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Warkus' Welt: Die Abkehr von der Leidenschaft

Verschiedene Ideen aus dem philosophischen Stoizismus erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit. Nicht umsonst ist inzwischen einer der berühmtesten stoisch inspirierten Denker eine fiktive Figur. Eine Kolumne.
Die Säulenhalle der Stoa des Attalos in Athen
Die Stoa des Attalos wurde im zweiten Jahrhundert v. Chr. von Attalos II. von Pergamon in Athen gebaut. Nachdem ihrer Zerstörung im Jahr 267 ließ man die Säulenhalle in den 1950er Jahren zu Museumszwecken rekonstruieren.

»Stoa« heißt im Altgriechischen eine Säulenvorhalle. Von ihr leitet sich das Wort »stoisch« ab, das uns heute in den Nachrichten vor allem dann begegnet, wenn Sportler Widrigkeiten überstehen oder Personen oder politische Gruppierungen lange Zeit auf etwas nicht reagieren. Stoizismus scheint umgangssprachlich eine Art Starre oder Hartnäckigkeit zu sein, die nicht unbedingt positiv gewertet wird. Aber was hat das nun mit der Säulenhalle zu tun?

In der namensgebenden Stoa in Athen traf sich in hellenistischer Zeit (ab zirka 300 v. Chr., also deutlich nach der Zeit der heute bekanntesten antiken Klassiker Sokrates, Platon und Aristoteles) eine philosophische Schule, und zwar nicht irgendeine, sondern eine äußerst populäre und die über Generationen einflussreichste ihrer Art. Jahrhunderte später konnte sie noch führende Persönlichkeiten des Römischen Reichs zu ihren Anhängern zählen – bis hin zu Mark Aurel, der im 2. Jahrhundert n. Chr. römischer Kaiser war, aber als Philosoph vielleicht sogar noch berühmter geworden ist.

In der Tat hat der philosophische Stoizismus durchaus etwas mit Starre oder Hartnäckigkeit zu tun. Die Eigenheit, mit der man ihn heute vor allem verknüpft, ist die Forderung nach Freiheit von Leidenschaften. Jede Leidenschaft, also jeder Einfluss von Begierde oder Furcht – und ihren Ergebnissen, nämlich Freude und Leid –, führt dazu, dass die Vernunft etwas anderes anstrebt als die Tugend. Der nach stoischer Meinung wahrhaft weise Mensch hat aber erkannt, dass das Gute und damit auch das Glück allein in der vernünftigen Ausübung von Tugenden liegt. Alles andere, was uns in der Welt möglicherweise gut oder schlecht erscheint – Geld, gutes Essen, Schmerzen, Ruhm, Sex oder seine Abwesenheit, das Gerede der Leute –, ist allerhöchstens unter bestimmten Umständen von Nutzen oder von Schaden. Daher strebt, wer stoisch ist, eine Sicht auf die Welt wie aus der Vogelperspektive an, die das Gewimmel verschwinden lässt und das große Ganze vor Augen führt. Regelmäßige geistige Übungen wie gezielte Selbstgespräche oder tägliche Reflexionen sollten dabei helfen, diesen Zustand der Gelassenheit und Freiheit von emotionalen Einflüssen zu erreichen.

Es würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen, darauf einzugehen, wie genau die stoische Schule, die sich nicht nur mit ethischen Überlegungen beschäftigte, sondern auch eine eigene Logik, Metaphysik und Naturphilosophie hatte, diese Forderungen herleitete. Der Grundgedanke besteht aber darin, die Natur, ja das ganze Universum, als vernünftig aufgebaut und strukturiert zu begreifen. Der Mensch findet dann seinen Platz, indem er das zu seinem Ziel macht, worauf das (vernünftige) große Ganze erfahrungsgemäß ohnehin zustrebt.

Stoizismus gibt es auch bei »Star Trek«

Der heutzutage sicher berühmteste stoisch inspirierte Denker ist gar keine reale Person und noch nicht einmal ein Mensch: Es ist der Vulkanier Spock aus der Serie »Star Trek«. Er (und seine ganze fiktive Spezies) ist die Verkörperung eines radikalen Stoizismus, der Leidenschaften völlig ablehnt und für den die aktive Bekämpfung der eigenen Emotionalität lebensleitend ist. Man darf aber nicht den Fehler machen, Spock für den perfekten Stoiker zu halten, da die stoische Lehre durchaus anerkennt, dass es gute und berechtigte Emotionen gibt – beispielsweise das Sehnen danach, tugendhaft zu sein, oder die Freude darüber, wenn es einem glückt. Zudem ist der klassische stoische Weise ein Mensch, der nicht bloß tugendhaft denkt, sondern auch ohne zu zögern handelt, etwas, mit dem Spock hin und wieder seine Schwierigkeiten hat.

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Bestimmte stoische Ideen finden sich heutzutage in psychologischen Praktiken wie beispielsweise der kognitiven Verhaltenstherapie wieder. Aber ganz allgemein erfreut sich die Philosophie der Stoa (wenn auch gerne in vereinfachter Form als simple Lebensregel) großer Beliebtheit. Es gibt in Großbritannien sogar eine gemeinnützige Organisation, die den Stoizismus unter trendigen Schlagworten wie Achtsamkeit und Resilienz propagiert und jedes Jahre eine »Lebe-wie-ein-Stoiker«-Woche veranstaltet. Falls Sie es ausprobieren wollen: 2022 geht es am 24. Oktober los.

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