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Sinne: Geschulte Ohren

In manchen Sprachen macht der Ton die Bedeutung - genau hinhören ist daher ebenso wichtig wie die richtige betonte Aussprache. Wer derart geschult wird im Klang hinter den Worten, sollte sich auch besser zurechtfinden in der Welt der Musik - oder nicht?
Gitarre
Will jemand in China ein Pferd kaufen und bekommt stattdessen Ärger mit der Drogenfahndung, dann hat er oder sie sich im Ton vergriffen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn in Mandarin, der dortigen Staatssprache, verrät häufig nur die Tonhöhe, was der Sprecher sagen will. So kann das Mandarinwort "Ma" neben Pferd oder Hanf – je nach Tonlage – auch noch Mutter oder Tadel bedeuten. Und im Thailändischen wird aus dem gewünschten Pullover ganz schnell ein Tiger, der sich wohl eher selten im Kaufhaus erstehen lässt, schon gar nicht in der Modeabteilung.

In diesen so genannten tonalen Sprachen brauchen Menschen also ein gutes Ohr für Tonhöhen. Und das haben sie: Als Diana Deutsch von der Universität von Kalifornien in San Diego und ihre Kollegen vor fünf Jahren Muttersprachler tonaler Sprachen lange Wortlisten aus dem Gedächtnis rezitieren ließen, zeigten die Teilnehmer ein verblüffendes Tonhöhengedächtnis. Doch sind sie nicht die einzigen, die darauf angewiesen sind, denn auch für Musiker ist diese Eigenschaft grundlegend für Kunst und Beruf. Haben Vietnamesen daher auch ein feineres Ohr in der Welt der Musik als Europäer oder Amerikaner, deren Sprachen auf die Tonhöhe als Bedeutungsgeber verzichten?

Also versammelten Deutsch und ihre Mitarbeiter erneut Freiwillige zur Hörprobe. Diesmal baten sie Musikstudenten zweier renommierter Einrichtungen: des Zentralkonservatoriums in Peking und der Eastman School of Music in Rochester. Die zweihundert Erstsemester unterschiedlicher Muttersprache sollten mindestens 31 von 36 verschiedenen Tönen aus drei Oktaven richtig benennen.

Wie auch immer die Zugangsvoraussetzungen zu den erlauchten Anstalten gewesen sein mögen, was das absolute Gehör betrifft, schnitten die Chinesen deutlich besser ab: Etwa die Hälfte der dortigen Studenten erkannte die Töne korrekt, während nicht einmal ein Viertel ihrer Gegenparts aus den USA die Aufgabe meisterte. Tolerierten die Forscher auch noch einen Fehler von einem Halbton, zeigte sich die Überlegenheit noch ausgeprägter. Alter zum Zeitpunkt des Experiments oder Geschlecht spielten keine Rolle. Dabei erwiesen sich die Studenten als umso treffsicherer, je früher sie mit ihrer musikalischen Ausbildung begonnen hatten. Fand der erste Klavier- oder Geigenunterricht schon im zarten Alter von vier bis fünf Jahren statt, konnten etwa 60 Prozent der Pekinger und 14 Prozent der Rochester-Studenten mit einem absoluten Gehör brillieren. Startete der Unterricht erst im achten oder neunten Lebensjahr, gelang dies immerhin noch 42 Prozent der Chinesen, aber keinem der Amerikaner mehr.

Das nun wiederum machte Deutsch und ihre Kollegen stutzig. Denn es erinnert fatal an jenes Zeitfenster, in dem Kinder am einfachsten, nahezu spielerisch eine Zweitsprache lernen – je später das Vokabelpauken einsetzt, desto schwieriger wird es, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß. Und da Kinder im Umfeld einer tonalen Sprache intensiv auf die bedeutungsvolle Tonhöhe lauschen müssen, schulen sie auf diese Weise eine womöglich bereits vorhandene Begabung in diesem Sinne gleich mit, spekulieren die Wissenschaftler.

Frühere Studien hatten allerdings gezeigt, dass auch Kinder in atonalen Sprachräumen empfindlich auf Unterschiede in der absoluten Tonhöhe reagieren – die einschläfernde Wirkung von Gute-Nacht-Liedern könnte ernsthaft gefährdet sein, wenn die mütterliche Sopranistin durch den väterlichen Bass ersetzt wird. Ob damit das absolute Gehör eine reine Lernangelegenheit ist, die sich trainieren lässt – im Idealfall mit dem Spracherwerb –, oder von Geburt an vorliegt und bei mangelndem Gebrauch verloren geht, bleibt damit noch ungeklärt.

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