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GMO-Babys in China: Nebenwirkungen des CRISPR-Menschenversuchs befürchtet

Die Gene, die bei den chinesischen »CRISPR-Babys« manipuliert wurden, haben auch eine Funktion für das Gehirn, wie Experimenten an Mäusen belegen. Ob dies Folgen für die Mädchen hat, ist völlig unklar.
In-vitro-Befruchtung einer blauen Eizelle

In China leben seit 2018 die beiden Babys »Lulu« und »Nana« mit gentechnisch verändertem Erbgut: Ein Forscherteam um den Genetiker He Jiankui hat ihre DNA mit Hilfe des CRISPR/Cas9-Systems manipuliert. Dabei hatte der mittlerweile suspendierte Wissenschaftler eine Reihe von wissenschaftlichen und ethischen Richtlinien umgangen und ein Moratorium zum Verzicht auf die Manipulation von lebensfähigen menschlichen Embryonen ignoriert. Während nach dem Skandal die Aufräumarbeiten in den beteiligten Forschungseinrichtungen und der Wissenschaftscommunity andauern, bleibt weitgehend unklar, wie groß der Schaden ist, den die Menschenversuche bei den Kindern und weiteren noch ungeborenen manipulierten Embryonen angerichtet haben. Überprüfbare wissenschaftliche Fakten darüber fehlen – es gibt aber Grund zu der Annahme, dass die gezielte Genmanipulation bei den Kindern nicht nur den eigentlich gewünschten Effekt gehabt haben könnte. Das liegt unter anderem an der Wahl des von He manipulierten Gens CCR5, berichten nun Forscher um Alcino Silva von der University of California in Los Angeles: Verändert sich dieses Gen, so hat dies womöglich Auswirkungen auf grundlegende Gehirnfunktionen, wie Versuche in Mäusen nahelegen.

He hatte für die CRISPR-Manipulation das Gen CCR5 in den menschlichen Eizellen ins Visier genommen – nach seinen Angaben mit dem Ziel, die veränderten Babys resistent gegen eine Infektion mit HIV zu machen. Tatsächlich verfolgen Aids-Forscher schon seit Längerem einen vergleichbaren Ansatz, ohne jedoch dafür die Gene eines Patienten zu manipulieren: Das Produkt von CCR5 ist ein Rezeptor, über den das HI-Virus in seine Zielzelle eindringt, und manche Menschen sind wegen einer Mutation im Gen für diesen CCR5-Rezeptor tatsächlich gegen das Virus geschützt. Verschiedene Arbeitsgruppen experimentieren damit, den Rezeptor zum Beispiel mit Medikamenten zu blockieren. Insgesamt ist aber noch wenig darüber bekannt, was eigentlich genau im Körper passiert, wenn CCR5 verändert ist – man kennt hier unterschiedliche Varianten einer Mutation des Gens – oder wenn es teilweise oder ganz ausfällt.

Eine Antwort auf solche Fragen hatten Silva und Kollegen nun in Experimenten gesucht, bei denen sie in Mäusen die Nagervariante des CCR5-Gens gentechnisch entfernten. Die Forscher waren dabei dem Verdacht nachgegangen, dass CCR5 nicht nur seine bekannte Signalrolle auf Zellen im Immunsystem übernimmt, sondern auch Auswirkungen auf die kognitiven Funktionen der Mäuse haben kann: Schon in einer 2016 in »eLife« publizierten Studie hatten sie nachweisen können, dass das Gen die Verknüpfung von Neuronen und damit Lernprozesse im Hippocampus beeinflusst. Neue, nun im Fachblatt »Cell« veröffentlichte Experimente des Teams unterstreichen jetzt die Bedeutung von CCR5 für Hirnneurone: Sie beeinflussen offenbar, wie rasch neuronale Schäden etwa nach einem Hirnschlag repariert werden.

Spannend dabei: Ohne CCR5 gelingt es im Gehirn der Versuchsmäuse besser, neuronales Gewebe nach dem Schlag zu regenerieren. Dies könnte bedeuten, dass auch bei Menschen mit manipulierten CCR5-Varianten die Nervenneuverknüpfung oder die normale neuronale Plastizität anders funktioniert – und somit vielleicht sogar normale Lernprozesse betroffen sind. Silva und Co halten das für durchaus denkbar, bestätigen sie gegenüber dem Magazin »Technology Review«. Sie warnen aber davor, Versuche an Mäusen leichtfertig auf den Menschen im Allgemeinen oder die beiden CRISPR-Babys im Speziellen zu übertragen.

Dies gilt auch deshalb, weil bei den Mäusen das CCR5-Gen vollständig entfernt wurde – während weiter unübersichtlich ist, was beim CRISPR-Menschenversuch von He in den Zellen der Mädchen passiert ist. Nach den zunächst präsentierten Daten bilden beide Babys den gentechnisch vermeintlich ausgeschalteten Rezeptor nach wie vor: In einem Kind liegt genetischer Mosaikismus vor, es sind also nur die Chromosomen in manchen Zellen verändert; bei der Zwillingsschwester scheint in allen Zellen ein intaktes Allel des Rezeptorgens verblieben zu sein. Dem Genforscher ist es zudem nicht gelungen, das CCR5-Gen an exakt der Stelle zu verändern, die bei durch eine natürliche CCR5-Mutation HIV-resistenten Menschen verändert ist. Auch ist weiter unklar, ob unterschiedliche Veränderungen von CCR5 auch unterschiedliche Auswirkungen haben – man weiß daher nicht einmal, ob die gentechnisch manipulierten Zwillinge einmal resistent gegenüber einer HIV-Infektion sein würden, geschweige denn, ob sich ihre neuronalen Funktionen durch den Eingriff in irgendeiner Form verändert haben.

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