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Krebs verstehen: Wie funktionieren Immuntherapien gegen Krebs?

Unser Immunsystem kann Krebszellen erkennen und zerstören. Doch der Krebs weiß sich davor zu schützen. Wie Immuntherapien das Immunsystem wieder scharfstellen, erklärt Marisa Kurz.
Eine Frau mit einem lilafarbenen Kopftuch schaut frontal in die Kamera. Im Hintergrund ist ein Infusionsbeutel zu sehen.
Chemotherapien greifen wegen ihrer unspezifischen Wirkung immer gesunde Zellen an. Immuntherapien können Autoimmunreaktionen hervorrufen, wodurch das eigene Immunsystem versehentlich gesunde Körperzellen angreift (Symbolfoto).

Die meisten unserer kleinen Körperbausteine, unsere Zellen, zeigen an ihrer Oberfläche, was in ihrem Inneren vorgeht. Dadurch können Immunzellen von außen erkennen, ob eine Zelle mit einem Krankheitserreger infiziert ist oder ob sie bösartig verändert ist. Meinen Patientinnen und Patienten erkläre ich das immer so: Stellen Sie sich ein Schaufenster eines Klamottengeschäfts vor: Die Dekorateure sind die Zellen. Sie kleiden die Schaufensterpuppen mit kleinen Teilen aus ihrem Inneren. Außen laufen Immunzellen vorbei, die das normale Sortiment kennen. Ihnen fällt meist auf, wenn die Schaufensterpuppen ungewöhnliche Stücke tragen, die Krebszellen oder mit Krankheitserregern infizierte Zellen ausstellen würden. Dann zerstören die Immunzellen die auffälligen Zellen.

Leider sind diese Vorgänge tatsächlich viel komplizierter und funktionieren aus verschiedenen Gründen nicht immer. Denn Krebszellen entwickeln viele Wege, um sich vor dem Immunsystem zu schützen. Dazu gehören unter anderem so genannte Immun-Checkpoints. Die können Sie sich so vorstellen wie Stoppschilder, auf denen steht: »Lass mich in Ruhe, Immunzelle!«. Die Stoppschilder sind im gesunden Körper eigentlich dafür da, das Immunsystem auszubremsen und zu verhindern, dass das Immunsystem gesunde Körperzellen angreift.

Checkpoint-Blockade gegen Krebs

Diese Stoppschilder können mit »Immun-Checkpoint-Inhibitoren« blockiert werden, so dass Immunzellen verstärkt Krebszellen abtöten. Die Entdeckung der Immun-Checkpoints und der Therapiemöglichkeiten, die sich daraus ergeben haben, wurde 2018 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.

Will man heutzutage eine Krebserkrankungen behandeln, stehen verschiedene Immun-Checkpoint-Inhibitoren zur Verfügung. In den nächsten Jahren werden vermutlich noch viele weitere hinzukommen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nämlich herausgefunden, dass es viele verschiedene Arten dieser »Stoppschilder« gibt, die man mit Medikamenten blockieren kann.

Als Allererstes wurden Immuntherapien bei Patientinnen und Patienten mit schwarzem Hautkrebs eingesetzt. Dieser trägt nämlich äußerst viele Zellveränderungen in sich und sieht für das Immunsystem besonders fremd aus. Mit der Zeit haben Forscher und Forscherinnen herausgefunden, dass Immuntherapien bei einer Vielzahl von Krebserkrankungen wirken, zum Beispiel bei Lungenkrebs. Deshalb gehören Immun-Checkpoint-Inhibitoren zu den wichtigsten Medikamenten gegen Krebs.

In manchen Fällen verlangsamen Immuntherapien Krebserkrankungen oder sorgen sogar dafür, dass sie vollständig verschwinden. Ich habe Patientinnen und Patienten erlebt, deren Tumoren unter einer Immuntherapie geschrumpft sind, manche konnten durch die Therapie sogar geheilt werden. Leider sprechen viele Krebserkrankte aber nicht auf eine solche Therapie an. Einige Ursachen dafür sind heute bekannt, andere versuchen Forscherinnen und Forscher besser zu verstehen. Eine wissenschaftliche Fragestellung ist beispielsweise vorherzusagen, wem eine Immuntherapie nützt; eine andere, wie man die Wirkung einer Immuntherapie ankurbeln kann.

Das Immunsystem ist ein zweischneidiges Schwert

Wenn es um Nebenwirkungen geht, verhalten sich Immuntherapien ganz anders als etwa Chemotherapien. Chemotherapien zerstören immer auch gesunde Zellen und führen etwa zu Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Blutbildveränderungen. Immuntherapien hingegen können so genannte Autoimmunreaktionen auslösen, bei denen sich das Immunsystem gegen gesunde Körperzellen richtet. Sie müssen es aber nicht: Es ist möglich, dass Patienten und Patientinnen gar keine Nebenwirkungen der Therapie spüren. Allerdings können auch schwerste Reaktionen des Immunsystems auftreten, die den Alltag der Betroffenen stark einschränken und sogar lebensbedrohlich für sie sein können.

Denn wird das Immunsystem zu stark stimuliert, fängt es an, den gesunden Körper anzugreifen. Dann können Entzündungsreaktionen im ganzen Körper auftreten. So etwa in Drüsen, die Hormone herstellen, oder in anderen lebenswichtigen Organen wie der Leber, der Lunge oder im Herzen. Haut und Gelenke können ebenfalls betroffen sein. Auch ich habe in der Klinik all diese Nebenwirkungen bei meinen Patientinnen und Patienten schon erlebt. Zum großen Teil sind sie nach einer kurzen Therapiepause von selbst zurückgegangen, in anderen Fällen mussten wir Kortison einsetzen, um das Immunsystem zu bremsen. Ich habe aber auch Nebenwirkungen gesehen, die so schwer wiegend waren, dass die Behandelten in Lebensgefahr geraten sind, bleibende Einschränkungen davongetragen haben und keine Immuntherapie mehr bekommen konnten – obwohl sie gegen den Krebs geholfen hätte.

Das Immunsystem und sein Zusammenspiel mit Krebs sind sehr komplex. Forscher und Forscherinnen versuchen herauszufinden, wie wir das Immunsystem im Kampf gegen Krebs in Zukunft noch feiner regulieren können, um die Therapien immer weiter zu verbessern und sicherer zu machen.

Weitere Krebstherapien, die das Immunsystem nutzen

Außer Immun-Checkpoint-Inhibitoren gibt es noch andere Möglichkeiten, das Immunsystem gegen Krebszellen zu aktivieren. Dazu gehören »CAR-T-Zell-Therapien«. Dabei werden Patientinnen und Patienten ihre eigenen Immunzellen entnommen und im Labor gentechnisch verändert. Dadurch sollen sie besonders gut bestimmte Oberflächenstrukturen auf Krebszellen erkennen. Die veränderten Zellen werden dem Betroffenen anschließend wieder infundiert. CAR-T-Zellen werden im Moment nur bei bestimmten Blutkrebserkrankungen eingesetzt, bei denen andere Therapien nicht gewirkt haben. In Zukunft werden sie vermutlich aber bei immer mehr Krebserkrankungen eingesetzt.

Auch andere Krebsmedikamente machen sich die natürliche Fähigkeit des Immunsystems zu Nutze, Krebszellen abzutöten. So genannte bispezifische Antikörper sollen Immunzellen und Krebszellen aneinanderkoppeln und erleichtern, die Krebszelle abzutöten. Auch so genannte therapeutische Impfungen, etwa auf mRNA-Basis, könnten zukünftig außerhalb von klinischen Studien eingesetzt werden, um Krebs zu behandeln. Das Ziel ist auch hier, das Immunsystem auf bestimmte Oberflächenstrukturen von Krebszellen aufmerksam zu machen.

Dass Immuntherapien eine natürliche Fähigkeit unseres Körpers unterstützen und ihm dabei helfen, Krebszellen selbst abzutöten, finde ich wahnsinnig faszinierend. Ich bin gespannt, welche Weiterentwicklungen von aktuell verfügbaren Immuntherapien ich in den nächsten Jahren erleben darf – und welche neuen entwickelt werden, um Krebspatientinnen und -patienten noch besser heilen zu können.

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