtigt wurde, erklärt den Erfolg.

Werden die vielfältigen Aspekte von Umweltmaßnahmen hingegen über einen Kamm geschert, fühlen sich die Betroffenen ungerecht behandelt und opponieren. Wie die Pascual-Studie an einem positiven Exempel vorführt, ist das Abgleichen von Werte­systemen umständlich und konfliktträchtig. Sind Sie für erneuerbare Energien? Ja, aber Windräder verschandeln die Aussicht! Für Ökostrom aus dem windreichen Norden? Ja, aber nicht über Hochspannungsmasten! Für Elektroautos? Ja, aber nicht auf Kosten von Arbeitsplätzen! Nur wer Gehör findet, kann zum guten Ende zustimmen.

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