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Flutkatastrophe: Was Europas Hitze mit Pakistans Überschwemmungen zu tun hat

Schmelzende Gletscher waren ebenso beteiligt wie der Jetstream. Vom Pazifik bis nach Spanien erstrecken sich die Einflüsse, die Pakistan verheerende Überschwemmungen bescherten. Und durch alle Faktoren zieht sich der Klimawandel.
Ein Teilweise zerstörtes Haus in einer Wasserfläche.

Die Überschwemmungen in Pakistan sind eine globale Katastrophe. Vom Wetter in Europa bis zu den Wassertemperaturen im tropischen Pazifik reichen die Einflüsse, die aus den alljährlich wiederkehrenden Monsunregen des indischen Subkontinents aktuell die wahrscheinlich schlimmsten Überschwemmungen seit Jahrzehnten machen. Daneben trugen lokale Wetterphänomene ihren Teil bei – und natürlich spielt auch der Klimawandel eine Rolle.

Die Flutkatastrophe entzieht sich der Vorstellungskraft. Über 1200 Menschen starben bisher, mehr als 33 Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen – mehr als die Bevölkerung von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen zusammengenommen. Das Hochwasser ist wohl das schlimmste Hochwasser seit Jahrzehnten und dürfte sogar die Katastrophe von 2010 übertreffen, als fast 2000 Menschen in den Fluten starben.

Die heftigen Regenfälle sind ein natürliches Phänomen. Der Sommermonsun in Südasien ist ein regelmäßiges Wettermuster, bei dem über dem von der Sonne erwärmten indischen Subkontinent ein Tiefdruckgebiet entsteht. Dadurch strömt feuchte Meeresluft von Südwesten heran und das enthaltene Wasser regnet über dem Land ab. Ähnliche Wettermuster gibt es auch anderswo. Doch über dem indischen Subkontinent ist er besonders stark, weil die hohen Gipfel des Himalaja trockene, kontinentale Luft aus Asien fernhalten. So entfaltet die Meeresbrise ihre volle Wirkung.

Wie der Pazifik Pakistan Regen bringt

Auch wenn das Wettermuster selbst regelmäßig wiederkehrt, sind die Regenfälle alles andere als zuverlässig. Wie viel Regen fällt, unterscheidet sich von Jahr zu Jahr und auch regional. Während Pakistan unter Wasser steht, erhielt Indien lediglich ein bisschen mehr Regen als normal – ein Drittel des Landes blieb sogar trockener als gewöhnlich. Die enorme natürliche Schwankungsbreite der Monsunregen ist ein Teil der Erklärung, weshalb Nordpakistan dieses Jahr ein Vielfaches der normalen Regenmenge erhielt.

Ihren Teil dazu beigetragen haben könnten zwei großräumige Wettermuster. Eines davon ist eine »Klimaschaukel« mehr als 10 000 Kilometer entfernt vom indischen Subkontinent: Der El-Niño-Zyklus, ein Wechselspiel der Meerestemperaturen im tropischen Pazifik, entscheidet mit darüber, ob die sommerlichen Niederschläge einen Viertel Erdumfang entfernt reichlich fallen.

Herrscht im Pazifik ein El Niño, laufen Indien und Pakistan Gefahr, leer auszugehen. Jahre, in denen der Monsun versagte, waren in den meisten Fällen auch El-Niño-Jahre. Umgekehrt bringen La-Niña-Jahre tendenziell mehr Regen. 2022 ist nicht nur ein La-Niña-Jahr, sondern sogar ein besonders intensives. Der ENSO-Index, dessen positive und negative Werte die Stärke von El-Niño- und La-Niña-Ereignissen angeben, erreichte seinen zweitniedrigsten Wert seit Beginn der Messungen.

Stärker war La Niña nur 2010 – und in jenem Jahr erlebte Pakistan seine schwersten Überschwemmungen bisher. Etwa ein Fünftel der Landesfläche war von den Monsunfluten betroffen, laut offiziellen Zahlen starben fast 2000 Menschen. Die Überschwemmungen 2022 könnten sogar noch mehr Schaden anrichten.

Was Hitze in Europa mit der Katastrophe zu tun hat

Ursache der stärkeren Regenfälle in La-Niña-Jahren ist die Walker-Zirkulation. Die kommt zu Stande, weil das Wasser des Pazifiks im Westen wärmer ist als im Osten. Deswegen steigt dort Luft auf und sinkt über dem Ostpazifik wieder ab. In einer La-Niña-Periode wird dieser Gegensatz größer, so dass der aufsteigende Teil der Walker-Zirkulation weiter nach Westen reicht und über Indien mehr feuchte Luft aufsteigen lässt: Es regnet mehr.

Ein weiterer Faktor könnte die sommerliche Hitzewelle in Europa sein. Dafür spricht, dass 2010 die Wettersituation ebenfalls ähnlich war. Damals wie heute war eine atmosphärische Blockade dafür verantwortlich, dass Europa über einen langen Zeitraum hohe Temperaturen erlebte. Und solche »Hitzedome« über Europa scheinen heftige Monsunregenfälle in Pakistan zu begünstigen. Der verbindende Faktor sind möglicherweise Jetstream-Anomalien: starke Nord-Süd-Schlenker des Windbandes in zehn Kilometern Höhe, so genannte Rossby-Wellen. Die lassen Europa unter sommerlicher Hitze schmoren und führen in Pakistan viel feuchte Luft vom Indischen Ozean und der Bucht von Bengalen heran.

Neben den großräumigen Wettermustern wie La Niña und dem Jetstream waren auch lokale Faktoren an den extremen Überschwemmungen beteiligt. Schon vor Beginn der Monsunsaison waren Pakistans Böden und Flüsse reichlich mit Wasser gefüllt, so dass Überschwemmungen nahezu unvermeidbar waren. Dieses Wasser kam aus zwei Quellen: Pakistan ist eines der gletscherreichsten Länder der Erde – und der Klimawandel lässt die Eisströme rapide schmelzen.

Schmelzende Gletscher und früher Regen

Im Frühjahr 2022 traf eine schwere Hitzewelle – ebenfalls begünstigt von La Niña – Indien und Pakistan, und damit auch die Gletscher im Einzugsgebiet des Indus. Das Schmelzwasser lief in die Flüsse oder ließ Seen am Fuß der Gletscher anschwellen – und sogar überlaufen. Mehrere spektakuläre Ausbrüche solcher Gletscherseen verzeichnete Pakistan im Frühjahr und Sommer 2022. Im Mai beschädigte eine solche Flut eine wichtige Brücke und zwei Kraftwerke im Hunza-Tal, eine weitere schnitt im Juli tausenden Besucher von Pakistans größtem Sportfestival den Heimweg ab.

Überflutete Gebiete in Pakistan | Durch heftige Monsunregen stehen große Gebiete in der flachen Schwemmebene des Indus unter Wasser.

Wichtiger als solche Einzelereignisse ist aber die Summe des aus den Bergen fließenden Wassers, das bereits vor Beginn des Monsuns die Flüsse anschwellen ließ und ihre Aufnahmefähigkeit verringerte. Hinzu kamen ungewöhnlich frühe Regenfälle im südlichen Pakistan, verursacht durch ein großes Tiefdruckgebiet über dem Arabischen Meer – auch das ist ungewöhnlich. Ob die vorausgehende Hitzewelle im April und Mai damit zu tun hat, ist unklar.

Doch während diese Faktoren ihren Teil zu den Überschwemmungen beitrugen, war ihre Hauptursache die heftigen, lang anhaltenden Monsunregen. Im August fiel in Pakistan fünfmal so viel Regen wie normal. Viel spricht dafür, dass der Klimawandel diese Regenfälle besonders intensiv und die Überschwemmungen wahrscheinlicher machte – Pakistan ist weltweit eines der für den Klimawandel am verwundbarsten Länder.

Der Monsun und der Klimawandel

Der einfachste Effekt für die heftigen Regenfälle ist, dass höhere Temperaturen mehr Wasser verdunsten lassen und eine warme Atmosphäre mehr Wasser aufnehmen kann. So vermuteten Fachleute bereits im Frühjahr 2022, dass die sehr hohen Temperaturen in April und Mai mehr Feuchtigkeit in die Atmosphäre tragen und so die Regenfälle verstärken würden. Sowohl Daten als auch Simulationen zeigen außerdem, dass im Zuge des Klimawandels Starkregenereignisse in Südostasien heftiger werden.

Steigende Temperaturen über den Landmassen, die sich durch den Klimawandel schneller erwärmen als das Meer, verstärken außerdem den Luftdruckgegensatz zwischen Kontinent und Ozean, so dass mehr feuchte Luft herangeführt wird. Klimamodelle zeigen, dass der Einfluss der globalen Erwärmung auf den Sommermonsun in Südasien erheblich ist. Um etwa fünf Prozent pro Grad nehmen die Regenfälle dann zu, laut einer Studie des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Während grundsätzlich klar ist, dass der Klimawandel die aktuelle Katastrophe verstärkt, wird es allerdings noch eine Weile dauern, bis der Beitrag der globalen Erwärmung genau aufgeschlüsselt ist. Der südasiatische Sommermonsun ist komplex – bis heute sind sichere Vorhersagen der jährlichen Regenfälle schwierig, die Prognosen liegen immer wieder daneben. Das liegt daran, dass neben dem Klima auch andere Faktoren eine Rolle spielen, darunter Landnutzung und Urbanisierung.

Die Zukunft des Monsuns ist unsicher

Einer der unsichersten Faktoren ist die Luftverschmutzung. Sie ist vermutlich verantwortlich dafür, dass Monsunregen gegen den Klimatrend seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sogar abnehmen. Aerosole, feine Partikel aus Schwefelsäure oder Ruß, entstehen vor allem bei der Verbrennung fossiler Kraftstoffe und halten einen Teil der Sonnenstrahlung ab. Das senkt die Sommertemperaturen genug, damit der Luftdruckunterschied zwischen Land und Meer sinkt und weniger feuchte Luft herangeführt wird.

Dass sich dieser Effekt tatsächlich auf den Monsun auswirkt, zeigte sich während der Pandemie. Während des Lockdowns in der ersten Jahreshälfte 2020 verbesserte sich die Luftqualität in Indien deutlich – die Aerosolkonzentration sank um knapp ein Drittel. Eine Analyse indischer Wissenschaftler kam zu dem Resultat, dass die Monsunregen durch diesen Rückgang um 5 bis 15 Prozent zunahmen. Kurzfristig könnte also die Luftqualität über dem indischen Subkontinent einen mindestens ebenso großen Einfluss auf die Zukunft des Monsuns haben wie der Klimawandel.

Das ändert allerdings nichts an einer anderen Folge des Klimawandels für die Monsunregen, die für zukünftige Flutkatastrophen weit mehr Bedeutung hat als Veränderungen der mittleren Niederschläge. Wie nämlich die Analyse des PIK ebenfalls zeigt, gilt auch beim Monsun: Die Extreme werden extremer.

Konkret heißt das: Die Zahl sowohl sehr nasser als auch sehr trockener Monsunperioden steigt, und die Niederschläge konzentrieren sich immer mehr in immer häufiger werdenden Starkregenereignissen. Das verspricht mehr Überschwemmungen und mehr Trockenheit auf Kosten der für die Region so wichtigen verlässlichen Regenfälle. Der Monsun bleibt unberechenbar – vermutlich mehr denn je.

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