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Physik: Kosmische Strahlung höchster Energie

Die irdische Lufthülle wird mit Atomkernen kosmischen Ursprungs bombardiert, von denen manche kaum langsamer als das Licht durch das Universum gerast sind. Mit Computermodellen sowie mit Weltraum-Observatorien, Ballonsonden und großflächigen Detektor-Anordnungen am Erdboden sucht man das Geheimnis ihres Ursprungs und der sie beschleunigenden Prozesse zu ergründen.

Ungefähr jede Sekunde dringt ein subatomares Teilchen mit der Wucht eines kraftvoll geworfenen Steins in die äußersten Schichten unserer Atmosphäre ein. Demnach muß es irgendwo im Weltraum Kräfte geben, die zum Beispiel Protonen (den einfach positiv geladenen Wasserstoff-Kernen) hundertmillionenmal so viel Energie verleihen wie die größten Beschleuniger zur Erforschung des Mikrokosmos. Aber wo? Und wie?

Diese Fragen beschäftigen die Astrophysiker seit der Entdeckung des Phänomens im Jahre 1912: Als der Österreicher Victor Franz Hess (1883 bis 1964) sich mit einer Ionisationskammer von einem Ballon bis in fünf Kilometer Höhe tragen ließ und das Gerät zunehmend reagierte, schloß er, man müsse wohl "Zuflucht zu einer neuen Hypothese" nehmen – "entweder die Existenz unbekannter Materie in großer Höhe beschwören oder eine durchdringende Strahlung außerirdischer Herkunft annehmen"; dafür erhielt er 1936 den Nobelpreis. Unabhängig von Hess machte dann 1913 der in Berlin tätige Werner Kolhörster entsprechende Beobachtungen und wies den Korpuskularcharakter des energiereichen Mediums nach. Gleichwohl hat sich die Bezeichnung kosmische Strahlung erhalten. Inzwischen weiß man, daß es sich bei den Teilchen vorwiegend um Protonen handelt.

Im interstellaren Medium finden sich Atomkerne sämtlicher Elemente des Periodensystems, die sich unter dem Einfluß elektromagnetischer Felder bewegen. Ohne die abschirmende Wirkung der Atmosphäre wären sie und erst recht die ultrarasanten Partikel für das Leben auf der Erde ein ernstes Risiko; aber auch so sind schon Gebirgsbewohner oder Flugreisende einer Folgewirkung des Beschusses unserer Lufthülle – einer meßbar erhöhten Strahlendosis – ausgesetzt.

Besonders bemerkenswert ist, daß man für das Energiespektrum der kosmischen Strahlung (auch Höhenstrahlung genannt) noch keine natürliche Obergrenze entdeckt hat. Die meisten bekannten Quellen elektrisch geladener Teilchen im Weltraum – beispielsweise die Sonne mit ihrem Sonnenwind – beschleunigen einfach keine Teilchen über eine gewisse Geschwindigkeit hinaus (Spektrum der Wissenschaft, Juni 1995, Seite 50). Hingegen treten kosmische Strahlen, wenn auch in abnehmender Häufigkeit, noch bei den höchsten überhaupt meßbaren Energien auf. Die bislang gesammelten Daten enden eher zufällig bei der 300milliardenfachen Energie der Protonen-Ruhemasse, denn derzeit gibt es keinen Detektor, der groß genug wäre, die vermutlich sehr geringe Anzahl noch schneller einfallender Teilchen zu erfassen.

Dennoch hat man in mehrjährigen Abständen Anzeichen für extrem hochenergetische kosmische Partikel gefunden: Beim Eintritt in die Erdatmosphäre erzeugen sie durch Kollision mit Atomkernen der Luftmoleküle unzählige – leichter nachweisbare – Sekundärteilchen und dazu elektromagnetische Strahlung, darunter auch sichtbares Licht (Bild 1). So registrierte ein darauf spezialisiertes Observatorium in der Wüste des US-Bundesstaats Utah am 15. Oktober 1991 einen solchen Schauer, der von einem Partikel mit einer Energie von 50 Joule (3×1020 Elektronenvolt oder kurz eV) stammen mußte. Zwar nimmt der kosmische Teilchenfluß mit wachsender Energie generell ab, aber bei Annäherung an 1016 eV in etwas geringerem Maße; daraus läßt sich schließen, daß die schnellsten Partikel anderen Ursprungs sind als die langsameren (Bild 2).

Im Jahre 1960 mutmaßte Bernard Peters vom Tata-Institut in Bombay (Indien), kosmische Strahlung niedrigerer Energie werde vorwiegend im Milchstraßensystem erzeugt, während die energiereichere aus weiter entfernten Quellen stamme. Denn ein Proton von mehr als 1019 eV würde durch die in einer Galaxie normalerweise herrschenden Magnetfelder kaum abgelenkt und müßte sich darum fast geradlinig bewegen; stammten solche Teilchen aus unserer Galaxis, würden aus verschiedenen Richtungen unterschiedlich viele erdwärts rasen, denn die Milchstraße ist keineswegs symmetrisch um uns herum angeordnet. Tatsächlich ist die Verteilung ihrer Einschläge – wie jene der energieärmeren und darum von galaktischen Magnetfeldern breit gestreuten Partikel – praktisch isotrop.

Derlei unsichere Schlußfolgerungen zeigen, wie wenig man über den Ursprung dieser Strahlung wirklich weiß. Die Astrophysiker haben nur mehr oder weniger plausible Modelle. Ein Grund dafür mag der fast unvorstellbare Unterschied zwischen den Bedingungen auf der Erde und denen in kosmischen Zonen sein, wo Materie so vehement beschleunigt wird.

Der interstellare Raum enthält lediglich etwa ein Atom pro Kubikzentimeter – viel weniger als das bestmögliche technisch herstellbare Vakuum. Zudem ist er von ausgedehnten elektromagnetischen Feldern erfüllt, die in enger Wechselwirkung mit geladenen Teilchen stehen; deren Anzahl ist noch viel geringer als die der neutralen Atome. Trotzdem geht es in diesen scheinbar leeren Weiten keineswegs ruhig zu: In einem Medium solch geringer Dichte wirken die elektromagnetischen Kräfte ungehemmt über immens größere Entfernungen und Zeitspannen als in der festen Materie, den Flüssigkeiten und den Gasen unserer Umwelt. Darum ist der galaktische Raum von einem energiereichen und turbulenten Gemisch aus teilweise ionisierten Atomen und Molekülen erfüllt.

Wegen der astronomischen Distanzen läßt sich diese heftige Aktivität auch in den Jahren, die ein Mensch auf ihre Beobachtung zu verwenden vermag, nur schwer nachweisen. Andererseits können sich schon mäßige Kräfte eben dieser enormen Entfernungen wegen eindrucksvoll auswirken: Ein Teilchen flitzt in wenigen Millionstelsekunden durch einen irdischen Beschleuniger, aber in dessen kosmischem Gegenstück könnte es Jahre oder gar Jahrtausende auf immer höheres Tempo gebracht werden. Indes sind die Zeitmaßstäbe bei den extremen Geschwindigkeiten hochenergetischer Partikel aufgrund relativistischer Effekte verzerrt; könnten wir ein solches Teilchen 10000 Jahre lang beobachten, würde dabei in seinem eigenen Bezugssystem nur eine einzige Sekunde vergehen.


Supernova-Pumpen

Man vermutet seit langem, daß der größte Teil der kosmischen Strahlung – nämlich diejenige unterhalb von 1016 eV – durch Supernovae entsteht. Denn die für die beobachtete Menge von kosmischen Strahlungspartikeln in unserer Galaxis erforderliche Energie ist nur unwesentlich geringer als die durchschnittliche kinetische Energie, welche die rund drei Supernova-Explosionen pro Jahrhundert dem galaktischen Medium zuführen. Es gibt im Milchstraßensystem kaum eine andere derart leistungsstarke Quelle (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1989, Seite 86).

Wenn ein massereicher Stern kollabiert, weil in seinem Innern der Kernbrennstoff zur Neige geht und dadurch die Balance zwischen dem durch Kernfusionen erzeugten Innendruck und der eigenen Gravitationsanziehung schlagartig zusammenbricht, können seine Außenregionen mit Geschwindigkeiten bis zu 10000 Kilometer pro Sekunde und mehr fortgeschleudert werden. Ähnlich viel Energie wird frei, wenn ein Weißer Zwerg in einer thermonuklearen Detonation zerrissen wird. Bei beiden Supernova-Arten breitet sich die überschallschnell ausgeworfene Materie unter Ausbildung einer heftigen Stoßwelle rundum in das umgebende Medium aus. Vermutlich beschleunigt diese Stoßfront einzelne Atomkerne so sehr, daß sie als kosmische Strahlungspartikel davonstieben. Da sie Ladungen tragen, beschreiben sie auf dem Weg durch die interstellaren Magnetfelder komplizierte Bahnen; darum läßt sich aus den auf der Erde beobachteten Einfallsrichtungen nicht mehr auf den ursprünglichen Herkunftsort schließen (Spektrum der Wissenschaft, Juni 1991, Seite 102).

Stärkere Indizien für die Wirkung von Supernovae als kosmischen Teilchenbeschleunigern liefert die von manchen Supernova-Überresten ausgehende Synchrotronstrahlung. Sie ist charakteristisch für die Elektronen, die von den starken Magnetfeldern eines irdischen Beschleunigers (eines Synchrotrons) auf eine Kreisbahn gezwungen werden und dabei Energie – zumeist im Röntgenbereich – abgeben; ihr Auftreten in manchen Supernova-Überresten zeigt besonders hohe Energien an. (In irdischen Geräten begrenzt diese Strahlung die erreichbare Teilchenenergie, denn mit zunehmender Geschwindigkeit steigt die Emission, bis sie schließlich der dem Teilchen neu zugeführten Energie gleichkommt.)

Kürzlich machte der japanische Röntgensatellit "Asca" Aufnahmen von der Hülle der im Jahre 1006 aufgeschienenen Supernova. Im Gegensatz zur Strahlung aus dem Innern der Sternüberreste weist die Röntgenstrahlung der Hülle typische Merkmale von Synchrotronstrahlung auf. Daraus ist zu schließen, daß dort Elektronen auf bis zu 1014 eV beschleunigt werden.

Des weiteren hat man mit dem EGRET-Detektor an Bord des "Compton"-Weltraumobservatoriums Gammastrahlen-Punktquellen untersucht, die offenbar von Supernova-Überresten stammen (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1994, Seite 64). Die beobachteten Intensitäten und Spektren (bis zu einer Milliarde eV) lassen auf den Zerfall neutraler Pionen als Ursache schließen. Diese Elementarteilchen könnten entstehen, wenn die aus der Hülle des explodierenden Sterns stammende kosmische Strahlung mit umgebendem interstellarem Gas kollidiert. Interessanterweise hat man jedoch am Whipple-Observatorium auf dem Mount Hopkins in Arizona vergeblich nach Gammastrahlung viel höherer Energie gesucht, die von denselben Überresten ausgehen müßte, falls dort Teilchen auf 1014 eV oder mehr beschleunigt würden.

Der Zusammenhang zwischen Supernovae und hochenergetischer kosmischer Strahlung läßt sich auch an deren Partikel-Mix untersuchen. Weil der Bahnradius eines geladenen Teilchens in einem Magnetfeld proportional zu dessen Impuls pro Ladungseinheit ist, haben schwerere Atomkerne bei gleichem Bahnradius höhere Energie. Jeder Prozeß, der den Bahnradius einschränkt (etwa ein Beschleunigungsgebiet begrenzter Ausdehnung), reichert somit solche Kerne im Übermaß an.

Letztlich wollen wir aber nicht nur mehr und mehr doch recht vage und indirekte Erkenntnisse gewinnen: Wir möchten speziellen Supernova-Typen charakteristische Elementverteilungen in der von ihnen ausgehenden Partikelstrahlung zuordnen. Beispielsweise beschleunigt die Detonation eines Weißen Zwergs sämtliche Atomkerne, die im örtlichen interstellaren Medium vorkommen; hingegen beschleunigt die Explosion eines massereichen Sterns vor allem den umgebenden Sternenwind, dessen Zusammensetzung für die der äußeren Schichten dieses Sterns in früheren Entwicklungsstadien typisch ist. In einigen Fällen kann der Wind einen erhöhten Anteil an Helium-, Kohlenstoff- oder noch schwereren Atomkernen enthalten.

Solche Steckbriefe gehen allerdings fast völlig verloren, wenn die hochenergetische kosmische Strahlung mit Atomen und Molekülen der Erdatmosphäre kollidiert und Schauer von Sekundärpartikeln erzeugt. Darum läßt sich die nukleare Zusammensetzung nur zuverlässig bestimmen, wenn die Messungen oberhalb der dichteren Luftschichten durchgeführt werden. Doch um 100 kosmische Partikel mit Energien von rund 1014 eV zu erfassen, müßte ein zehn Quadratmeter großer Detektor drei Jahre lang die Erde umkreisen; die gegenwärtig erreichbaren Messungen entsprechen aber eher einem Quadratmeter Detektorfläche und drei Tagen Beobachtungsdauer.

Dieses Problem sucht man mit raffinierten Experimenten zu umgehen. Zum Beispiel vermag die US-Luft- und Raumfahrtbehörde NASA mittels Höhenballons große Nutzlasten (rund drei Tonnen) viele Tage lang in die obere Atmosphäre zu bringen. Das kostet nur einen winzigen Bruchteil entsprechender Detektoren an Bord von Satelliten.

Die erfolgreichsten Missionen dieser Art haben in der Antarktis stattgefunden, wo die Winde der oberen Atmosphäre ziemlich im Kreis wehen. So wandert eine von der amerikanischen Forschungsstation am McMurdo-Sund gestartete Nutzlast mit fast konstantem Radius um den Südpol und kehrt schließlich in die Nähe des Ausgangspunkts zurück. Einige Ballons haben den Kontinent zehn Tage lang umkreist (Bild 4).

Einer von uns (Swordy) arbeitet nun mit Dietrich Müller und Peter Meyer von der Universität Chicago (Illinois) an einem Zehn-Quadratmeter-Detektor, der bei einem solchen Flug schwere kosmische Partikel bis zu 1015 eV zu messen vermag. Außerdem will man durch größere Bahnradien künftig die Meßzeit sogar auf rund 100 Tage ausdehnen.


Bodenmessungen an Luftschauern

Die Untersuchung kosmischer Strahlung noch höherer Energie – erzeugt von bisher unbekannten Quellen – erfordert riesige Detektorsysteme am Erdboden. Dabei umgeht man das Problem der geringen Anzahl höchstenergetischer kosmischer Partikel, indem die Geräte eine weite effektive Fläche monate- oder jahrelang überwachen.

Freilich muß man die Art des kosmischen Geschosses erst aus sogenannten Luftschauern erschließen – Kaskaden von Kollisionsfragmenten, darunter Elektronen, Myonen, Pionen, Neutronen und Protonen, von denen wiederum viele mit Atomkernen der Luft zusammenstoßen und je nach Energie elektromagnetische Strahlung vom Ultraviolett- bis zum Gamma-Bereich des Spektrums freisetzen. Solche indirekten Verfahren vermögen nicht die Ordnungszahl jedes einzelnen primären Atomkerns zu liefern, sondern nur statistische Informationen über seine ungefähre Zusammensetzung.

Das Bündel aus vielen Millionen Sekundärteilchen, die ein einzelnes kosmisches Partikel auslöst, trifft den Erdboden über Tausende von Quadratmetern verstreut. So große Flächen lückenlos zu beobachten wäre sehr aufwendig; deshalb sucht man normalerweise stichprobenartig Segmente der Luftschauer mit einigen hundert Detektoren an separaten Orten zu erfassen.

Die modernsten dieser Geräte vermögen jedem Schauer äußerst komplexe Informationen zu entnehmen. So mißt das CASA-MIA-DICE-Experiment in Utah, an dem zwei von uns (Cronin und Swordy) beteiligt sind, die Verteilung der Elektronen und Myonen am Boden. Außerdem registriert es die in verschiedenen Höhen durch die Schauerpartikel erzeugte Tscherenkow-Strahlung (den sichtbaren Effekt einer optischen Stoßwelle, die geladene Teilchen verursachen, wenn ihre Geschwindigkeit die des Lichts in dem betreffenden Medium übersteigt). Anhand dieser Daten können wir die Form der Schauer zuverlässiger rekonstruieren und somit Art und Energie des jeweils auslösenden kosmischen Partikels besser einschätzen.

Der dritte von uns (Gaisser) arbeitet mit einer Geräteanordnung, welche die am Südpolgebiet auftreffenden Kaskadenschauer mißt. Dieses Experiment wird zusammen mit AMANDA (dem Antartic muon and neutrino detector array) durchgeführt, das energiereiche Myonen aus denselben Schauern erfaßt, indem es die von ihnen tief im Inland-eis erzeugte Tscherenkow-Strahlung aufzeichnet. Das Hauptziel von AMANDA ist allerdings der Nachweis von Neutrinos aus kosmischen Beschleunigern, ungeladenen Elementarteilchen, die kaum mit gewöhnlicher Materie wechselwirken, aber gelegentlich nach dem Durchgang durch die Erde eben doch und dann aufwärts gerichtete Schauer erzeugen.

Zudem werden immer detailliertere Computermodelle für die Entstehung von Luftschauern entwickelt. Diese Simulationen helfen, die Möglichkeiten und Grenzen von Bodenmessungen besser zu verstehen. Und schließlich sucht man den direkten Nachweis der kosmischen Strahlung auf höhere Energien auszudehnen, damit Detektoren am Grund und an Ballons dieselben Arten von Partikeln erfassen und die Bodendaten sich exakter eichen lassen.


Exotische Quellen

Kosmische Partikel mit Energien über 1020 eV treffen die Lufthülle nur rund einmal pro Quadratkilometer und Jahr. Darum braucht man für ihre Erforschung einen Luftschauer-Detektor von wahrhaft gigantischen Ausmaßen. Außer dem 1991 in Utah beobachteten Ereignis sind derart extrem energiereiche Teilchen auch von anderen Gruppen in den USA sowie in Akeno (Japan), Haverah Park (Großbritannien) und Jakutsk (Rußland) nachgewiesen worden.

Jeder, der sich damit befaßt, gerät freilich in ein Dilemma. Einerseits stammen diese schnellsten Materiesplitter wahrscheinlich von Raumbereichen außerhalb unseres Milchstraßensystems, da kein bekannter Beschleunigungsmechanismus sie erzeugen könnte und da sie aus allen Richtungen kommen. (Das galaktische Magnetfeld wäre zu schwach, ihre Bahnen zu krümmen.) Andererseits können ihre Quellen nicht mehr als 30 Millionen Lichtjahre entfernt sein (Durchmesser der Galaxis: nahezu 100000 Lichtjahre), denn sonst müßten die Partikel durch Wechselwirkung mit dem Mikrowellenhintergrund – der Reststrahlung des Urknalls – schon wieder stark abgebremst sein. Unter den relativistischen Bedingungen, die für diese exotischen kosmischen Partikel gelten, bringt sie bereits der Zusammenstoß mit einem einzelnen Hintergrundstrahlungsquant um einen Großteil ihrer Energie.

Wären ihre Quellen gleichmäßig im All verteilt, müßte die Wechselwirkung mit dem Mikrowellenhintergrund einen steilen Abfall der Teilchenanzahl bei Energien über 5×1019 eV verursachen; doch das ist nicht der Fall. Bislang hat man zwar nicht genug Ereignisse jenseits dieser hypothetischen Schwelle beobachtet, um mit Bestimmtheit sagen zu können, was dort vor sich geht, aber schon die kargen Daten geben Anlaß zu interessanten Spekulationen. Weil die schwachen intergalaktischen Magnetfelder diese Partikel kaum ablenken, würde man durch Messung der Bewegungsrichtung genügend vieler Teilchen eindeutige Hinweise auf ihre Ursprungsorte gewinnen.

Drei neuere Hypothesen über die Art der Quellen illustrieren die Vielfalt möglicher Erklärungen: Akkretionsscheiben um Schwarze Löcher in Galaxienzentren, Gammastrahlungsausbrüche (gamma-ray bursts) und topologische Defekte im Raumzeit-Gefüge des Universums.

Man vermutet, daß Schwarze Löcher mit einer Milliarde oder mehr Sonnenmassen, die im Zentrum aktiver Galaxien Materie aufsaugen, die Ursache für sogenannte relativistische Jets sind – Materieströme, die fast mit Lichtgeschwindigkeit weit in den intergalaktischen Raum hinausschießen; sie wurden mit Radioteleskopen nachgewiesen. Wie Peter L. Biermann vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn annimmt, dürften die besonders strahlungsaktiven heißen Flecken darin eigentlich Stoßwellen sein, von denen subatomare Teilchen auf extrem hohe Energien beschleunigt werden. Es gibt einige Indizien dafür, daß die Einfallsrichtungen der höchstenergetischen kosmischen Partikel mehr oder weniger der Verteilung der Radiogalaxien am Himmel entsprechen.

Die zweite Hypothese beruht auf der Annahme, Gammastrahlungsausbrüche würden von relativistischen Explosionen infolge der Vereinigung von Neutronensternen erzeugt. Mario Vietri vom Astronomischen Observatorium in Rom und Eli Waxman von der Universität Princeton (New Jersey) haben unabhängig voneinander darauf hingewiesen, daß die bei solchen Kataklysmen freigesetzte Energie einigermaßen derjenigen entspricht, die für den beobachteten Fluß höchstenergetischer kosmischer Strahlung erforderlich ist. Demnach könnten die bei diesen Explosionen entstehenden extrem schnellen Stoßwellen als kosmische Beschleuniger wirken.

Besonders interessant ist – dritte Hypothese – die Spekulation, wonach die ultrarasanten Teilchen beim Zerfall von magnetischen Monopolen, Strings, Grenzflächen (domain walls) oder anderen topologischen Defekten entstünden. Diese hypothetischen Objekte sollen Überbleibsel einer symmetrischeren Anfangsphase des Alls sein, in der Gravitation, Elektromagnetismus sowie schwache und starke Kernkraft als eine Urkraft vereinigt waren; darin wären gleichsam infinitesimale Reste des Universums im Urzustand konserviert.

Wenn derartige Reliktnischen in der Raumzeit kollabieren und die Symmetrie der Kräfte in ihnen verlorengeht, wird dem gegenwärtigen theoretischen Verständnis zufolge die darin gespeicherte Energie in Form extrem massereicher Partikel frei, die sofort zerfallen und Teilchenjets bilden; deren Energien sollten bis zu hunderttausendmal größer sein als die der uns bekannten höchstenergetischen kosmischen Strahlung. Mit ihr würden wir demnach letztlich nur die vergleichsweise kümmerlichen Endprodukte urgewaltiger kosmologischer Teilchenkaskaden beobachten.

Um mehr über die tatsächlichen Quellen zu erfahren, will man nun so viele mächtige Luftschauer analysieren, daß die primären Teilchen sich exakt außergalaktischen Objekten zuordnen lassen. Das AGASA-System in Japan hat derzeit eine effektive Fläche von 200 Quadratkilometern, und der neue hochauflösende Fliegenaugen-Detektor (Fly´s Eye HiRes experiment) in Utah wird sogar effektiv rund 1000 Quadratkilometer abdecken (Bild 3); er besteht, ähnlich dem Facettenauge eines Insekts, aus einer Vielzahl gerichteter Lichtempfänger, die den Himmel auf schwache Leuchterscheinungen bei Teilchenkollisionen hin überwachen. Dennoch vermögen beide Geräteensembles nur wenige Ultrahochenergie-Ereignisse pro Jahr zu registrieren.

In jüngster Zeit haben sich Cronin und Alan A. Watson von der Universität Leeds (Großbritannien) für ein noch größeres Projekt verwandt, benannt nach dem französischen Physiker Pierre Victor Auger (1899 bis 1993), der als erster korrelierte Teilchenschauer anhand der schließlich erzeugten niederenergetischen Elektronen untersucht hat. Der Plan sieht vor, Detektoren auf Flächen von 9000 Quadratkilometern anzuordnen, um Hunderte von Hochenergie-Ereignissen pro Jahr messen zu können. Ein Detektorfeld soll aus vielen Stationen bestehen, die ein Netz mit einer Maschenweite von 1,5 Kilometern bilden; ein einziges Ereignis würde Dutzende von Stationen aktivieren.

Ein vorbereitendes Expertentreffen ergab 1995, daß ein solches System mit modernster, aber schon marktgängiger Technik – unter anderem mit Solarzellen, Mobiltelephonen und Empfangsgeräten für das Globale Positionierungssystem – recht einfach zu bauen wäre. Bei einer effektiven Größe von rund 3000 Quadratkilometern (das Saarland umfaßt 2570) würde es etwa 75 Millionen Mark kosten. Um den gesamten Himmel zu erfassen, müßten freilich zwei solche Detektoren installiert werden, je einer auf der Nord- und der Südhalbkugel.

Während sich die Forscher mit Bau und Betrieb solch gigantischer Detektornetze beschäftigen, bleibt allerdings eine grundlegende Frage offen: Vermag die Natur Partikelstrahlen noch höherer Energie zu erzeugen – oder beginnen wir bereits mit der Untersuchung der Teilchen, die das Universum am schnellsten durcheilen?

Literaturhinweise

- Introduction to Ultrahigh Energy Cosmic Ray Physics. Von Pierre Sokolsky. Addison-Wesley, 1988.

– Cosmic Rays and Particle Physics. Von Thomas K. Gaisser. Cambridge University Press, 1990.

– High Energy Astrophysics. Band 1, zweite Auflage. Von Malcolm S. Longair. Cambridge University Press, 1992.

– Cosmic Ray Observations below 1014 eV. Von Simon Swordy in: Proceedings of the XXIII International Cosmic Ray Conference. Herausgegeben von D.A. Leahy, R.B. Hicks und D. Venkatesan. World Scientific, 1994.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1997, Seite 44
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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