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Warum beteiligt sich Deutschland an der Internationalen Raumstation?



In den nächsten Jahren errichten die amerikanische Luft- und Raumfahrtbehörde NASA gemeinsam mit ihren Kooperationspartnern Rußland, Japan, Kanada und Europa die Internationale Raumstation ISS (International Space Station) in einer Erdumlaufbahn. Die in der europäischen Raumfahrtorganisation ESA zusammengeschlossenen Länder steuern im wesentlichen ein Laborelement namens Columbus bei, in dem Astronauten Forschungs- und Erprobungsaufgaben durchführen können, sowie ein Versorgungselement, über das sich die Station mit Geräten, Material und Treibstoff beschicken läßt. An den Gesamtkosten beteiligt sich die ESA mit insgesamt etwa 6 Prozent; davon wiederum hat Deutschland mit etwa 40 Prozent den größten Anteil übernommen. Was sind die Motive und Ziele, an diesem bislang größten Projekt der bemannten Raumfahrt in diesem Umfang mitzuwirken?

Nach Abschluß des Apollo-Mondlandeprogramms und der Inbetriebnahme der Raumfähre Space Shuttle beschlossen die Vereinigten Staaten Anfang der achtziger Jahre, eine Raumstation zu entwickeln. Der US-Präsident lud Japan, Kanada und die ESA ein, sich an diesem Projekt zu beteiligen. Die europäischen Länder – und in besonderem Maße Deutschland – hatten bereits durch den Bau des vom Space Shuttle getragenen Weltraumlabors Spacelab und die damit unternommenen Missionen Erfahrungen in der bemannten Raumfahrt gesammelt. Im Jahre 1987 vereinbarten die europäischen Forschungsminister eine Beteiligung im Rahmen des Programms Columbus. In der Folgezeit wurden die Konzepte der Raumstation und des europäischen Beitrags mehrfach wesentlich modifiziert. Die wichtigste Änderung war zweifellos die Einbeziehung Rußlands nach dem Ende des Kalten Krieges: Man konnte von den Erfahrungen und Elementen des russischen Raumfahrtprogramms profitieren, und der Zugang zu der noch in Betrieb befindlichen Raumstation Mir wirkte sich auf vielfältige Weise positiv auf die westlichen Arbeiten aus (siehe "Sechs Monate an Bord der Mir", Spektrum der Wissenschaft, Juli 1998, Seite 32).

In Deutschland haben der Bau des Spacelab, die verschiedenen Missionen mit dem Space Shuttle und der Mir sowie die dabei durchgeführten wissenschaftlichen Experimente eine umfassende Kompetenz für eine effektive Beteiligung an der Internationalen Raumstation geschaffen. Mit den Astronauten und Kosmonauten Sigmund Jähn, Ulf Merbold, Reinhard Furrer, Ernst Messerschmid, Klaus-Dietrich Flade, Hans Schlegel, Ulrich Walter, Thomas Reiter und Reinhold Ewald haben bisher neun deutsche Wissenschaftler und Ingenieure im Weltraum zur Entwicklung der bemannten Raumfahrt beigetragen.

Die Kosten der deutschen Beteiligung am Aufbau der Internationalen Raumstation betragen ungefähr 2,2 Milliarden Mark; das entspricht knapp einem Fünftel der staatlichen Raumfahrtausgaben in der achtjährigen Entwicklungs- und Aufbauphase. Für den Betrieb der Station wird die Bundesrepublik anteilig etwa 200 Millionen Mark pro Jahr – also weniger als ein Siebtel des derzeitigen jährlichen Raumfahrtbudgets – aufwenden. In diesen Ansätzen sind direkte Kosten für die an Bord auszuführenden Forschungs- und Erprobungsarbeiten nicht enthalten. Insgesamt gesehen gibt Deutschland deutlich mehr als alle anderen europäischen Staaten für die Internationale Raumstation aus. Allerdings fließen die genannten Mittel fast vollständig an deutsche Unternehmen. Da nun das staatliche Raumfahrtbudget – bezogen auf die Wirtschaftskraft – geringer ist als in den meisten vergleichbaren Ländern, mag manchem der relative Anteil der bemannten Raumfahrt daran besonders hoch erscheinen.

Einerseits ist somit festzuhalten, daß sich Europa – gemessen an dem vorhandenen wissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Potentialen – mit einem Anteil von nur 6 Prozent deutlich geringer an der Internationalen Raumstation beteiligt als die USA, aber auch als Rußland und Japan. Andererseits trägt Deutschland innerhalb der europäischen Beteiligung in so hohem Maße bei, daß andere Aktivitäten innerhalb des nationalen Raumfahrtprogramms eingeschränkt werden. Entgegen manchen öffentlich geäußerten Vermutungen gilt dies nicht für das europäische Programm zur Erforschung des Weltraums, für das die Beiträge durch die Konvention der ESA festliegen.

Die Beteiligung an der Internationalen Raumstation ist durch mehrere Motive begründet, die erst in Verbindung miteinander das deutsche Engagement rechtfertigen. Die Argumentation läßt sich in drei Gruppen zusammenfassen: internationale Kooperation, Beteiligung an der bemannten Raumfahrt sowie Nutzung der Raumstation für Forschung und technologische Erprobung.

Aufbau und Betrieb einer Raumstation in internationaler Zusammenarbeit sind ein bisher einzigartiges Projekt. Kooperation statt Konkurrenz oder gar Konfrontation in einem großen und komplexen technologischen Vorhaben, dem auch langfristig weltweit erhebliches öffentliches Interesse gelten wird, sind richtungweisend auch für andere Bereiche öffentlichen Engagements. Es wäre unvertretbar, wenn Europa hierbei abseits stehen würde. Das gilt in besonderem Maße, seitdem sich auch Rußland beteiligt und damit das Projekt zur Überwindung des Ost-West-Gegensatzes in einem Bereich beiträgt, der in der Vergangenheit durch strategische Überlegungen bestimmt wurde und in dem beide Seiten vergleichbare Kompetenz entwickelt haben.

Die Erschließung des Alls ist seit langem Vision der Menschheit. Nach den ersten Erfolgen der Raumfahrt in den vergangenen vier Jahrzehnten ist die Raumstation ISS nun ein weiterer Meilenstein zu ihrer Realisierung. Andere Fortschritte werden folgen – manchmal schneller, manchmal langsamer. Permanent betriebene Raumstationen im Erd-orbit und bemannte Stationen auf dem Mond und dem Mars scheinen sich in überschaubarer Zukunft verwirklichen zu lassen. Das Tempo dieser Entwicklung wird davon abhängen, welche Priorität die Politik der Raumfahrt gegenüber anderen öffentlichen Aufgaben zuordnet. Die Handlung einzelner Staaten wird dabei immer mit derjenigen anderer verknüpft sein. So standen Europa und Deutschland nicht vor der Entscheidung, ob eine internationale Raumstation gebaut werden soll oder nicht, sondern vor der Frage, ob sie sich daran beteiligen oder abseits bleiben. Wir hatten also die Alternative, entweder bisher erworbene Kompetenz zu verlieren oder sie gemeinsam mit den Partnern in der Welt weiterzuentwickeln. Deutschland hat sich trotz absehbarer Budgetprobleme für den zweiten Weg entschieden.

Die Beteiligung an der Internationalen Raumstation ist zudem ein weltweit sichtbarer Ausweis technischer und wissenschaftlicher Kompetenz und Kooperationsfähigkeit: Die Raumfahrt bietet einzigartige Möglichkeiten für wissenschaftliche Forschung, für wirtschaftliche Nutzung und für Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge. Hierzu zählen Beiträge zur Telekommunikation, Navigation, Beobachtung und Überwachung von Vorgängen auf der Erde, Erforschung des Weltraums und Untersuchung von Prozessen unter Schwerelosigkeit. Die bestehenden Forschungsmöglichkeiten durch unbemannte Satelliten und bemannte Missionen werden in wichtigen Gebieten durch die Internationale Raumstation erweitert und verbessert. Von besonderer Bedeutung sind dabei die permanente Verfügbarkeit von Astronauten, eine über viele Jahre dauernde Präsenz der Station im erdnahen Weltraum, deren Ausstattung mit umfangreichen technischen Ressourcen und vielfältigen Laboreinrichtungen sowie der regelmäßig mögliche Austausch von Geräten und Materialien zwischen Weltraum und Erde.

Diesen Potentialen stehen systembedingte Nachteile gegenüber. Durch Astronauten und technische Anlagen induzierte Beschleunigungen können Untersuchungen unter Schwerelosigkeit ebenso stören wie Beobachtungen mit exakt auszurichtenden Instrumenten. Des weiteren ist die Umlaufbahn der Station nicht für alle Beobachtungsaufgaben geeignet. Aber unbeschadet dieser Einschränkungen ist schon jetzt absehbar, daß die Raumstation intensiv genutzt werden kann und wird. Die zahlreichen und vielfältigen Vorschläge konzentrieren sich gegenwärtig auf Forschungsvorhaben, welche die Umgebungsbedingungen des Weltraums nutzen, sowie auf die Prüfung von Produkten und Verfahren, die in der Raumfahrt eingesetzt werden sollen. Letzteres kann aufwendige und häufig unzulängliche Erprobungen in terrestrischen Labors und Testanlagen ergänzen und zum Teil ersetzen. Hier zeichnen sich auch Perspektiven für kommerzielle Aktivitäten ab, deren Entwicklung unsere besondere Aufmerksamkeit gilt.

Große Bedeutung kommt der Regelung des Zugangs zur Raumstation zu. Die aussichtsreichsten Vorhaben sollen unseres Erachtens Vorrang genießen, und der Zugang muß schnell, unbürokratisch und effektiv sein.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1998, Seite 49
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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