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Sinnesphysiologie: Beinbitter und Rüsselsüß

Süß, sauer, fruchtig, frisch, gammelig, bitter: Unser Geschmackssinn erkennt viele Nuancen. Taufliegen können noch mehr: Sie haben Geschmacksneurone nicht nur an den Mundwerkzeugen, sondern auch an verschiedenen Körperteilen und können somit die Futterquelle gleichzeitig orten und ihre Qualität bestimmen. Wie wird diese gleichzeitig räumliche und qualitative Geschmacksinformation im Gehirn verarbeitet?
Unsere räumliche Wahrnehmung, sowohl der Außenwelt als auch die unseres eigenen Körpers, beruht stark auf der topografisch getreuen Abbildung der Sinnesreize im Gehirn. Benachbarte Zellen in der Netzhaut oder nebeneinander liegende Barthaare der Maus projizieren ihre langen Axone auch in benachbarte Stellen der entsprechenden Hirnregion, sodass im Gehirn ein räumliches Abbild entsteht. Das erlaubt eine sichere Übertragung der Positionsinformation von einer Region in die andere.

Der Geruchssinn folgt einem anderen Prinzip. Hier kommt es mehr auf eine feine Differenzierung verschiedener Qualitäten an, um tausende verschiedener Düfte zu unterscheiden. Ein topografisches Abbild des Riechorgans im Gehirn ist dementsprechend wenig sinnvoll. Vielmehr werden hier Sinneszellen nach den Duftstoffen sortiert, die sie detektieren können: Zellen, die auf denselben Duftstoff reagieren, projizieren also an die gleiche Stelle des Gehirns. Je nachdem, ob die räumliche Komponente oder die Differenzierung von qualitativen Merkmalen überwiegt, ist daher auch die Sinneswahrnehmung im Gehirn ganz anders organisiert.

Welches dieser beiden Prinzipien nun bei der Übertragung der räumlichen Geschmacksempfindung in das Gehirn von Taufliegen verwendet wird, untersuchten Wissenschaftler um Kristin Scott von der Universität von Kalifornien in Berkeley. Sie erfassten die genaue Verteilung verschiedener Geschmacksrezeptoren in den Nervenzellen und analysierten ihre jeweilige Projektion in das Gehirn.

68 Geschmacksrezeptoren gibt es in Drosophila – Moleküle, die in der Zellmembran einer Nervenzelle sitzen und diese empfindlich für genau definierte Geschmacksstoffe machen. Verschiedene Gruppen von Nervenzellen tragen dabei unterschiedliche Kombinationen dieser Rezeptoren. Insgesamt aber lassen sich die Geschmackszellen grob in zwei Klassen teilen, wie die Forscher herausfanden: Geschmackszellen zur Futterakzeptanz, die Süßes und leicht Salziges wahrnehmen, und solche zur Futterablehnung, die Bitteres schmecken. Diese Grobunterteilung wird auch bei der Projektion in das Suboesophagal-Ganglion, der ersten Verschaltstelle im Gehirn, beibehalten.

"Akzeptanzneurone" und "Ablehnungsneurone" projizieren dabei in unterschiedliche Regionen. Eine detailliertere räumliche Aufschlüsselung nach Geschmacksnuancen ist hier, im Gegensatz zum Geruchssystem, nicht nachzuweisen. Wie viele unterschiedliche Geschmacksnuancen die Fliege genau empfinden kann, ist noch nicht untersucht, die Organisation im Gehirn lässt aber vermuten, das der Geschmackssinn sehr viel weniger Kategorien unterscheidet als der Geruchssinn.

Was dem Geschmackssinn an qualitativer Differenzierung mangelt, macht er aber durch eine Zusatzqualifikation wieder wett: Auch die Position der Geschmackszellen im Körper der Fliege wird bei der Projektion ins Gehirn wiedergegeben. So fanden die Wissenschaftler um Scott heraus, dass Projektionen aus unterschiedlichen Organen auch in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns enden – ein Signal aus dem Bein wird sofort getrennt von einem Signal aus dem Rüssel oder aus dem Eiablageapparat – sogar hier gibt es Geschmacksneurone –, selbst wenn sie den gleichen Geschmacksrezeptor tragen. Das ist durchaus sinnvoll, da diese Signale auch ganz unterschiedliche Verhaltensweisen hervorrufen: Schmeckt die Fliege mit dem Bein, wird der Rüssel ausgefahren, Geschmacksneurone am Eiablageapparat hingegen steuern die Eiablage, sodass die Eier vorsorglich in genießbares Futter abgelegt werden.

Verglichen mit dem Geruchssinn scheint die Fliege also nur recht grob Qualitäten zu unterscheiden, kann diese dafür aber auch räumlich zuordnen. Die Organisation dieser Sinneswahrnehmung im Gehirn entspricht genau diesen Bedürfnissen und richtet sich teils nach räumlichen und teils nach qualitativen Merkmalen.

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