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Covid-19: Gegenmittel dringend gesucht

Hilft ein HIV-Mittel gegen das neue Coronavirus? Stammzelltherapie? Oder doch traditionelle chinesische Medizin? Vieles wird erprobt, nicht alles ist sinnvoll. Die WHO bemüht sich um Ordnung.
Forscher suchen nach Behandlungen für Menschen, die sich mit dem neuen Coronavirus angesteckt haben.

In China gibt es mehr als 80 laufende oder anstehende klinische Studien, in denen Forscherinnen und Forscher untersuchen, wie sich Menschen vor einer Ansteckung schützen lassen und wie die Krankheit Covid-19 künftig zu behandeln ist. Sie wird von einem neuen Coronavirus verursacht, das seit Ende des Jahres 2019 bekannt ist. An den Folgen des Erregers namens Sars-CoV-2 sind bisher fast 1400 Menschen gestorben, mehr als 48 000 Menschen in ganz China sind infiziert.

Noch ist keine Heilung für Covid-19 bekannt, und Ärzte sind bestrebt, den Betroffenen zu helfen – doch Wissenschaftler warnen davor, dass nur sorgfältig durchgeführte Studien feststellen können, welche Maßnahmen funktionieren. In einem öffentlichen Register sind derweil neue Arzneimittel neben 1000-jährigen traditionellen Therapien als mögliche Behandlungen gelistet, täglich kommen weitere hinzu.

Soumya Swaminathan ist leitende Wissenschaftlerin der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie sagt, dass ihre Teams eine Bestandsaufnahme der vielen Versuche in China gemacht und einen Plan für ein klinisches Versuchsprotokoll erstellt haben. Dieses könnten letztlich Mediziner auf der ganzen Welt anwenden. Falls die Studien aus China, die jeweils bis zu 600 Personen umfassen, nicht mit strengen Standards für Parameter wie Kontrollgruppen, Randomisierung und Messung der klinischen Ergebnisse konzipiert werden, könnten die Bemühungen vergeblich sein. Deshalb arbeitet die WHO mit chinesischen Wissenschaftlern zusammen, um von Anfang an Standards zu setzen.

Alle sollen wissen, was funktioniert und was nicht

Beispielsweise sollten Forscherinnen und Forscher unabhängig von der getesteten Behandlung auf dieselbe Weise messen, ob es einem Patienten schlechter oder besser geht. »Wir können hoffentlich Struktur in das Ganze bringen«, sagt Swaminathan. »Die klinischen Studien zu organisieren, hat Priorität, denn wenn wir Informationen darüber haben, was funktioniert und was nicht, kommt das den Patienten sofort zugute.«

Lesen Sie mehr zum Thema in unserer ausführlicher Coronavirus-FAQ. Unter anderem:
- Wie ansteckend ist Covid-19?
- Wann wird es einen Impfstoff geben?
Alle Artikel über das neue Coronavirus, das sich weltweit verbreitet, finden Sie auf unserer Themenseite.

In China haben bereits Versuche mit Medikamenten begonnen, die in den Masterplan der WHO aufgenommen werden sollen. Darunter Studien mit einer HIV-Medikamentenkombination (Lopinavir und Ritonavir) und Tests mit einem experimentellen antiviralen Mittel namens Remdesivir. Das chinesische Register für klinische Studien, eine Datenbank für biomedizinische Studien in China, listet diese Untersuchungen unter Dutzenden anderer kontrollierter Studien zu bestehenden Therapien, experimentellen Verfahren und traditionellen Arzneimitteln auf. Für diese Behandlungen gibt es unterschiedlich umfassende Belege für ihre Wirksamkeit.

Die beiden HIV-Medikamente blockieren Enzyme, die die Viren zur Vermehrung benötigen. In Tierversuchen haben sie die Konzentration der Coronaviren, die das schwere akute respiratorische Syndrom (Sars) und das respiratorische Syndrom des Nahen Ostens (Mers) verursachen, reduziert. Remdesivir, ein Nukleotid-Analogon des Biotechnologie-Unternehmens Gilead aus Foster City, Kalifornien, hat auch gegen Coronaviren bei Tieren einige Erfolge erzielt. Im Januar berichteten Forscher, dass eine Person in den Vereinigten Staaten eine Covid-19-Infektion überlebt hat, nachdem sie mit Remdesivir behandelt worden war. In der ersten Februarwoche startete China zwei placebokontrollierte Studien zu Remdesivir, an denen 760 Personen mit Covid-19 teilnehmen sollten. Die Studien sollen bis Ende April abgeschlossen sein, und Remdesivir könnte bereits im Mai von den chinesischen Behörden genehmigt werden, sagt Shibo Jiang. »Aber bis dahin könnte die Epidemie vielleicht schon vorbei sein«, so der Virologe an der Fudan-Universität in Schanghai.

China hat einige Versuche gestartet, in denen Chloroquin getestet wird, ein Malariamedikament, das das neue Coronavirus in Zellkultur abgetötet hat. Und Forscher untersuchen, ob Steroide die Entzündung bei Menschen mit schwerem Covid-19 vermindern oder Schäden verursachen. »Es wird interessant sein, diese Ergebnisse zu sehen«, sagt Yazdan Yazdanpanah, ein Epidemiologe der nationalen Gesundheitsbehörde Frankreichs, INSERM, in Paris. Mediziner weltweit werden diese Informationen benötigen, wenn sich der Ausbruch weiter ausbreitet, fügt er hinzu.

Umstrittene Versuche mit Serum, Stammzellen und traditioneller Medizin

In einer weiteren Studie – einem 300 Personen umfassenden kontrollierten Versuch – testen Forscher Serum von Covid-19-Überlebenden. Die Idee dahinter: Die Antikörper, die eine erkrankte Person gebildet hat, um das Virus zu bekämpfen, helfen frisch Infizierten. Doch die Strategie hatte in den vergangenen Jahrzehnten bei der Behandlung anderer Erreger nur bescheidenen Erfolg.

Zwei Stammzellenversuche sind ebenfalls im chinesischen Register aufgeführt. In einem Fall wird ein Team am First Affiliated Hospital der Universität Zhejiang 28 Personen Stammzellen aus Menstruationsblut verabreichen und die Ergebnisse mit denen von Personen vergleichen, die die Infusion nicht erhalten haben. Bis heute gibt es nur minimale Hinweise darauf, dass Stammzellen Coronaviren beseitigen. Laut Swaminathan kann die WHO nicht kontrollieren, was die Forscher tun, sie verweist aber auf die Leitlinien für ethisch vertretbare Studien während Ausbrüchen, welche die WHO im Jahr 2016 veröffentlicht hat. In Kürze werde die Organisation einen leichter zugänglichen, kurzen Bericht zu diesem Thema herausgeben.

Etwa 15 im chinesischen Register aufgeführte Tests rechnen mit insgesamt mehr als 2000 Teilnehmern an Studien, die sich mit einer Vielzahl traditioneller chinesischer Medikamente befassen. Eine der größten unter ihnen bewertet Shuanghuanglian, eine chinesische Kräutermedizin, die Extrakte aus der getrockneten Frucht Forsythiae fructus enthält. Sie wird angeblich seit mehr als 2000 Jahren verwendet, um Infektionen zu behandeln. Die Studie hat bislang 400 Teilnehmer, darunter eine Kontrollgruppe, die eine Standardbehandlung, aber keine Placebo-Therapie erhalten hat.

Die WHO will überwachen, welche Versuche sinnvoll sind

Die WHO arbeitet mit chinesischen Wissenschaftlern zusammen, um das Design aller Studien zu standardisieren, einschließlich der Studien über traditionelle Medizin. Ihre Bemühungen gehen auf einen umstrittenen Schritt im Jahr 2019 zurück, bei dem die Organisation die traditionelle chinesische Medizin anerkannt hat. Kritiker argumentierten, dass die Anerkennung der WHO einer Billigung gleichkomme, aber Swaminathan widerspricht. Sie sagt, die Entscheidung helfe, die Tests von pflanzlichen Heilmitteln mit derselben Strenge zu bewerten, wie es von pharmazeutischen Untersuchungen erwartet wird: »Wir wollen einen wissenschaftlichen Ansatz zur Prüfung der traditionellen Medizin.«

Während diese Studien anlaufen, suchen die Forscher nach neuen Medikamenten, die mehrere Coronaviren bekämpfen würden; auch solche, die noch nicht aufgetaucht sind. Ein spitzenförmiges Protein auf der Oberfläche der Viren, die Sars, Mers und Covid-19 zu Grunde liegen, stellt ein verlockendes Ziel dar. Jiang und andere Forschergruppen haben bereits Verbindungen und Antikörper gefunden, die auf diesen Spike reagieren und verhindern könnten, dass Coronaviren in menschliche Zellen eindringen. Aber Emily Erbelding, Mikrobiologin an den US National Institutes of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, gibt zu bedenken, dass sich solche Studien noch in einem frühen Stadium befinden. Die Verbindungen müssten erst zu Mitteln entwickelt und an Tieren getestet werden. Um die Covid-19-Forschung voranzutreiben, kündigten die NIH Anfang Februar »dringende Zuschüsse« an.

Da es viele therapeutische Möglichkeiten gibt und die Zeit begrenzt ist, sollte die WHO laut Jiang beraten, welche Versuche weitergeführt werden sollten und welche nicht. Und er hofft, dass die Forschung nach besseren, breiteren Therapien nach dem Ausbruch fortgesetzt wird. »Ich befürchte, dass dies die gleiche Situation wie bei Sars sein wird«, sagt er, »wo die Arbeit beginnt und dann aufhört.«

Der Artikel ist im Original »More than 80 clinical trials launch to test coronavirus treatments« in »Nature« erschienen und für die deutsche Fassung von der Redaktion angepasst worden.

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