Direkt zum Inhalt

Placebos: Die Heilkraft der Erwartung

Die Effekte von Scheinmedikamenten beruhen nicht auf Einbildung. Vielmehr lassen sie sich anhand der Hirnaktivität objektiv nachweisen – und gezielt beeinflussen.
Ein Kind bekommt vom Arzt ein Pflaster.

In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs ging Henry Beecher das Morphin aus. Der Chirurg in Diensten der US-Army war allerdings gerade dabei, einen schwer verwundeten Soldaten zu versorgen. Beecher befürchtete, eine Operation ohne den Schmerzblocker würde bei dem GI einen Kreislaufschock auslösen. Kurzerhand zog die assistierende Krankenschwester eine Spritze auf und verabreichte sie dem Patienten. Statt Morphin enthielt sie jedoch nur Kochsalzlösung. Was folgte, erstaunte Beecher zutiefst. Der Soldat beruhigte sich, ganz so, als hätte er eine Morphin-Injektion erhalten. Beecher operierte ihn und nähte die Wunde wieder zu. Währenddessen verspürte der Patient unglaublicherweise offenbar kaum Schmerzen. Nach Kriegsende nahm Beecher das Phänomen näher unter die Lupe und wurde so zu einem Pionier der Placeboforschung.

Inzwischen gehört es zum Standardwissen in der Medizin, dass schon die Erwartung einer Behandlung oft heilsame Wirkung hat. Um zu prüfen, ob ein Medikament wirklich tut, was es soll, vergleicht man es daher mit einem Scheinpräparat statt mit gar keiner Behandlung. "Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Wirkung von medizinischen Behandlungen geht auf Placeboeffekte zurück", sagt der Psychologe Winfried Rief von der Philipps-Universität in Marburg. "In klinischen Studien zeigen Placebogruppen teils 50 bis 60 Prozent der Wirkung, die in der Gruppe mit echter Behandlung auftritt." Dabei variiert der Placeboeffekt je nach Erkrankungsart und Behandlung jedoch stark. Kleinigkeiten ma­chen oft den Unterschied: Rote Tabletten sind effekti­ver als blaue, vier Pillen wirkungsvoller als zwei, und ein vermeintlich teures Placebo hilft besser als ein billiges Mittel ...

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Immun gegen Sucht

Was zeichnet Personen aus, die »immun« gegen Sucht sind und wie kann uns dieses Wissen bei Vorbeugung und Behandlung helfen? Antworten darauf in der aktuellen »Woche«. Außerdem: »Drei ist nicht immer einer zu viel« – was versprechen sich Menschen von Sex zu dritt?

Gehirn&Geist – Dopamin – Der missverstandene Botenstoff

Dopamin ist ein faszinierender und noch längst nicht vollständig verstandener Neurotransmitter. Was die Wissenschaft zu Dopaminsucht und Dopamin-Detox sagt und welche Rolle der Botenstoff wirklich im Gehirn spielt, lesen Sie in unserer Titelgeschichte. Weitere Themen: Im Interview gibt Sarah Pohl konkrete Hinweise für den konstruktiven Umgang mit Konfliktgesprächen. Dank elektrischer Reizung des Vagusnervs sollen sich verschiedenste Krankheiten von Depression bis hin zu krankhaftem Übergewicht kurieren lassen. Was sagen Experten dazu? Auch unser Gehirn hat ein Mikrobiom, das beim Denken helfen könnte, aber ebenso neurodegenerative Krankheiten auslösen kann. Das Internet und KI-Tools wie ChatGPT bieten uns enormes Wissen, aber verlernen wir dadurch, selbst zu denken und uns zu erinnern?

Spektrum - Die Woche – Der Wahnsinn der anderen

Die Psychiatrie schreibt in der Kolonialzeit ein dunkles Kapitel: Durch gefährliche Behandlungsmethoden und Therapien wurde die einheimische Bevölkerung kontrolliert und ihrer Selbst entfremdet. Was dort geschehen ist und mehr – etwa, ob Veganern Aminosäuren fehlen – erzählt »Spektrum - Die Woche«.

  • Quellen

Ashar, Y. K. et al.: Brain Mechanisms of the Placebo Effect: An Affective Appraisal Account. In: Annual Review of Clinical Psychology 13, S. 73-98, 2017

Eippert, F. et al.: Direct Evidence for Spinal Cord Involvement in Placebo Analgesia. In: Science 326, S. 404, 2009

Lidstone, S. C. et al.: Effects of Expectation on Placebo-Induced Dopamine Release in Parkinson Disease. In: Archives of General Psychiatry 67, S. 857-865, 2010

Mayberg, H. S. et al.: The Functional Neuroanatomy of the Placebo Effect. In: American Journal of Psychiatry 159, S. 728-737, 2002

Peciña, M. et al.: Association between Placebo-Activated Neural Systems and Antidepressant Responses: Neurochemistry of Placebo Effects in Major Depression. In: JAMA Psychiatry 30, S. 1-8, 2015

Wager, T. D., Atlas, L. Y.: The Neuroscience of Placebo Effects: Connecting Context, Learning, and Health. In: Nature Reviews Neuroscience 16, S. 403-418, 2015

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.