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ECMO: Atmen durch den letzten Strohhalm

Wenn alle Beatmungsversuche scheitern, ersetzt eine Box am Bett die kranke Lunge. »ECMO« bringt Sauerstoff in den Körper von Covid-19-Kranken, ist aber längst nicht für jeden geeignet.
Intensivbett mit ECMO-Gerät

Der Zustand des Patienten, der in die Notaufnahme der Lungenklinik Köln-Merheim eingeliefert wird, verschlechtert sich rapide. Schon seine Symptome, Fieber und Atemnot, hatten auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 hingedeutet, ein Rachenabstrich bestätigt den Verdacht. Der Patient hat Covid-19.

Zu diesem Zeitpunkt liegt er bereits auf der Intensivstation. Und das, obwohl er nicht einmal zu einer Covid-19-Risikogruppe zählt: noch keine 40 Jahre alt, schlank, ohne Vorerkrankungen. Die Mediziner betten ihn in Bauchlage, was vorteilhaft ist, weil das Herz mit den großen Gefäßen dicht unter dem Brustbein liegt. In Rückenlage drückt also das Gewicht des Organs und des enthaltenen Bluts von oben auf Teile der Lunge, dadurch fallen Lungenbläschen zusammen. »Die Lungenbläschen verkleben und stehen für den Gasaustausch nicht mehr zur Verfügung«, erklärt Christian Karagiannidis, Leiter der Beatmungsmedizin in der Lungenklinik Köln-Merheim und einer der behandelnden Ärzte des Mannes. »Wenn man den Patienten dagegen auf den Bauch dreht, hat er eine größere Gasaustauschfläche.« Zwar drückt dann Gewicht auf die vordere Lunge – jedoch ist ihr hinterer Teil frei, und dieser ist größer.

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In den ersten Tagen bekommt der Mann per Maske erst Luft mit 60-, dann 70-prozentigem Sauerstoffanteil. Doch sein Zustand verschlechtert sich massiv, er wird intubiert. Nach einer Woche im Krankenhaus reicht auch auf diese Weise verabreichter reiner Sauerstoff nicht mehr aus, um genügend Sauerstoff in sein Blut zu bekommen. Nach einer Woche im Krankenhaus reicht auch das nicht mehr. Es kommt einfach nicht genügend Sauerstoff in sein Blut. Der Mann droht zu ersticken, nur noch eine Möglichkeit der Behandlung bleibt – die extrakorporale Membranoxygenierung, kurz ECMO genannt. Der Patient wird an eine künstliche Lunge angeschlossen, eine Hightech-Methode, auf der große Hoffnungen ruhen, die aber oft auch große Risiken birgt.

So groß wie eine Konservendose

Bei dem Verfahren wird Blut über eine sehr große Kanüle in der Leistenvene entnommen. Von dort wird es in den so genannten Oxygenator gesaugt – ein Gerät etwa von der Größe einer Konservendose. In dem unscheinbaren Apparat befindet sich eine Membran aus dem Kunststoff Polymethylpenten. Das Blut strömt auf der einen Seite entlang, auf der anderen Seite strömt ein mit Sauerstoff angereichertes Luftgemisch. Sauerstoff und Kohlendioxid können durch die Membran hindurchwandern, andere Blutbestandteile hingegen nicht. So ahmt das Gerät die natürliche Tätigkeit der Blutbläschen nach: Durch den Konzentrationsunterschied angetrieben, gibt das Blut wechselseitig Kohlendioxid ab und nimmt Sauerstoff auf.

»Der Oxygenator ist mindestens so leistungsfähig wie die Lunge«
Christian Karagiannidis

Die Membran in der Dose haben die Entwickler in Lamellen angeordnet. Dadurch wächst deren Oberfläche auf etwa zwei Quadratmeter. Das ist zwar nur ein Bruchteil der Gasaustauschfläche der menschlichen Lunge, aber mehr als genug. »Der Oxygenator ist mindestens so leistungsfähig wie die Lunge«, sagt Karagiannidis, der auch Professor für extrakorporale Lungenersatzverfahren der Universität Witten/Herdecke ist. Das liegt unter anderem daran, dass die Durchflussrate durch das Gerät per Pumpe stärker ist als im natürlichen Vorbild. Zudem ist der Sauerstoffgehalt des einströmenden Gemischs höher, meist 100 Prozent gegenüber 21 Prozent in normaler Atemluft.

Das mit Sauerstoff angereicherte Blut verlässt den Oxygenator wieder und gelangt über einen Schlauch und eine zweite Kanüle wieder in eine Vene des Patienten, meist am Hals. Der Sauerstoffbedarf im Körper kann so gedeckt werden – unter maximaler Schonung der Lunge, die weiterhin durchblutet wird. Eine größere Blutmenge wird gebraucht, deshalb bekommen Patienten intravenös zusätzlich Flüssigkeit verabreicht.

Besonders bei jüngeren Patienten sinnvoll

Besonders bei jüngeren Patienten sei ECMO sinnvoll, wenn die herkömmliche Beatmung nicht mehr genügt, sagt Karagiannidis. Ähnlich sieht das die WHO in ihren Interims-Leitlinien zu Covid-19. Aber abgesehen davon, dass nur spezialisierte Zentren das Verfahren einsetzen können, ist es auch nicht für jedermann geeignet: »Bei alten Patienten ist das Verfahren zu risikoreich«, sagt der Intensivmediziner.

Es zeigt sich immer mehr, dass Covid-19 anders ist als andere Lungenkrankheiten

Das liegt vor allem an der Blutverdünnung, welche die Behandlung mit sich bringt. Damit das Blut nicht auf dem Weg außerhalb des Körpers gerinnt und lebensgefährliche Gerinnsel entstehen, die dann Blutgefäße verstopfen können, bekommen die Patienten den Gerinnungshemmer Heparin verabreicht. Das wiederum macht Blutungen im gesamten Körper wahrscheinlicher. »Gefürchtet sind besonders Hirnblutungen, weil sie schwer beherrschbar sind«, sagt Stefan John, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Leiter der Abteilung Internistische Intensivmedizin am Klinikum Nürnberg-Süd.

ECMO ahmt die Funktionsweise einer Lunge nach | Über eine halbdurchlässige Membran wird das Blut mit Sauerstoff angereichert, während Kohlendioxid herausdiffundiert.

Diese möglichen Nebenwirkungen sind ein Grund dafür, dass viele Ärztinnen und Ärzte den Einsatz der ECMO so weit wie möglich vermeiden wollen. Doch auch das Krankheitsbild, das durch Infektion mit dem neuartigen Coronavirus hervorgerufen wird, spricht oft gegen den ECMO-Einsatz.

Die davon ausgelöste Pneumonie kann zwar, wie der Fall an der Klinik Köln-Merheim zeigt, zum Lungenversagen führen. Dieses englisch ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome) abgekürzte Syndrom tritt auch bei anderen Infekten wie einer Influenza auf. Aber es zeigt sich immer mehr, dass Covid-19 anders ist als andere Lungenkrankheiten. Bei gewöhnlichen, infektiösen Lungenentzündungen füllen sich die Lungenbläschen mit Flüssigkeit. Dadurch steht das entsprechende Volumen der Lunge nicht mehr für die Einatemluft zur Verfügung. Solche Patienten können ihren Brustkorb kaum noch bewegen. »Die Lunge versteift, die Ventilation fällt schwer – und das verursacht Atemnot«, sagt John.

Warum Patienten oft zu spät kommen

Anders ist das bei Covid-19. »Hier kann sich die Lunge zumindest in der Frühphase noch gut bewegen.« Denn nicht flüssigkeitsgefüllte Lungenbläschen bereiten hier die Atembeschwerden, sondern anscheinend vor allem kleine Blutgerinnsel, die die Kapillargefäße verstopfen. »Dadurch ist die Durchblutung der Lunge gestört, und somit gelangt zu wenig Sauerstoff ins Blut«, erklärt John. Das ist der Grund, warum viele Covid-19-Patienten trotz fortgeschrittener Lungenentzündung noch wenig Atembeschwerden haben.

»Ein geringer Anstieg der Kohlendioxidkonzentration führt bereits zu beklemmender Atemnot, während ein Sauerstoffmangel zunächst sogar Euphorie, ähnlich dem Höhenrausch, verursacht«, erklärt John. »Bei den meisten Covid-19-Patienten bewegt sich die Lunge noch gut, das ist besonders für die Ausatmung von Kohlendioxid wichtig.« So kommt es, dass Covid-19-Patienten ihre Lungenentzündung zunächst kaum wahrnehmen und sehr spät in die Klinik kommen – wie der Patient in Köln-Merheim. Seine Atemnot wurde wohl durch Sauerstoffrezeptoren gemeldet, die erst bei stärkerem Mangel an dem Element anspringen.

»Die ECMO wird oft eingesetzt, wenn die Lunge steif ist und das Kohlendioxid nicht mehr oder nur durch Einsatz hoher Beatmungsdrücke abgeatmet werden kann«, sagt John. »Da Covid-19-Patienten dies mit ihren meist beweglichen Lungen oft noch können, schaffen wir es häufig, bei den herkömmlichen Verfahren der Beatmung zu bleiben.« Covid-19-Patienten seien prinzipiell also einfacher zu beatmen als Menschen mit ARDS mit anderer Ursache. »Allerdings habe ich auch bei Covid-19 schon steife Lungen gesehen«, sagt Karagiannidis. »Es ist möglich, dass dieses Symptom manchmal im späteren Verlauf der Krankheit auftritt.«

Eine Sättigung wie ein Gesunder

Bei dem Patienten in Köln-Merheim war die Lungenfunktion so schlecht, dass sogar mit Intubation die Sauerstoffsättigung bedenklich geringe Werte annahm. »Unter der ECMO-Therapie hatte er dann einen Sättigungswert wie ein Gesunder«, sagt Karagiannidis. Vier Wochen musste der Patient an der künstlichen Lunge bleiben, zuerst im künstlichen Koma, dann wach. »Ab der dritten Woche konnte er sich sogar an die Bettkante setzen.«

Die lange Zeit der Beatmung ist ungewöhnlich, Patienten mit Lungenversagen anderer Ursache genesen in der Regel schneller als beatmungspflichtige Covid-19-Erkrankte. »Wir wissen noch nicht, woran das liegt«, sagt Karagiannidis. Aber vermutlich stecke das Immunsystem hinter den schweren Verläufen.

Der junge Patient sei »ein gutes Beispiel dafür, wie die ECMO Leben retten kann«, sagt Karagiannidis, »auch wenn wir für Covid-19 noch keine Daten zur Wirksamkeit haben«. Wie auch bei herkömmlichen Intensivbetten ist Deutschland mit ECMO-Plätzen gut aufgestellt. »Wir machen gerade eine Inventur der Plätze, aber ich schätze, dass es mehrere hundert Betten in Deutschland gibt«, sagt der Lungenfachmann. »Das ist pro Kopf wahrscheinlich die beste Versorgung weltweit.« Bislang wurden längst nicht alle Kapazitäten ausgeschöpft.

Karagiannidis' Patient ist mittlerweile wieder zu Hause. Auch wenn die geschundene Lunge durch die ECMO geschont wird – der Genesungsprozess ist lang: Acht Wochen nachdem er aus der Lungenklinik entlassen wurde und ein Rehazentrum besucht hat, ist er noch nicht wieder voll arbeitsfähig.

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