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Lexikon der Kartographie und Geomatik: kartographieren

kartographieren, E mapping, verschiedentlich gebrauchter Begriff für die graphische Abbildung von optischen, akustischen, taktilen, olfaktorischen sowie gustativen Merkmalen der Landschaft auf der Grundlage von Beobachtungen oder Erkundungen in der Umwelt. Ziel dabei ist, diese Merkmale visuell zugänglich zu machen, um mit ihrer Hilfe natürliche Vorstellungen von dem betreffenden Raum zu erzeugen (vgl. Raumvorstellung) sowie mögliche Handlungen im Raum durchführen zu können. Im deutschsprachigen Raum wird der Begriff nur noch selten auch für die Tätigkeit des Entwerfens von thematischen Karten (vgl. Kartenentwurf) verwendet. Das Kartographieren kann unmittelbar im Gelände oder mit Hilfe von optischen Geräten, wie Teleskopen, erfolgen. Gegenstand des Kartographierens sind unbekannte und/oder unerschlossene Gebiete, spezielle Sichten der wahrgenommenen Landschaft oder aber fremde Welten, wie diese anderer Planeten.
Im Unterschied zur Kartierung, aber entsprechend der allgemeinsprachlichen Bedeutung des englischen "mapping", muss Kartographieren in Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Ziel der frühen Geographie verstanden werden: noch nicht oder erst wenig bereiste Ländereien (Raum) durch die graphische "Aufnahme" sichtbarer Erscheinungen visuell-gedanklich für die weitere Erforschung allgemein verfügbar zu machen. So hielt Alexander von Humboldt die Erkundungsergebnisse seiner Mexikoreise neben verbalen Beschreibungen im sogenannten "Mexico-Werk" anschaulich ("figürlich") beispielsweise durch kartographische Reliefdarstellungen im dazugehörigen Atlas fest, die er als "Naturgemälde" bezeichnete und die für ihn optisch unverzichtbare Teile einer "geographischen Einleitung" in das zu beschreibende Land bildeten.
In der Literatur als Kunstgattung sowie in der sie reflektierenden Literaturwissenschaft wird mit dem Begriff Kartographieren häufig die Aufnahme von komplexen Sinneseindrücken des Raumes verbunden, wie etwa seelischen Landschaftsbildern oder utopischen Phantasien zu idealisierten Lebensräumen. So verfasste der französische Romancier Emil Zola im 19. Jh. die Entwürfe für seine naturalistischen Romane, wie "Le ventre de Paris", wesentlich auf der Grundlage von eigens angefertigten fiktiven "kartographischen Stadtlandschaften", die in die vollendeten Texte zwar nicht aufgenommen sind, aber gemeinsam mit verbalen Raummodellen den Rahmen für narrative Handlungsstrukturen bilden und dadurch beim Leser eine für das Gespür des Erzählten förderliche Stimmung erzeugen. J.W. von Goethe stellte mit seinem Erziehungsroman "Pädagogische Provinz" die Abbildung von Merkmalen und Eigenschaften des Siedlungsraumes in den Zusammenhang einer idealen (raumbezogenen) Bildung und Sozialisation. A. Huxleys "Brave New World" und G. Orwells "Nineteen-Eighty-Four" nehmen dagegen Bezug auf Raumempfindungen, wie "magische Anziehung" oder "Zukunftsangst", die nicht zu "kartographieren" seien und deshalb in den Kontext phantastischer Erzählungen gestellt werden.
In Zusammenhang mit der astronomischen Erforschung des Universums, vor allem durch die teleskopische Erkundung des Mars im 19. Jh., kommt dem Begriff des Kartographierens die Bedeutung der Abbildung von gänzlich unbekannten, mit terrestrischen Strukturen nicht vergleichbaren, optischen Raumphänomenen zu. So entdeckt G.V. Schiaparelli den Mars als "faszinierende visuelle Konfiguration", die er durch eine entsprechend "neuartige Graphik" anschaulich und befremdlich zugleich abbildet und damit den Begriff einer "impressionistischen Kartographie des Mars" im Sinne eines eindrucksstarken Abbildes des unbekannten Planeten prägt.
Für die Untersuchung des kognitiven Kartierens im Rahmen der Wahrnehmungsgeographie und im Zusammenhang mit aktuellen Forschungen zur Repräsentation und Verarbeitung räumlichen Wissens (Raumkognition) hat die Bedeutung des Kartographierens die Funktion der graphischen Abbildung gedanklich repräsentierten Raumwissens ("mental map"). So werden beispielsweise kindliche Phantasien zum unmittelbaren Lebensumfeld im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Planung des sinnlich wahrnehmbaren Raumes untersucht. Generelles Ziel dabei ist die Externalisierung individueller Vorstellungen des Raumes und deren Überprüfung, beispielsweise zur Entwicklung der Didaktik der Geographie (kartographische Didaktik), zur Bewertung kulturlandschaftsrelevanter Planungen, zur Stärkung der menschlichen Identifikation mit dem Raum (Umweltwahrnehmung) bis hin zum Verständnis der Orientierung und Navigation im natürlichen und virtuellen Raum (virtual reality) oder der Entwicklung von Instrumenten zur räumlichen Navigation (vgl. Fahrzeugnavigation).

PTZ

Literatur: [1] BECK, H. (Hrsg.) (1991): Alexander von Humboldt. Studienausgabe, Darmstadt. [2] BRÄUNINGER, T. & BOLLMANN, J. (1995): Umweltbericht Sachsengraben. Beiträge zur kartographischen Informationsverarbeitung, Bd. 9, Trier. [3] FREITAG, U. (1997): Kognitives Kartieren in der persönlichen und geographischen Umwelt. In: Albertz, J. (Hrsg.): Wahrnehmung und Wirklichkeit – Wie wir unsere Umwelt sehen, erkennen und gestalten. Schriftenreihe der Freien Akademie, Bd. 17, Berlin, 131-170. [4] JACOB, Chr. (1992): L'empire des cartes. Paris. [5] LOTMAN, J.M. (1972): Die Struktur literarischer Texte. München. [6] SPERLING, W. (1994): Kindliche Phantasielandkarten. In: Trierer Beiträge aus Forschung und Lehre an der Universität Trier, Sonderheft 7, 45-60.

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