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Mondsonde Chang'e-4: Geologisches Neuland auf dem Mond

Erstmals in der Geschichte ist eine Raumsonde sanft auf der Mondrückseite gelandet. Die technisch aufwändige Mission Chang'e-4 könnte viele Monate aktiv sein.
Das Südpol-Aitken-Becken auf dem Mond

Vergangene Nacht lenkten Ingenieure die Raumsonde Chang'e-4 mit einem gezielten Feuern der Triebwerke aus einem niedrigen Mondorbit gen Mondoberfläche. Um 3.26 Uhr Mitteleuropäischer Zeit setzte der 3870 Kilogramm schwere Lander mit seinem kleinen Rover an Bord dann sanft und offenbar unversehrt auf: Die erste Raumsonde überhaupt ist damit auf der Mondrückseite gelandet. Nach dem Start am 8. Dezember 2018 und einer kurzen Reise zum Mond hatten die chinesischen Ingenieure Chang'e-4 zunächst im Orbit geparkt, um den Anbruch des nächsten Tages auf der erdabgewandten Seite des Mondes abzuwarten. Dann wird die Sonne dort rund 14 Erdtage nicht untergehen und die wichtigsten Ziele der Mission mit Solarenergie versorgen – bis radioaktive Heizelemente die Lebensdauer des Landers dann vielleicht noch etwas verlängern. Nun steht die Sonde im Krater »Von Kármán« – und ist bereit für eine Fahrt, die längst nicht nur chinesische Forscher interessiert.

Die Landung war riskant: Zwar hatten chinesische Ingenieure bei der fast baugleichen Sonde Chang'e-3 vor fünf Jahren gute Erfahrungen gemacht, aber sie setzte auf der Mondvorderseite mit direktem Funkkontakt zur Erde auf. Beim Nachfolger war der Einsatz des Relaissatelliten Queqiao mit einer entfaltbaren 4,2 Meter großen Antenne nötig, der schon im Mai 2018 gestartet war. Doch auch das Gelände beschäftigte die Missionsplaner, denn die Rückseite ist von ganz anderer Natur als seine Vorderseite: »Ein Großteil der Mondrückseite ist von hohen Bergen und von Kratern geprägt«, sagte Sun Zezhou, der Chefdesigner von Chang'e-4, gegenüber dem Fernsehsender CCTV. »Es ist schwierig, hier ein großes und flaches Gebiet zu finden.«

Große geologische Fragen

Tatsächlich ähnelt die Rückseite des Erdtrabanten kaum jenem vertrauten Mondgesicht, das wir kennen. Die Maria der Vorderseite, also ausgedehnte vulkanische Ebenen, sind hier nur wenig vorhanden. Auf der Rückseite gibt es vor allem viele Krater; ihre südliche Hemisphäre wird vom Südpol-Aitken-Becken dominiert, einem der mit 2500 Kilometer Durchmesser größten bekannten Einschlagbecken im Sonnensystem. Vor über vier Milliarden Jahren muss hier ein gewaltiger Meteorit niedergegangen sein – viele Jahrmillionen später bildeten sich weitere Einschlagkrater auf der Oberfläche im und um das Becken. Einer von ihnen ist der 180 Kilometer breite Von-Kármán-Krater, in dem Chang'e-4 nun steht.

© China Central Television (CCTV)/China National Space Administration (CNSA)
Die Mondlandung, gefilmt

Von Kármán ist ein Sonderfall der Mondrückseite, denn der Kraterboden ist von flachen Marebasalten bedeckt. Dies hat letztlich auch die Entscheidung begünstigt, wegen des geringeren Risikos hier zu landen. Der Von-Kármán-Krater am Rand des Südpol-Aitken-Beckens liegt zudem in einer für Geologen sehr spannenden Region: »Wir haben bisher nur sehr kleine Bereiche der Mondoberfläche (mit Landern) untersucht«, sagt etwa Jessica Flahaut von der Universität im französischen Nancy, eine der internationalen Beraterinnen der chinesischen Missionsplaner. »Alle Raumsonden landeten bisher in Geländetypen, die gerade vier Prozent der Mondoberfläche ausmachen«, sagt sie. Noch nie zu Gesicht bekommen haben Forscher etwa das tief unter der lunaren Kruste liegenden Mantelgestein- und in Von Kármán besteht eine gute Chance, dass der Einschlag es offengelegt hat.

Mit der Reise zur Mondrückseite möchten Geologen auch bislang ungelöste Rätsel der Entwicklung des Erdtrabanten klären. Die Forscher würden zum Beispiel gerne verstehen, warum die vulkanischen Prozesse auf Vorder- und Rückseite so unterschiedlich waren – und die Maria nicht überall verbreitet sind. Lange Zeit glaubten sie, dies könnte daran liegen, dass die Kruste auf der Mondrückseite dicker ist und vulkanische Schmelzen in den ersten Jahrmillionen der lunaren Geschichte leichter aufsteigen konnten. Die NASA-Mission Grail bestimmte bis Ende 2012 allerdings das lunare Schwerefeld und konnte keine auffällig erhöhte Krustendicke auf der erdabgewandten Seite feststellen. Warum gibt es dort dennoch kaum vulkanische Mare? Das, meint Harald Hiesinger, Planetengeologe und Mondexperte an der Universität Münster, sei eben »eine große Frage«.

Anhand des Mondinneren können Forscher lernen, wie sich der Erdrabant seit seiner Entstehung entwickelt hat. Hier gibt es noch immer immense Verständnisprobleme – wie sich beispielhaft an den Hypothesen über die unterschiedliche Krustendicke und den überwiegend fehlenden Vulkanismus auf der Mondrückseite zeigt. Klar ist, dass der Mond vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, mutmaßlich in der Folge eines planetaren Einschlags auf der jungen Erde. Die dabei ausgeworfenen Gesteine sammelten sich im Erdorbit zum Urmond und waren zunächst sehr heiß. Experimente und Modelle legen nahe, dass dann schwerere Mineralien aus der Schmelze mit der Zeit nach unten sanken und den Mondmantel formten, während leichtere nach oben gelangten und die Kruste bildeten. Ob dies tatsächlich so ablief, ist nicht bestätigt, aber: »Wir können dieses Magmaozean-Modell jetzt überprüfen«, sagt Harald Hiesinger. Manche Forscher lehnen unterdessen selbst die Theorie der Mondentstehung durch einen Einschlag bis heute ab.

Neue angewandte Experimente

Nachdem sie sich jahrzehntelang für neue Raumsonden zum Erdtrabanten eingesetzt haben, warten viele Mondexperten weltweit nun gespannt auf erste Ergebnisse von Chang'e-4 – und freuen sich über den endlich geglückten chinesischen Vorstoß. Der Krater Von Kármán war schon vor elf Jahren vom Wissenschaftsrat der Vereinigten Staaten als vorrangiges Ziel für zukünftige Exploration des Mondes in den Vordergrund gerückt worden – ein Lander aus den USA ist dann allerdings weder entsandt noch ausreichend finanziert worden. Und somit ist »die Mondrückseite interessant, weil dort noch nie eine Raumsonde gelandet ist«, findet auch Harald Hiesinger.

Chang'e-4 soll allerdings anders als die meisten bisher auf dem Mond abgesetzten Sonden nicht nur geologische Feldforschung leisten. Der 2013 gelandete Vorläufer Chang'e-3 samt seines Rovers Yutu hatte beispielsweise ein Röntgenspektrometer dabei, mit dessen Hilfe chinesische Forscher eine zuvor unbekannte Form basaltischen Vulkangesteins nachweisen konnten. Auf dem Nachfolger befinden sich außer mehreren Kameras und Infrarot-Spektrometer vor allem neu entwickelte Instrumente. Allen voran ist das ein Radioteleskop, denn allein die natürliche Streustrahlung der Erde verhindert Blicke in die so genannte dunkle Zeit des jungen Universums, gerade 380 000 Jahre nach dem Urknall: Bestimmte Wellenlängen aus jener Zeit sind im erdnahen Raum fast gar nicht, auf der Mondrückseite dagegen ausgezeichnet messbar.

Wie wichtig der Chinesischen Akademie der Wissenschaften internationale Beiträge waren, zeigt das Instrument Lunar Lander Neutron Dosimetry von der Universität Kiel. Kaum zwei Jahre vor dem Start entschied sich Robert Wimmer-Schweingruber dafür, sich mit einem Instrument zur Messung von so genannten thermischen Neutronen an Chang'e-4 zu beteiligen. Sein Institut ist in diesem Bereich weltweit führend, und hat bereits vergleichbare Geräte für Sonden der NASA und ESA sowie für die Internationale Raumstation entwickelt. Damals musste alles sehr schnell gehen: »Schon 13 Monate nach Förderungsbeginn haben wir unser Instrument ausgeliefert«, sagt Robert Wimmer-Schweingruber. »Es war sehr hektisch.«

Der Neutronendetektor zeigt eine angewandte und vergleichsweise neue Seite der Mondforschung: Nicht nur chinesische Forscher wollen damit herausfinden, welche Gefahren neue menschliche Mondbesucher erwarten könnten – und was deshalb beim Bau von Habitaten berücksichtigt werden müsste. Besonders thermische Neutronen sind bislang zu wenig beachtet worden, denn sie können nicht nur von oben in menschliche Behausungen eindringen, sondern auch von unten: »Wir schätzen, dass 10 bis 20 Prozent der Teilchenstrahlung von unten kommt, also von der Mondoberfläche reflektierte Strahlung ist«, sagt der Physiker Wimmer-Schweingruber. Sein Experiment soll diese Schätzung mit Messungen untermauern.

Kurios scheint ein biologisches Experiment, das sich an Bord des Landegestells von Chang'e-4 befindet: Es enthält Kartoffeln, Samen des verbreiteten Wildkrauts Ackerschmalwand und Eier der Seidenraupe. Damit wollen Forscher erproben, wie sich irdische Lebewesen unter der verringerten Schwerkraft des Mondes verhalten. Dieses Experiment gewann gegen 200 Bewerber von verschiedenen Universitäten – und seine Auswahl zeigt, wie ernst es chinesischen Forschern mit dem Ziel ist, im übernächsten Jahrzehnt Menschen zum Mond zu bringen, die sich dort auch mit Nahrungsmitteln versorgen müssten.

Weite Fahrtstrecken denkbar

Die Mission von Chang'e-4 dürfte interessant werden – und hoffentlich etwas andauern: Das Landegestell verfügt für seine stationär arbeitenden Instrumente über eine Radioisotopbatterie, die während der 14 Erdtage langen und entsprechend kalten Mondnächte neben Wärme auch Strom produziert, ein Novum für chinesische Raumsonden. Die Reise des neuen Rovers über die bislang nie zuvor aus der Nähe untersuchte Landschaft der Mondrückseite soll mindestens einen Mondtag lang andauern – so lange versorgt die Sonne die Solarzellen mit Strom und hält die Elektronik des Fahrzeugs warm. Schon der Vorgänger Yutu war für ein Jahr auf dem Mond und Fahrtstrecken weit über zehn Kilometer ausgelegt. Doch Yutus Antrieb versagte noch in der ersten Mondnacht, als der Rover gerade einmal 114 Meter weit gefahren war. Für diesen Ausfall war chinesischen Raumfahrtvertretern »ein sehr kleiner Teil« der Hardware verantwortlich. Der Fehler sei nun behoben und der Nachfolger könnte somit monatelang in Betrieb sein – um möglichst viele kleinere Krater und Felswände der Umgebung anzusteuern.

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