Gedächtnismanipulation: Von wegen falsche Erinnerung

Nicht alles, woran wir uns zu erinnern glauben, ist auch wirklich passiert – so das Ergebnis eines berühmten Experiments der Gedächtnisforscherin Elizabeth Loftus aus den 1990er Jahren. Ihre Erkenntnisse über falsche Erinnerungen hatten wichtige Konsequenzen, etwa für die Frage, wie glaubwürdig Vorwürfe wegen Missbrauchs in der frühen Kindheit sind. Eine Analyse britischer Psychologen, die Mitte Dezember 2024 im Fachmagazin »Applied Cognitive Psychology« erschien, stellt die Interpretation einer der bekanntesten Untersuchungen zu diesem Thema nun in Frage.
Neue Studie hinterfragt alte Annahmen
Für ihre Analyse nahmen Bernice Andrews von der University of London und Chris Brewin vom University College London die Daten einer 2023 erschienenen Neuauflage von Loftus' berühmter »Lost in the mall«-Studie unter die Lupe. Darin wurde Versuchspersonen suggeriert, sie seien als Kind in einem Einkaufszentrum verloren gegangen. Während Loftus laut ihrer Studie 6 der 24 Teilnehmer eine falsche Erinnerung implantieren konnte, erreichte ein irisches Forschungsteam, das den Versuch mit einer Stichprobe von 123 Teilnehmern wiederholte, sogar eine Erfolgsquote von 35 Prozent.
Die irischen Forscher hatten sich zunächst bei älteren Familienmitgliedern vergewissert, dass sich keiner der erwachsenen Teilnehmer tatsächlich als Kind in einem Einkaufszentrum verlaufen hatte. Von diesen Verwandten ließen sie sich auch mehrere reale Erlebnisse der Teilnehmer im Alter von etwa fünf Jahren schildern. Diese bekamen dann vier kurze Texte über Episoden aus ihrer Kindheit zu lesen. Dass sich darunter auch eine erfundene befand, wussten sie nicht. Sie sollten nun angeben, ob sie sich an das Ereignis erinnern konnten und wenn ja, so viele Details wie möglich wiedergeben.
Diffuse innere Bilder
Andrews und Brewin werteten die Protokolle dieser Befragungen nun erneut aus, unter anderem danach, wie viele Teilnehmer angaben, sich wirklich explizit an die sechs Kerndetails der erfundenen Geschichte zu erinnern (etwa »Du hast geweint« und »Du wurdest von einer älteren Frau gefunden«), und wie sicher sie sich dabei waren. Das Ergebnis der Neuauswertung: Die »Erinnerungen« der Teilnehmer, bei denen die Suggestion vermeintlich funktioniert hatte, waren oft nur bruchstückhaft. Teilnehmer mit ursprünglich als »vollständig« gewerteten falschen Erinnerungen erinnerten sich im Schnitt an weniger als die Hälfte der sechs Kerndetails. Mehr als ein Drittel der »teilweise« erfolgreich implantierten falschen Erinnerungen enthielten gar kein Kerndetail und bestanden eher aus diffusen inneren Bildern. Die Betreffenden erinnerten sich nicht einmal explizit daran, allein durch das Einkaufszentrum geirrt zu sein – das zentrale Element der Geschichte.
Ziehe man diese Personen von den 35 Prozent ab, sinke die Rate falscher Erinnerungen auf elf Prozent. Schließe man dann noch jene aus, die, direkt danach gefragt, gar nicht angaben, sich richtig an die Geschichte zu erinnern, blieben nur vier Prozent mit erfolgreich implantierten falschen Erinnerungen, so die Autoren der Analyse. Bemerkenswert dabei sei, dass ein beträchtlicher Teil der »falschen« Erinnerungen möglicherweise auf realen Erlebnissen beruhte. Zum Beispiel hatten Probanden angegeben, ihre Eltern tatsächlich einmal verloren zu haben, allerdings in ihrer Erinnerung in einem Baumarkt.
Die möglicherweise deutlich zu hoch geschätzte Rate falscher Erinnerungen in Studien wie der irischen ist laut Andrews und Brewin vor allem deshalb problematisch, weil solche Zahlen häufig von Anwälten vor Gericht zitiert würden, um Zeugenaussagen in Zweifel zu ziehen. Allerdings: Dort geht es meist um viel speziellere Ereignisse, die man nicht so leicht mit ähnlichen Erlebnissen verwechseln dürfte.
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