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Private Mond-Initiativen: Wer zahlt, darf fliegen

Private Unternehmen sollen künftig im Auftrag der Raumfahrtagenturen wissenschaftliche Instrumente zum Mond bringen. Auch Deutschland hat sich schon eingekauft.
Bislang hat keine Raumsonde jemals direkt die Pole des Mondes und das dort gespeicherte Eis erforscht.

Es gab eine Zeit, da hatte die deutsche Raumfahrt große Pläne, eine eigene Mondmission zum Beispiel. LEO hieß das Vorhaben, kurz für »Lunarer Erkundungsorbiter«. 2012 sollte die Sonde zum Mond aufbrechen und den Erdtrabanten dann vier Jahre lang mit einem Dutzend wissenschaftlicher Instrumente untersuchen. Am Ende, so das große Ziel, sollte die bis dahin detaillierteste Karte der Oberfläche des Erdtrabanten stehen.

Es war die Zeit, als im Wirtschaftsministerium mit Michael Glos ein gelernter Müllermeister für Deutschlands Raumfahrt zuständig war – und trotzdem alles möglich erschien. Selbst eine deutsche Mondlandung zogen die Verantwortlichen damals in Betracht. Als es allerdings daran ging, die 300 bis 400 Millionen Euro für den geplanten Orbiter im Bundeshaushalt lockerzumachen, scheiterte LEO kläglich. Das Geld floss stattdessen in ein neues Robotikzentrum – ausgerechnet in Glos' bayerischer Heimat.

Michael Glos ist lange vergessen, LEO noch länger. Und doch wird Deutschland 2021 – sofern alles glattgeht – zum Mond fliegen. Allerdings nicht mit einer eigenen nationalen Mission, und auch nicht, wie sonst üblich, mit der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat sich vielmehr bei einem privaten US-Unternehmen eingekauft: beim Start-up Astrobotic. Dessen Landesonde namens Peregrine soll noch dieses Jahr zur Mondoberfläche aufbrechen und einen bunten Mix aus wissenschaftlichen Instrumenten, Studenten-Robotern und kommerziellen Nutzlasten auf dem Erdtrabanten absetzen. Darunter das deutsche Strahlenexperiment.

Nichts geht mehr ohne private Anbieter

Es ist ein Novum in der Raumfahrt und zugleich ein Ausblick auf das, was die Zukunft bringen wird. Denn wenn es künftig zum Mond gehen soll – egal ob mit Sonden, Robotern oder Menschen –, wird kein Weg an privaten Unternehmen vorbeiführen.

»Commercial Lunar Payload Services«, kurz CLPS, hat die US-Raumfahrtbehörde NASA das Projekt getauft, mit dem sie in Zukunft Wissenschaft auf dem Mond betreiben will. Das »Commercial« steht dabei für die privaten Unternehmen, die die Forschungsflüge möglich machen sollen. Und das »Services« steht für ein völlig neues Denken: Bislang hatte die NASA die Raumsonden und oft auch die Raketen, die ihre Experimente ans Ziel bringen sollten, selbst entwickelt und gebaut. In Zukunft will sie diese Fähigkeiten nur noch zukaufen – als Dienstleistungen.

Peregrine-Lander von Astrobotic | Das US-Start-up will noch 2021 eine Sonde auf dem Mond absetzen. Mit an Bord: ein Strahlenmessgerät aus Deutschland.

»Wir werden unseren Partnern künftig sagen: Das ist unser Experiment, das soll zum Mond – macht uns ein Angebot, wie viel ihr für den Transport haben wollt«, sagte NASA-Manager Steve Clarke Ende 2019 beim Weltraumkongress IAC, auf dem er das Konzept vorstellte. Für das Geld müssen die kommerziellen Anbieter ein Rundum-Sorglos-Paket liefern: angefangen beim Einbau der Experimente über den Start und den Transport zum Mond bis zum Betrieb vor Ort und der Übermittlung der Messdaten zurück zur Erde.

Die NASA orientiert sich dabei an einem Konzept, das sie bereits im erdnahen Orbit erfolgreich umgesetzt hat: Private Unternehmen, allen voran SpaceX, übernehmen seit einiger Zeit den Transport von Fracht und zuletzt auch von Menschen zur Raumstation ISS. Die NASA hatte die Entwicklung dieser neuen Raumfahrzeuge einst großzügig gefördert, nun zahlt sie nur noch für die genutzten Transportkapazitäten.

2,2 Milliarden Euro für den Taxidienst zum Mond

Damit es künftig am Mond genauso läuft, will die Raumfahrtbehörde bis zum Jahr 2028 umgerechnet knapp 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen – verbunden mit der Hoffnung auf eine alsbald florierende private Infrastruktur: »Indem wir nur noch Mitfluggelegenheiten kaufen, anstatt die Transportsysteme selbst zu besitzen, können wir viel mehr erreichen, viel schneller und zu viel niedrigeren Kosten – und dabei einer von vielen Kunden unserer kommerziellen Partner sein«, hofft Clarke.

14 US-Unternehmen, die Angebote für CLPS-Aufträge unterbreiten dürfen, hat die NASA bislang ausgewählt. Das Bewerberfeld reicht von Start-ups, die bislang keinerlei Weltraumerfahrung haben, über den neuen Platzhirsch SpaceX bis hin zu altgedienten Raumfahrtkonzernen wie Lockheed Martin, die bereits am Apollo-Programm mitgewirkt haben.

Den Anfang aber macht ein Newcomer: Das erwähnte US-Start-up Astrobotic mit ihrer Landesonde Peregrine, zu Deutsch: Wanderfalke. Sie soll in der Lage sein, bis zu 100 Kilogramm zum Mond zu transportieren. Beim Erstflug stammen allein 14 Experimente von der NASA, die im Gegenzug 66 Millionen Euro an Astrobotic überwiesen hat. Die Messinstrumente der Raumfahrtbehörde sollen unter anderem erkunden, wie die Landung von Sonden den Mondstaub verändert, welche flüchtigen Stoffe dort vorhanden sind und ob sich Spuren von Wassereis finden lassen.

Auch die mexikanische Raumfahrtagentur ist mit einem Experiment an Bord – und eben die deutsche: Mit Hilfe eines Detektors namens M-42 will das DLR die kosmische Strahlung auf der Mondoberfläche vermessen. Die Forschenden erhoffen sich davon Erkenntnisse, welche Folgen die gefährlichen Strahlen für künftige Missionen mit Menschen haben könnten. Das kommerzielle Dienstleistungsangebot von Astrobotic biete die »perfekte Voraussetzung« für solch ein Experiment, lässt sich DLR-Projektleiter Thomas Berger in einer Pressemitteilung zitieren.

Abrechnung per Kilogramm

Abgerechnet wird bei Astrobotic, wie in der Metzgerei, pro Kilogramm: 1,2 Millionen Dollar (etwa eine Million Euro) kostet laut Preisliste der Transport von einem Kilogramm Nutzlast zur Mondoberfläche. Ein Watt elektrische Leistung ist im Preis inbegriffen, zusätzlicher Bedarf wird extra berechnet. Fürs kleine deutsche Strahlenexperiment spuckt der Angebotsrechner von Astrobotic einen Preis von etwa einer halben Million Euro aus. Ein Schnäppchen, insbesondere wenn man es mit den Kosten der vor Jahren verworfenen DLR-Mondmission LEO vergleicht.

An Bord von Peregrine befinden sich zudem mehrere studentische Roboterfahrzeuge, ein Kunstprojekt und – ganz wie es sich die NASA erhofft hat – erste kommerzielle Ideen. Unter anderem will der deutsche Logistikkonzern DHL persönliche Erinnerungsstücke zum Mond befördern. Ein Mini-Schächtelchen, ein paar Millimeter hoch und so groß wie ein Daumennagel, soll knapp 400 Euro kosten.

Alles nichts Weltbewegendes, weder die Wissenschaft noch der Kommerz, aber ein erster, vorsichtiger Schritt. Die Vorsicht scheint berechtigt, da es sich um einen doppelten Jungfernflug handeln wird: Nicht nur Peregrine, der Falke, steht vor seinem ersten Einsatz, auch die Rakete vom Typ Vulcan ist noch nie gestartet.

Landestelle | Das private Peregrine-Landemodul soll am Krater Lacus Mortis landen.

Zudem blickt die kommerzielle Mondfahrt auf eine bislang eher wenig rühmliche Geschichte zurück. Angefangen hat alles Mitte 2007 mit dem Google Lunar X-Prize, einem Wettbewerb des ebenso umtriebigen wie umstrittenen Tech-Millionärs Peter Diamandis. Dotiert mit einem oftmals hohen Preisgeld soll ein »X-Prize« private Unternehmen zu technologischen Durchbrüchen und neuen Geschäftsfeldern anspornen. So führte der Ansari X-Prize im Sommer 2004 zum ersten privaten Raumflug eines Menschen – und zur Hoffnung, den Grundstein einer milliardenschweren Industrie für Touristenflüge ins All gelegt zu haben. Fast 17 Jahre später ist allerdings noch immer kein zahlender Tourist in eines der erhofften suborbitalen Raumflugzeuge geklettert.

Der Google Lunar X-Prize endete noch ernüchternder. 20 Millionen Dollar sollte dasjenige Unternehmen bekommen, das als erstes auf dem Mond landet, 500 Meter zurücklegt und Bilder zur Erde funkt. 33 Konkurrenten bewarben sich ursprünglich um den Preis, darunter auch zwei deutsche Initiativen. »C-Base Open Moon« strich allerdings bald die Segel, während die Berliner »Part-Time Scientists« lange als Favoriten gehandelt wurden, dann aber an einer der letzten Hürden scheiterten. Obwohl die Organisatoren des Preises die Frist für den ersten kommerziellen Mondflug immer und immer wieder verlängerten, erreichte letztlich keiner der Teilnehmer auch nur die Startrampe. Und so wurde der Lunar X-Prize am Ende eingestampft.

Das Comeback von Astrobotic

Astrobotic, ursprünglich eine Ausgründung der US-amerikanischen Carnegie Mellon University, war einer der damaligen Wettbewerber. Jetzt soll es klappen mit der Mondlandung, dank der Millionen aus dem Etat der NASA. Das Start-up aus Pittsburgh ist damit nicht allein. Insgesamt sechs Aufträge für den Transport von Experimenten zum Mond hat die NASA bislang vergeben. Die Flüge sollen dabei aufeinander aufbauen, erklärte Steve Clarke auf dem Weltraumkongress IAC. Was zunächst als Technologiedemonstrator fliegt – egal ob Kamera oder Bohrer –, soll sich bei einer späteren Mission zum voll einsatzfähigen wissenschaftlichen Instrument verwandeln.

Vorläufiger Höhepunkt der ersten sechs Missionen soll der Transport eines Rovers zum Südpol des Mondes sein. Er heißt VIPER und soll abermals von Astrobotic zum Erdtrabanten gebracht werden – dieses Mal allerdings mit einer größeren Landefähre und mit einer Schwerlastrakete vom Typ Falcon Heavy. Bis zu 100 Tage lang könnte VIPER nach gefrorenem Wasser auf und unter der Oberfläche des Mondes suchen; knapp 170 Millionen Euro erhält Astrobotic dafür von der NASA. Wirklich kostendeckend ist das nicht, schließlich kostet allein ein Start mit der SpaceX-Schwerlastrakete zwischen 75 und 125 Millionen US-Dollar. So muss das Start-up wohl weitere zahlungskräftige Kunden gewinnen – ganz so, wie es die Raumfahrtbehörde wünscht.

Die Privatwirtschaft-Initiative ist also durchaus ambitioniert, Branchenkenner rechnen fest mit Verzögerungen, Rück- und Fehlschlägen. Doch das plant die NASA ein und verteilt deshalb die Aufträge auf so viele unterschiedliche Unternehmen. Die Chance, am Ende eine kommerzielle Transportinfrastruktur zum Mond zu bekommen und auf Dauer viel Geld bei eigenen Wissenschaftsmissionen zu sparen, ist einfach zu groß. Zudem stehe der Service allen internationalen Partnern offen, betont Clarke – entweder über die NASA oder, wie jetzt im Fall des DLR, direkt bei den lunaren Transportunternehmen. Wer zahlt, darf fliegen.

Für die deutschen und auch für die europäischen Mondforscher dürfte es auf absehbare Zeit sogar die einzige Möglichkeit sein, ihre Experimente schnell und problemlos zum Erdtrabanten zu bekommen: Zwar plant auch die ESA ihre allererste Mondlandung, nachdem zuletzt China mehrfach dort gelandet ist und sogar Israel und Indien es versucht haben, damit allerdings scheiterten. Europas angepeilte Mission, vorläufig EL3 genannt, wird jedoch weder kommerziell noch billig sein und schon gar nicht schnell: Ersten Plänen zufolge soll sie frühestens 2027 abheben.

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