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Leseprobe »People Pleasing«: »Anderen gefallen, nie missfallen!«

People Pleaser können oft nicht aus ihrer Haut. Sie sagen Ja, auch wenn sie eigentlich Nein meinen. Sie fühlen sich für das Wohlergehen anderer verantwortlich und spüren erst viel zu spät, dass sie sich selbst dabei völlig vergessen haben. Oft passen sie sich lieber an, als bei anderen anzuecken. Betroffene sind meist sehr feinfühlige und empathische Menschen, die Gefahr laufen, auszubrennen, wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche übergehen. Die Psychologin Ulrike Bossmann beschreibt anhand neuester Forschungserkenntnisse und Fallbeispiele die Auslöser und Auswirkungen von People Pleasing und zeigt, wie man ohne schlechtes Gewissen Grenzen zieht und Konflikte austrägt, statt um der Harmonie willen zu schweigen. Zahlreiche Reflexionen und Übungen unterstützen dabei, mit sich selbst ebenso fürsorglich umzugehen wie mit anderen.
Ein Mann reißt sich das Hemd auf

»Anderen gefallen, nie missfallen!« – Was People Pleaser zu People Pleasern macht

Wenn du wie die meisten Menschen bist, die zum People Pleasing neigen, ahnst du vermutlich schon, dass du ein People Pleaser bist. Denn People Pleaser spüren in aller Regel sehr deutlich, dass ihr Verhaltensmuster sie etwas kostet – deswegen sind sie sich dessen gewahr. Vielleicht hast du den Begriff aber auch erst vor Kurzem gehört und fragst dich: Woran genau erkenne ich, ob ich ein People Pleaser bin? Auf den folgenden Seiten erwarten dich Beschreibungen darüber, was People Pleasing ausmacht, und Erklärungen, anhand derer du erkennst, wie stark das People-Pleasing-Muster bei dir ausgeprägt ist. Während du die folgenden Zeilen liest, lass innerlich mit-laufen: Wie vertraut ist mir das?

Zwei Grundbedürfnisse im Fokus

Die meisten Menschen sind auf eine bestimmte Weise People Pleaser: Wir mögen es, von anderen gemocht zu werden, und wollen uns wertvoll fühlen. Der Psychotherapeut Klaus Grawe konnte mit seiner Forschung zeigen, dass alle Menschen vier psychologische Grundbedürfnisse haben:

  • An erster Stelle steht das Bedürfnis nach Bindung und der Wunsch nach verlässlichen, tragfähigen Beziehungen,
  • gefolgt von dem Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle, also dem Wunsch danach, Herr oder Frau der Lage zu sein, zu wissen, wo es langgeht, und etwas zu können, was zur Herbeiführung und Aufrechterhaltung eigener Ziele wichtig ist,
  • dem Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung bzw. Selbstwertschutz, also dem Wunsch, sich als kompetent, liebenswert und gut zu erfahren und von anderen anerkannt, geachtet, respektiert und verstanden zu werden,
  • und dem Bedürfnis nach Lustgewinn bzw. Unlustvermeidung, d. h. dem Wunsch danach, angenehme, freud- und lustvolle Erfahrungen zu machen und unangenehme zu vermeiden.
  • All diese Bedürfnisse sind evolutionär in uns angelegt und ihre Grundversorgung ist nicht verhandelbar. So wie wir physiologische Bedürfnisse wie Nahrungsaufnahme, Atmen und Schlafen auf Dauer gewährleisten müssen, um gesund zu bleiben, so gilt dies auch für unsere psychologischen Bedürfnisse. Wir alle streben täglich danach, diese Bedürfnisse zu befriedigen, unterscheiden uns jedoch im relativen Stellenwert, den wir ihnen im Alltag einräumen, und der Art und Weise, wie wir für ihre Befriedigung sorgen.

    People Pleaser zeigen zwei Tendenzen: Sie investieren viel Zeit und Energie in Bindung und in das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung bzw. Selbstwertschutz. Sie sind freundlich zu anderen, helfen ihnen und fühlen sich empathisch ein. Sie fühlen sich wertvoll, wenn sie etwas gut und es anderen recht gemacht haben. Zugleich versorgen sie diese beiden Bedürfnisse defensiv: Um ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Selbstwertschutz zu sichern, wollen sie andere Menschen keinesfalls enttäuschen, vor den Kopf stoßen oder sich unbeliebt machen.

    An dieser Stelle wird bereits deutlich, was People Pleasing von »normaler« Hilfsbereitschaft, »durchschnittlicher« Vergebungsbereitschaft und nachvollziehbarer Freude über die Anerkennung Dritter unterscheidet: People Pleasing geht mit permanenten Sorgen darüber einher, was andere von einem denken. Das eigene Verhalten wird ständig durch die Augen der anderen betrachtet. Und das eigene Denken, Fühlen und Handeln wird von dem Ergebnis dieser Bewertung bestimmt. Das psychologische Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung bzw. Selbstwertschutz fußt maßgeblich auf dem Feedback, das sie von anderen erhalten, und darauf, »nur ja nichts falsch zu machen«. People Pleaser achten so stark darauf, dass sie oft nur noch auf die anderen schauen und gar nicht mehr auf sich.

    Reflexhaft handeln People Pleaser stets zugunsten der anderen und nie zugunsten ihrer selbst. Sie strengen sich permanent an, um die eigenen überhohen Standards zu erreichen. Sie können nicht aus ihrer Haut: Sie sagen »Ja«, auch wenn sie eigentlich »Nein« meinen. Sie fühlen sich dafür verantwortlich, dass es anderen gut geht, und spüren erst viel zu spät, dass sie sich selbst völlig vergessen haben. Und wenn sie doch mal etwas für sich tun, klopft gleich das schlechte Gewissen an die Tür. Vor lauter Angst, was andere von ihnen denken könnten, oder davor, einen Fehler zu begehen, sagen sie nichts. Konflikte sind ihnen ein Graus. Sie passen sich lieber an als Gefahr zu laufen, bei anderen anzuecken.

    Der starke Fokus auf die Befriedigung dieser zwei Bedürfnisse geht zulasten der anderen Bedürfnisse, nämlich den physiologischen Grundbedürfnissen und den psychologischen Bedürfnissen nach Orientierung und Kontrolle sowie dem nach Lustgewinn bzw. Unlustvermeidung.

    Übung: Meine unterversorgten Grundbedürfnisse.

    Welche deiner Grundbedürfnisse leiden aktuell am meisten unter deiner People-Pleasing-Tendenz? Lies dir die folgenden Fragen durch, um darüber zu entscheiden.

    Physiologische Grundbedürfnisse:

  • Wann habe ich das letzte Mal vor lauter Fokus im Außen vergessen, etwas zu trinken, zu essen oder auf die Toilette zu gehen?
  • Wann hat mir zuletzt vor lauter Aufgaben die Zeit für Bewegung gefehlt?
  • Wann habe ich mir zuletzt Pausen für Regenerationsprozesse, Ruhe und Schlaf geschenkt?
  • Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle:

  • Wann habe ich mich das letzte Mal vollkommen selbst- statt fremdbestimmt gefühlt?
  • Wann habe ich mir das letzte Mal die Freiheit genommen, etwas so zu machen, wie ich es will?
  • Wann bin ich zuletzt in einer Diskussion offen für etwas eingestanden oder hatte das Gefühl, etwas im Einklang mit meinen Werten zu gestalten?
  • Bedürfnis nach Lustgewinn bzw. Unlustvermeidung:

  • Wann habe ich zuletzt etwas gemacht, auf das ich eigentlich keine Lust hatte, weil es andere von mir erwartet haben, man es »eben so macht« oder es »sein musste«?
  • Wann habe ich zuletzt Zeit und Raum gehabt, zu tun und zu lassen, worauf ich Lust hatte?
  • Wann hatte ich zuletzt ein schlechtes Gewissen, weil ich faul war?
  • Wie oft mache ich Dinge, die mir Freude und Vergnügen bereiten?
  • Alle Formen von einseitiger Fokussierung auf bestimmte Bedürfnisse unter Vernachlässigung anderer machen auf Dauer krank und unzufrieden. Denn die fünf Grundbedürfnisse – vier psychologische und das physiologische – sind wie Fässer, aus denen wir schöpfen, in die wir jedoch auch investieren müssen.

    Wer alles auf eine Karte setzt, alles tut, um dazuzugehören oder den eigenen Selbstwert über Anerkennung zu sichern, macht sich abhängig. Darin werden sich viele People Pleaser wiederfinden: Sie sind nicht mehr frei in der Wahl, wem sie gefallen wollen und wem nicht.

    Vom Tun und Lassen

    People Pleasing zielt immer auf einen Effekt: Ich tue oder lasse etwas, damit andere mich mögen und ich ihnen gefalle. Wenn Menschen bestrebt sind, dass die Interaktion mit einer anderen Person unkompliziert verläuft, sind sie eher dazu bereit, sich in ihrem Verhalten den Erwartungen dieser Person anzupassen. People Pleaser tun dies im Übermaß. Um den gewünschten Effekt zu erzielen, ordnen sie etwas unter. Das kann zum Beispiel das eigene emotionale Befinden sein:

  • People Pleaser sind auch dann freundlich, wenn ihnen eigentlich zum Heulen zumute ist.
  • People Pleaser entschuldigen sich, wenn sie angerempelt werden.
  • People Pleaser geben alles, um eine gute Mutter oder ein guter Vater, eine gute Schwester oder der gute Bruder, die gute Kollegin oder der gute Partner zu sein – auch dann noch, wenn sie erschöpft sind und weder Energie noch Zeit übrig haben.
  • Untergeordnet werden außerdem eigene Interessen, die eigene Meinung oder Kritik, um niemanden zu irritieren oder zu verletzen. People Pleaser verfolgen ihre eigenen Ziele nicht, wenn sie nicht zu den Plänen der anderen passen. Wer herausfinden will, ob er oder sie zum People Pleasing neigt, sollte sich also diese zwei Fragen stellen:

  • Wie wichtig ist es mir, dass andere mich mögen?
  • Möchte ich durch mein Verhalten sicherstellen, dass ich andere nicht enttäusche, kränke oder belaste?
  • People Pleaser machen anderen gern eine Freude. Sie wollen andere entlasten und möchten, dass sich alle wohl- und angenommen fühlen. Solche Ziele werden in der Psychologie als Annäherungsziele bezeichnet. Dabei geht es People Pleasern nicht darum, sich einzuschmeicheln oder gar einzuschleimen. Es liegt in ihrer Natur, andere empathisch im Blick zu behalten.

    Die für People Pleasing dominierende Logik ist eine andere: das Vermeiden von unangenehmen Gefühlen und Gedanken, die aufkommen, wenn sie es anderen nicht recht machen würden. Denk an verschiedene Situationen aus deinem Alltag und frag dich:

  • Was würde passieren, wenn ich es den anderen in diesen Situationen nicht recht mache?
  • Was würde passieren, wenn ich etwas sage, das den anderen nicht passt?
  • People Pleaser spüren vermutlich schon bei dem Gedanken daran körperliches Unbehagen. Während Annäherungsziele dazu dienen, die Grundbedürfnisse zu befriedigen, dienen Vermeidungsziele dazu, die Grundbedürfnisse vor Bedrohung, Verletzung oder Frustration zu schützen. Wer sich abgrenzt und Nein sagt, eine kritische Meinung äußert oder tut, was ein Dritter nicht will, riskiert Konflikte und damit den Verlust der Zugehörigkeit. So lässt sich erklären, dass People Pleaser immer wieder Dinge tun, die eigentlich nicht zu ihren Bedürfnissen passen.

    Leider endet die Leseprobe an dieser Stelle. Das Buch »Pleasing People« bietet den Rest des Kapitels und mehr.

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