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Klimaangst: »Für sich genommen ist Angst nicht gefährlich«

Psychologen warnen davor, die Furcht vor dem Klimawandel als unnötig abzutun oder kleinzureden. Vielmehr gehe es darum, mit dem Gefühl sinnvoll umzugehen, erklärt der Psychotherapeut Malte Klar.
Demonstranten

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit sind inzwischen ein großes Forschungsthema. Kein Wunder: Da weltweit immer mehr Regionen von Flutkatastrophen, Waldbränden, Dürren und Hurrikans heimgesucht werden, steigen in der dortigen Bevölkerung Posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen sowie Suizide sprunghaft an. Das gilt für Entwicklungsländer ebenso wie für Industrienationen, etwa die USA oder Australien, wo bereits spezialisierte Behandlungsangebote für erkrankte Menschen geschaffen wurden. Aber auch subtilere Veränderungen (wie extreme Sommerhitze) oder die gedankliche Vorwegnahme weiterer Folgen des Klimawandels belasten viele Menschen. So haben hier zu Lande laut einer Befragung im Sommer 2020 von rund 2400 Jugendlichen und Erwachsenen 44 Prozent Angst davor, dass Naturkatastrophen häufiger werden und Deutschland immer öfter von Dürre, Hitzewellen oder Starkregen betroffen sein wird. 40 Prozent der Befragten befürchten zudem dramatische Folgen für die Menschheit als solche. Die Sorge vor Corona-Infektionen erreichte deutlich geringere Werte. Der Klimawandel wächst sich nach Ansicht von Forschern zunehmend zu einer psychischen Belastungsprobe aus. Wie können wir uns der Krise stellen, ohne daran zu verzweifeln?

Warum vermeiden es viele Menschen, sich intensiver mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen?

Malte Klar: Kurz gesagt, weil es wirklich unangenehm ist. Die Klimakrise stellt eine ernste Bedrohung dar. Aber nur weil es vernünftig ist, sich mit Gefahren zu beschäftigen, heißt das nicht, dass es uns leichtfällt. Zum Glück sind Menschen nicht nur darauf programmiert, Unangenehmes zu vermeiden, sondern auch darauf, ihren Nachwuchs zu schützen und sich kooperativ zu verhalten.

Wie lassen sich Panik und Angstgefühle angesichts der Erderwärmung verhindern?

Eine gewisse Angst vor dem Klimawandel ist zunächst einmal angemessen und gesund. Die Klimakrise ist Wirklichkeit. Deshalb handelt es sich um eine so genannte Realangst, die uns zum Handeln auffordert. Es wäre fatal, ein solches Warnsystem abzuschaffen.

Malte Klar | ist psychologischer Psychotherapeut und arbeitet an der Berliner Universitätsklinik Charité. Zudem unterstützt er bei »Psychologists/Psychotherapists for Future« Klimaschützer dabei, die Krise emotional zu bewältigen.

Dann sind Klimaängste medizinisch gesehen nicht problematisch?

Nein, man kann zwischen dem Gefühl und seinem Umgang damit unterscheiden. Verdränge ich die Angst, statt sie anzunehmen, wird es schwierig. Manche Menschen verlieren sich gedanklich in Katastrophenszenarien – ein letztlich wenig erfolgreicher Versuch, sich vom Gefühl abzulenken. Das darf mal passieren. Wenn ich aber nie lerne, meine Angst zu akzeptieren, verfestigt sich der Widerstand und führt zu Störungen. Diese haben dann Namen wie Depression oder generalisierte Angststörung.

>Wie schafft man es, gesünder mit dieser Emotion umzugehen?

Ein Mittel sind Achtsamkeitsübungen: die Gedanken immer wieder ziehen lassen und Gefühle zulassen. Nicht alles glauben, was wir dabei denken, sondern sich mit der Angst anfreunden. Niemand muss das einfach so können, es ist ein lebenslanger Lernprozess. Wichtig ist, dass man die richtige Richtung einschlägt: weg von der Vermeidung, hin zu einem gelasseneren Umgang mit seinen Gefühlen.

Und wie geht das konkret?

Für sich genommen ist Angst nicht gefährlich. Sie kommt und geht in Wellen, bleibt also nicht auf Dauer. Verstehe ich, dass sie eine gesunde Funktion hat und mich informiert, fällt es leichter, sie zu akzeptieren. Und selbst wenn ich sie noch nicht verstehe, kann ich üben, verständnisvoller damit umzugehen, und Selbstmitgefühl entwickeln. Hilfreich ist es dabei, das Gefühl nicht abzuspalten, sondern bewusst im Körper zu spüren und sich auf das Atmen zu konzentrieren. Es kann sein, dass ich in diesem Moment nicht rational und lösungsorientiert denke. Aber wenn die Angst durch mich durchgezogen ist, setzt der gesunde Menschenverstand wieder ein. Daraus ergibt sich ein informiertes, reiferes Handeln. Das Rezept lautet FDH: erst fühlen, danach denken, dann handeln.

Was meinen Sie mit Selbstmitgefühl? Wo ist da der Unterschied zum Selbstmitleid?

Beim Selbstmitleid lehne ich die Angst ab, fühle mich jedoch elend, weil ich mich in der Geschichte dazu verliere. Beim Selbstmitgefühl nehme ich mich zusammen mit meiner Angst wohlwollend an – etwa so, wie ich ein Kind trösten würde, wenn es sich das Knie aufgeschürft hat: nicht indem ich dessen Schmerz oder Angst verleugne, sondern indem ich es liebevoll in den Arm nehme und die Wunde versorge.

Angesichts von Massendemonstrationen und Aktionen von Extinction Rebellion: Wie viel Wut tut gut?

Schöne Frage! Natürlich kann es hin und wieder helfen, sich Luft zu machen und seinen Ärger zu artikulieren. Handlungen aus Wut sollten aber immer eine bewusste Entscheidung bleiben, denn aus dem Affekt heraus bewirken sie oft das Gegenteil vom Erhofften. Das passiert, wenn wir uns aus Wut dem anderen gegenüber abwertend oder beleidigend verhalten. Dann gehen der gegenseitige Respekt und die Augenhöhe verloren. Auch bei Extinction Rebellion versucht man dies zu berücksichtigen. Uns Menschen verbindet stets mehr miteinander, als uns trennt – das nicht aus dem Blick zu verlieren, ist allerdings eine Kunst.

»Anstatt aufzugeben, kann es helfen, eine Pause einzulegen«

Mitunter macht sich unter Klimaaktivisten eher Zynismus breit ...

Wenn man sich in der Wut verliert, sich tief gekränkt oder hilflos fühlt, kann das zu Resignation und Verbitterung führen – nach dem Motto »Das bringt doch alles sowieso nichts«. Anstatt aufzugeben, kann es dann helfen, eine Pause einzulegen und sich vielleicht psychologische Unterstützung zu suchen.

Welche Erfahrungen machen Sie in den Gesprächsrunden zum emotionalen Umgang mit der Krise?

Häufig weinen Eltern, die sich um die Zukunft ihrer Kinder sorgen. Einige sind traurig, weil sie eigentlich gern Kinder hätten, aber nicht sicher sind, ob sie ihnen eine solche Welt zumuten können. Das berührt mich sehr. Oft geht es um die Frage der Klimagerechtigkeit, etwa, dass diejenigen, die am meisten zur Krise beitragen, am wenigsten selbst darunter leiden, und umgekehrt. Nachdenklich werde ich, wenn mir die Gespräche meine Privilegien bewusst machen. Für viele Menschen ist es wegen beruflicher oder persönlicher Verpflichtungen wesentlich schwieriger als für mich, sich für den Klimaschutz einzusetzen. Manchmal entwickeln sich bei ihnen daraus Schuldgefühle bis hin zur Depression.

Vom 31. Oktober bis zum 12. November 2021 fand in Glasgow das 26. Treffen der Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention von Rio (Conference of the Parties, COP) statt. Unsere aktuelle Berichterstattung können Sie im Liveblog nachlesen. Mehr rund um Klimawandel und Klimaschutz auf unserer Themenseite.

Wann sollten Menschen, die sich auf Grund der Klimakrise ohnmächtig, panisch oder depressiv fühlen, psychologische Hilfe in Anspruch nehmen?

Generell immer dann, wenn sie sich schlecht fühlen und sich Unterstützung wünschen: Es ist die Aufgabe der Fachleute einzuschätzen, ob ein Sprechstundengespräch reicht oder eine Psychotherapie angezeigt ist. Es gibt allerdings auch Frühwarnzeichen, etwa wenn der Schlaf leidet und man nicht mehr abschalten kann. Auf der Seite therapie.de findet man zum Beispiel kurze Selbsttests zu den Symptomen von Ängsten und Depression.

Kann Ihrer Ansicht nach der Klimawandel die alleinige Ursache für eine Depression oder Angststörung sein?

Es gibt immer eine Vielzahl von persönlichen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren. Eine wichtige Rolle spielt die individuelle Resilienz, also die psychische Widerstandsfähigkeit, die wiederum auch von der Selbstfürsorge abhängt: Wie viel Halt geben mir meine Beziehungen? Finde ich einen Ausgleich durch Sport oder andere Freizeitaktivitäten? Komme ich bei Aufenthalten in der Natur zur Ruhe?

Schadet es, sich immer wieder verstörende Bilder von Umweltzerstörung anzuschauen?

Vor den Tatsachen die Augen zu verschließen, löst keine Probleme. Deshalb ist eine regelmäßige Auseinandersetzung mit der Klimakrise wichtig. Doch die Dosis macht das Gift. Wir können uns nicht ständig und permanent damit beschäftigen, sondern brauchen Pausen und eine gute Selbstfürsorge.

»Junge Menschen werden letztlich gravierender von der Klimakrise betroffen sein«

Wie kommen Jugendliche emotional mit der Klimakrise zurecht?

Jugendliche erleben in der Pubertät Gefühle intensiver, haben aber noch nicht so viel Erfahrung und Übung im Umgang damit wie Erwachsene. Außerdem werden junge Menschen letztlich gravierender von der Klimakrise betroffen sein, was sowohl die Vermeidung als auch die Emotionen verstärken kann. Im Durchschnitt ist ihnen das Thema deshalb entsprechend wichtiger als älteren. Wenn sich Kinder und Jugendliche dann politisch engagieren, ist das einerseits bewundernswert, andererseits birgt es die Gefahr, dass sie zu früh in eine Erwachsenenrolle schlüpfen, die eigentlich ihre Eltern übernehmen sollten. In der Psychotherapie nennen wir das Parentifizierung.

Wie können Eltern und andere Erwachsene junge Menschen, die sich wegen des Klimawandels sorgen, psychologisch unterstützen?

Das Wichtigste ist, im ehrlichen Gespräch darüber zu bleiben und sie ernst zu nehmen. Zudem kann man ein Vorbild sein und gemeinsame Aktivitäten finden, um das Klima zu schützen, wie zusammen an Demonstrationen teilzunehmen. Das Handeln fördert den Gemeinsinn sowie die Selbstwirksamkeit, also das Gefühl, etwas bewirken zu können.

Wie erkennen Eltern, ob ihr Kind eine Angststörung oder Depression entwickelt hat?

Eltern müssen zum Glück nicht selbst eine Diagnose stellen. Wer eng im Kontakt mit seinem Kind ist, wird merken, ob es ihm gut geht oder nicht. Insbesondere Jugendliche ziehen sich aber mitunter zurück. Vernachlässigen sie Freundschaften und Freizeitaktivitäten, schreiben plötzlich schlechtere Noten, schwänzen den Unterricht und wirken unglücklich, sind das natürlich Warnzeichen. Dann sollte man in der Schule nachfragen, eventuell eine Beratungsstelle aufsuchen und gegebenenfalls eine Therapie ermöglichen.

Kann man sich der Folgen der Klimaerwärmung bewusst und trotzdem glücklich sein?

Wenn ich schwierige Gefühle zulasse, kann ich auch schöne intensiver erleben, etwa Dankbarkeit dafür empfinden, was ich jetzt habe. Sie dürfen sich abwechseln, dadurch fühlen wir uns lebendig.

Sehen Sie die Klimakrise auch als Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln?

In erster Linie ist der Klimawandel wohl eher eine Katastrophe. Aber vielleicht schaffen wir es, nicht nur die Geschichte der Krise zu erzählen, sondern aus der Notwendigkeit heraus auch eine Geschichte der Lösungen zu schreiben. Es wird nicht alles einfach wieder gut, doch die Forschung, etwa zu posttraumatischem Wachstum, zeigt, dass Menschen in der Regel eher gestärkt aus Krisen hervorgehen. Wenn wir uns emotional der Faktenlage bewusst werden, können Gefühle eine bemerkenswerte Energie entfalten. Sie zeigen uns, was uns wirklich am Herzen liegt, und machen es leicht, sich konsequent für unsere Werte einzusetzen. So werde ich immer mehr zu der Person, die ich eigentlich sein will.

Wird dieser Bewusstseinswandel in Bezug auf den Klimawandel etwas bewirken?

Wenn wir eine attraktive Vision entwickeln, kann das durchaus Kraft für die notwendige große Transformation entfalten: autofreie, grüne Städte, in denen wir sicherer und stressfreier leben; öffentliche Verkehrsmittel, die uns kostenlos überall hinbringen; gemeinsame Gärten in der Stadt, in denen Menschen einander näherkommen. Für solche Ziele wollen sich vielleicht auch ganze Gesellschaften verändern.

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  • Quellen

Clayton, S., Karazsia, B.: Development and validation of a measure of climate change anxiety. Journal of Environmental Psychology 69, 2020

Clemens, V. et al.: Report of the intergovernmental panel on climate change: Implications for the mental health policy of children and adolescents in Europe – a scoping review. European Child & Adolescent Psychiatry 10.1007/s00787–020–01615–3, 2020

R+V-Infocenter-Studie: Die Ängste der Deutschen. Repräsentative Umfrage vom 8. Juni bis zum 21. Juli 2020. Online unter: www.die-aengste-der-deutschen.de

Dieser Artikel im Internet: www.spektrum.de/artikel/1817468

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