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Ökologie: Plastikmüll bleibt wohl länger in den Meeren als gedacht

Laut einer neuen Studie zerfällt Kunststoffabfall in den Ozeanen viel langsamer als bisher angenommen. Umso wichtiger erscheint eine möglichst rasche Müllvermeidung.
Plastikmüll treibt im Ozean umher
Kunststoffmüll, der in die Weltmeere gelangt, treibt dort für sehr lange Zeit im Wasser, hat eine Untersuchung ergeben.

Einer aktuellen Untersuchung zufolge schwimmt deutlich mehr Plastik in den Ozeanen als vermutet. Zugleich, so die Studie, sei der Kunststoffeintrag in die Weltmeere bislang überschätzt worden: Es gelange weniger davon in die Gewässer als gedacht. Nimmt man beide Befunde zusammen, folgt daraus, dass Plastik erheblich länger im Wasser bleibt, als frühere Schätzungen erwarten ließen. Das berichtet ein Forschungsteam um Mikael Kaandorp von der Universität Utrecht in der Fachzeitschrift »Nature Geoscience«.

Die Arbeitsgruppe hat die Menge und Verteilung des schwimmenden Plastiks modelliert. Dabei stützte sie sich auf zehntausende Messdaten, die an Küsten, an der Meeresoberfläche oder in der Tiefsee erhoben worden waren. Wie sich der Kunststoff in der marinen Umwelt verändert – etwa, indem er zerfällt, ans Ufer gespült wird oder in die Tiefe sinkt –, beschrieben die Fachleute jeweils in Teilmodellen. Auf dieser Basis ermittelten sie, wie sich die räumliche Verteilung verschiedener Plastikpartikel-Sorten, die zwischen 0,1 und 1600 Millimeter groß sind, über die Zeit verändert.

Laut den Ergebnissen gelangen jährlich etwa 500 000 Tonnen Plastikmüll in die Ozeane – das ist weniger als früher geschätzt. Knapp die Hälfte davon stammt aus der Fischerei, rund 40 Prozent werden über die Küsten eingetragen, der Rest von Flüssen in die Meere gespült.

Wachsendes Langzeitproblem

Zirka 3,2 Millionen Tonnen Plastik treiben in den Weltmeeren, schätzen die Fachleute – das ist wiederum deutlich mehr als zuvor angenommen. Den Löwenanteil davon stellten große Partikel von mehr als 25 Millimeter Durchmesser: Ihr Beitrag belaufe sich auf mehr als 95 Prozent. Diese Angaben beziehen sich nur auf schwimmendes Material; nicht eingerechnet ist Kunststoff, der sofort untergeht oder bereits auf den Grund gesunken ist. Plastikmüll, folgern die Autoren, sei in marinen Umgebungen unerwartet stabil. Er stelle somit ein Langzeitproblem dar, das bei anhaltender Verschmutzung immer drängender werde. Selbst nach einem vollständigen Stopp des Kunststoffeintrags würde die Plastikmenge im Meer nur sehr langsam zurückgehen.

Fachleute, die an der Studie nicht beteiligt waren, werten sie als wichtigen Beitrag. Sie betonen aber, dass solche Untersuchungen schwierig sind: »Das Verständnis über den Transport und Verbleib von Plastik in der Umwelt – also von der Quelle bis in die Meere – ist noch mit sehr großen Unsicherheiten verbunden«, sagte Christian Schmidt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung dem Science Media Center (SMC). »Die wesentliche neue Erkenntnis der Studie ist, dass ein großer Teil des Plastiks im Wasser der Ozeane eher größere Partikel sind.«

Ein methodischer Schwachpunkt der Arbeit liege darin, dass sie nur schwimmendes Plastik berücksichtige, kritisieren Experten. »Bedauerlicherweise wurden Kunststoffe ausgeklammert, die schwerer als Meerwasser sind«, kommentierte Melanie Bergmann vom Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung gegenüber dem SMC. Es sei nicht völlig klar, inwieweit dies das Ergebnis verfremde. »Es könnte zum einen den berechneten Gesamteintrag erhöhen, aber zum anderen auch die beschriebene Aufteilung von Plastik auf verschiedene Bereiche wie Meeresoberfläche, Strände und Meeresboden beeinflussen.« Dennoch stelle die Studie, die stärker auf empirischen Daten basiere als frühere, einen Fortschritt dar – und das Team um Kaandorp weise selbst auf die methodischen Einschränkungen seiner Arbeit hin.

Von dem Ansatz, schwimmenden Plastikmüll aus den Meeren zu entfernen, versprechen sich Fachleute eher wenig. Solche »Clean-up«-Methoden seien teuer, aufwändig, umweltschädlich und verschlängen Ressourcen, die anderswo – etwa bei der Abfallvermeidung und dem Aufbau einer Plastik-Kreislaufwirtschaft – besser investiert wären. »Wenn so genannte Clean-up-Systeme im nötigen Maßstab im Ozean eingesetzt würden, würden die meisten von ihnen aktuell zu viele CO2-Emissionen und Sterblichkeit der mitgefangenen Tiere verursachen, statt ökologische Probleme zu lösen«, sagt Bergmann. »Selbst wenn Plastik aus dem Meer gesammelt wird, ist oft unklar, was damit passiert, weil es noch schlechter weiterverwendet werden kann als Plastik aus der Müllwirtschaft.« Schmidt sieht das ähnlich: »Ich halte Clean-up-Aktionen im Meer für sinnlos; die Ressourcen wären an der Quelle viel besser eingesetzt.« Allein der pazifische Müllstrudel – eine Ansammlung von Plastik- und Treibmüll im Nordpazifik – sei viermal so groß wie Deutschland. »Man würde nie fertig werden.«

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