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Synthetische Biologie: Hefe mit zur Hälfte künstlichem Erbgut

Designt, verändert und vollkommen neu zusammengesetzt: Das Erbgut eines neuen Hefestamms ist zu mehr als der Hälfte im Labor geschaffen. Bald soll das ganze Genom künstlich sein.
3d-Rendering der Bierhefe Saccharomyces cerevisiae.
Mit mehr als 60 000 Todesopfern im Jahr allein in Deutschland ist die Bierhefe einer der gefährlichsten Mikroorganismen der Welt.

Biologen haben eine Hefevariante erzeugt, deren Genom zu mehr als 50 Prozent aus synthetischer DNA besteht. Normale Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae) speichert ihren genetischen Bauplan in 16 Chromosomen. In der neuen Version sind sechs davon sowie ein Teil eines siebten im Labor künstlich hergestellt und verändert worden – hinzu kommt ein weiteres, das die Fachleute ganz neu aus verschiedenen Teilen des Hefegenoms zusammensetzten. Insgesamt machen die synthetischen Genabschnitte mehr als die Hälfte aller Basenpaare im Hefeerbgut aus.

Diese Leistung ist der neueste Meilenstein für einen Zusammenschluss von Arbeitsgruppen, dem Sc2.0-Konsortium, das seit 15 Jahren versucht, eine Hefevariante mit einem vollständig künstlichen Genom herzustellen. Eine Sammlung von Veröffentlichungen, die nun in den Fachzeitschriften »Cell« und »Cell Genomics« erschienen ist, beschreibt das Ergebnis der Gruppe, wie sie die neue Hefe herstellte und welche anderen Tests sie mit dem Hefegenom durchführte.

Einige Bakterien und Viren sind bereits mit vollständig künstlichem Genom erzeugt worden, aber sie alle haben ein relativ einfach strukturiertes Erbgut; das Bakterium Escherichia coli zum Beispiel hat lediglich ein einziges Chromosom. Außerdem haben sie auch einen einfacheren inneren Aufbau: So sind Bakterien Prokaryoten, das heißt Einzeller ohne Zellkern, der ihre Chromosomen beherbergen würde. Hefe dagegen gehört wie Tiere und Pflanzen zu den Eukaryoten, die alle ihr Erbgut in einem Zellkern lagern. Wenn die Sc2.0-Gruppe, die aus Fachleuten in Asien, Europa, Nordamerika und Ozeanien besteht, ihr Ziel erreicht, wäre ihre Hefe der erste Eukaryot mit einem vollständig künstlichen Genom.

Tiefer Blick in die Biologie der Hefe

Die Sc2.0-Kollaboration hofft, ihre synthetische Bierhefe so manipulieren zu können, dass diese eines Tages Medikamente und Treibstoffe produzieren kann statt Bier. Doch das Projekt habe auch darüber hinaus Nutzen, erläutert Jef Boeke, ein synthetischer Biologe an der New York University und Leiter des Projekts. Indem man den Organismus verändere, ohne sein Überleben zu beeinträchtigen, »lernen wir eine Menge über die Biologie der Hefe«, fügt er hinzu.

Nili Ostrov, wissenschaftliche Leiterin von Cultivarium, einer gemeinnützigen Firma in Watertown, Massachusetts, die neue Techniken für die Biotechnologie entwickelt, sagt, dass Sc2.0 »die Grenzen dessen verschiebt, was wir in der Biologie entwickeln können«. In der Vergangenheit haben sich Genetik-Fachleute darauf konzentriert, einzelne Gene in Organismen zu verändern. Jetzt sehen Biologen, was passiert, wenn sie ganze Chromosomen umgestalten. »Dadurch kann man Fragen stellen, die man vorher nicht stellen konnte«, so Ostrov. Dabei entwickelt das Projekt Methoden, die die Biotechnologie voranbringen könnten, sagt sie.

Eines der Hauptziele von Sc2.0 ist es, potenzielle Quellen von Instabilität im Hefegenom zu beseitigen. Eine solche Quelle sind lange Abschnitte sich wiederholender DNA, die keine Funktion codieren, aber durch natürliche Prozesse miteinander rekombinieren können, was zu großen strukturellen Veränderungen im Genom führt. Die synthetischen Biologen wollen die vollständige Kontrolle über ihre gentechnisch veränderte Hefe haben. Deshalb durchkämmte das Team das Genom von S. cerevisiae mit Computerprogrammen, um solche sich stark wiederholenden Regionen zu finden – und entfernte sie dann. Diese Sequenzen sind quasi »Genom-Parasiten«, sagt Jef Boeke.

Um die Instabilität zu verringern, nahmen die Fachleute eine weitere Änderung vor: Sie entfernten alle DNA-Abschnitte, die für Transfer-RNA (tRNA) codieren, aus den Chromosomen und verlagerten sie in ein vollständig synthetisches »Neochromosom«. Transfer-RNAs sind entscheidend für das Funktionieren einer Zelle – sie transportieren Aminosäuren zum Ribosom, das aus den Molekülen Proteine herstellt. Doch laut Boeke sind die DNA-Sequenzen, die für sie codieren, »Hotspots für Instabilität«. Diese Sequenzen in ein eigenes, neues Chromosom zu verlagern, das auf größere Stabilität ausgelegt ist, gab dem Team die Möglichkeit, die synthetische Hefe besser zu kontrollieren und die Grenzen der Biologie auszuloten.

Der schwierigste Teil kommt noch

Um die 7,5 synthetischen Chromosomen in einer einzigen Zelle zusammenzubringen, stellte das Team Hefestämme her, die jeweils eines der bearbeiteten Chromosomen sowie die natürlichen Versionen der anderen 15 enthielten. Dann kreuzten sie zwei der Stämme und wählten Nachkommen aus, die zwei verschiedene editierte Chromosomen enthielten. Diese Stämme kreuzten sie dann weiter, um noch ein editiertes Chromosom hinzuzufügen, und so weiter. Trotz all der großen Veränderungen in den Chromosomen überlebten die Zellen mit den 7,5 Chromosomen und konnten sich vermehren, erklärt Boeke.

Die Herstellung der Zellen sei zwar zeitaufwändig gewesen, aber was die Sache wirklich verlangsamte, war die Fehlersuche, sagt Boeke. Die Fachleute mussten zunächst testen, ob jede Hefezelle mit einem neuen synthetischen Chromosom lebensfähig war – ob sie überlebten und normal funktionierten –, und dann eventuelle Probleme beheben, indem sie den genetischen Code veränderten. Wenn sich zwei oder mehr synthetische Chromosomen in derselben Zelle befinden, kann dies zu neuen Fehlern führen, die behoben werden müssen. Dadurch wird die Suche nach Fehlern mit fortschreitendem Prozess immer komplexer.

Das Sc2.0-Projekt ermögliche es den Wissenschaftlern, Dinge zu testen, die zuvor unmöglich waren, sagt Nili Ostrov. Zum Beispiel: »Was passiert, wenn man Chromosomen einführt, die vorher nicht da waren?« Laut Boeke arbeitet das Team nun daran, die verbleibenden natürlichen Chromosomen durch vollständig synthetische zu ersetzen, neue Chromosomen nach und nach hinzuzufügen und das immer komplexer werdende System zu debuggen. »Es wird viel Zeit in Anspruch nehmen, das Ganze noch einmal zu wiederholen«, betont er.

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